Pressemitteilung Nr. 12/02
Aktionsbündnis Betriebskostensenkung
Berliner Mieterverein e.V. (Landesverband Berlin im Deutschen Mieterbund)
Bund der Berliner Haus- und Grundbesitzervereine e.V.
Verband Berlin – Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU)
Landesverband Freier Wohnungsunternehmen (LFW)
14. November 2002
Mit großer Sorge sehen die im “Aktionsbündnis Betriebskostensenkung” zusammengeschlossenen Verbände der Berliner Mieter und Vermieter die Konzept- und Planlosigkeit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der Berliner Stadtreinigungsbetriebe. Die Verbände befürchten eine Gebührenexplosion für die Müllentsorgung, die die Belastungsgrenze der Mieter und Eigentümer weiter überschreitet.
Angesichts dieser Entwicklung fordern die Verbände den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin auf,
1. die vorliegenden Konzepte unverzüglich und vollständig offen zu legen und danach rasch, aber auch breit und unter Einbeziehung aller betroffenen Verbände und Bürgervertreter zu diskutieren.
2. die Beschlussfassung über das umzusetzende Konzept nicht vom Senat, sondern vom Abgeordnetenhaus vornehmen zu lassen,
3. sicherzustellen, dass für die Abfallentsorgung ab 2005 private Wettbewerber in einem nicht unerheblichen Umfang beteiligt werden und diese Beteiligungen auszuschreiben,
4. die Berliner Stadtreinigungsbetriebe endlich dazu anzuhalten, die Forderungen der Verbände nach rückhaltloser Offenlegung ihrer Tarifkalkulation zu erfüllen.
Berlin droht, das befürchtet das Betriebskostenbündnis, im Jahr 2005 ein Müll-Entsorgungsnotstand. Dieser führt zu einer dramatischen Kostenexplosion bei den Abfallgebühren, die von vielen Mietern und Eigentümern nicht mehr getragen werden können. Die Zeichen dafür mehren sich, dass Berlin die ab 2005 geltenden Gesetzesvorgaben nicht erfüllen kann. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Abfall ab dem 1. Juni 2005 nicht mehr einfach auf Deponien abgekippt werden darf: Das geschieht bisher mit weit mehr als der Hälfte des anfallenden Berliner Restmülls. Um die Umwelt besser zu schützen, muss Abfall ab 2005 aufwendig vorbehandelt werden. Dafür müssen mehrere neue Abfallbehandlungsanlagen gebaut werden. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) hat jedoch bisher noch für keine einzige dieser notwendigen Anlagen das Genehmigungsverfahren eingeleitet. Stattdessen überrascht sie die Berliner Öffentlichkeit seit Jahren mit immer neuen Konzepten, von denen nicht eines bisher in Angriff genommen worden ist.
In Berlin fallen jährlich rund 1,2 Mio. Tonnen Restmüll an (Stand 2000), 2005 werden es noch 1 Mio. Tonnen sein. Als Restmüll wird der Müll bezeichnet, der in der grauen Tonne landet. Mehr als 80 % dieser 1,2 Mio. Tonnen sind Hausmüll, der Rest Gewerbeabfall. Rund 500.000 Tonnen Müll werden in der Müllverbrennungsanlage (MVA) Ruhleben verbrannt, der größere Rest jedoch unbehandelt auf Deponien in Brandenburg abgelagert. Die sog. Technische Anleitung Siedlungsabfall (TASi) sowie die Ablagerungsverordnung schreiben vor, dass Abfälle ab dem 1. Juni 2005 nur noch nach thermischer oder mechanisch-biologischer Vorbehandlung auf Deponien abgelagert werden dürfen. Dadurch soll verhindert werden, dass der Müll klimaschädigende Gase und Gifte produziert.
Auch an die Deponien werden künftig höhere Anforderungen gestellt. Sie müssen nach unten abgedichtet sein und das Sickerwasser muss erfasst werden.
Planlos, ziellos, konzeptlos, hilflos
Für die Entsorgung des Hausmülls (Restmüll) ist in Berlin ausschließlich die BSR zuständig. Auch in den kommenden 13 Jahren bleibt sie aufgrund einer “Zielvereinbarung” mit dem Land zuständig. Die BSR hat dem Land Berlin vor zwei Jahren für das Hausmüll-Monopol 805 Millionen DM bezahlt. Die BSR ist zur Entsorgung sämtlichen Restmülls verpflichtet – egal in welcher Menge und Zusammensetzung – Privathaushalte dürfen ihren Restmüll nur der BSR zur Entsorgung überlassen. Private Abfall-Entsorger in Berlin bleiben bei diesem Geschäft außen vor.
Im Juli 2001 legte die BSR ein Konzept vor, das einen Ausbau der Müllverbrennungsanlage Ruhleben vorsah. Der eindeutige Schwerpunkt dieses Konzeptes lag auf der Verbrennung und der Nutzung der dabei entstehenden Wärmeenergie. Dazu sollte die Müllverbrennungsanlage in Ruhleben ausgebaut und daneben zusätzlich eine zweite mit einer Jahreskapazität von 170.000 Tonnen errichtet werden. Etwa 50.000 Tonnen vorbehandelter Müll mit hohem Heizwert sollten nach diesem Konzept auf dem freien Markt als Energieträger für Zementwerke, Kraftwerke oder an das Sekundärrohstoff-Verwertungszentrum Schwarze Pumpe (SVZ) verkauft werden, das den Berliner Wasserbetrieben gehörte.
Nach dem Bruch der Großen Koalition Mitte Juni 2001 und der Wahl des rot-grünen Senats wurden die Pläne der BSR gekippt: nach dem Willen von Rot-Grün sollte auf eine zusätzliche Verbrennungsanlage in Berlin gänzlich verzichtet werden.
Die BSR legte daraufhin über Nacht “auf Grundlage bereits erteilter Gutachten” ein neues Konzept vor: das sog. STAB – Konzept. STAB steht für Stoffstrom-Trennanlagen Berlin. Nach diesem Konzept soll von den etwa 1 Million Tonnen Restmüll pro Jahr ein Viertel direkt in der Müllverbrennungsanlage Ruhleben verbrannt werden. Die restlichen drei Viertel sollen in Stoffstrom-Trennanlagen mit Siebtechniken in drei Fraktionen mit unterschiedlichem Heizwert zu je etwa 250.000 Tonnen getrennt werden, um sie danach auf unterschiedliche Weise weiterzubehandeln – sogar eine technisch so noch nirgendwo existierende Großvergärungsanlage sollte in Brandenburg gebaut werden. Für keine der in den wechselnden Konzepten vorgesehenen Anlagen ist bislang die notwendige Genehmigung beantragt worden.
Müll-Pyromanie
Nach neuesten Informationen muss damit gerechnet werden, dass die BSR ihr Entsorgungskonzept ein weiteres Mal ändern wird. Zwar soll der Müll wohl weiterhin in Stoffstrom-Trennanlagen vorbehandelt, jedoch ein größerer Teil als bisher vorgesehen verbrannt werden. Dafür will die BSR die Müllverbrennungsanlage in Ruhleben ausbauen, heißt es aus informierten Kreisen. Das bedeutet weitere Verzögerungen bei der Umsetzung des Berliner Abfall-Konzepte und noch stärker steigende Müllgebühren. Dabei war bereits seit 1993 abzusehen, dass Abfall ab dem Jahr 2005 nicht mehr unbehandelt auf Deponien abgelagert werden darf.
Völlig anders als die BSR hat sich deren Konkurrent ALBA verhalten, der bei der Gewerbemüllabfuhr und als Dienstleister für Landkreise und Städte in anderen Bundesländern arbeitet. ALBA hat für zwei neue Abfallaufbereitungsanlagen (in der Schönerlinder Straße in Pankow) und in der Flottenstraße (Reinickendorf), wo jährlich insgesamt etwa 320.000 Tonnen Abfall verarbeitet werden können, die Genehmigungen längst beantragt. Ab 2005 könnte also die absurde Situation entstehen, dass die Firma ALBA auswärtigen Abfall in Berlin vorbehandelt und die BSR zu horrenden Preisen Müll zur Vorbehandlung nach Brandenburg oder in andere Bundesländer fahren muss. Ein Gutachten der Prognos AG kommt zu dem Schluss, dass 2005 deutschlandweit mindestens 3 Millionen Tonnen Kapazität für Vorbehandlung von Müll fehlen. Das bedeutet: Die Preise steigen.
BSR-Müllbeseitigungskonzept führt zu drastischen Gebührenerhöhungen
Um wie viel die Müllabfuhrpreise ab 2005 steigen, weiß keiner genau. Fest steht jedoch, dass sie drastisch steigen werden. Die untere Schätzung liegt für Berlin bei 30 % (BUND). Das Betriebskostenbündnis rechnet mit 50% Steigerung, im schlimmsten Fall mit einer Verdoppelung in den Jahren 2005 bis 2010. Maßgebend dafür sind die steigenden Kippgebühren von 78,80 EUR /t auf über 160 bis 190 EUR / t nach unterschiedlichen Expertenschätzungen.
Auf die Berliner kommen dadurch folgende Mehrbelastungen zu:
Schätzungen | Günstigster Fall; 160 €/t | Ungünstigster Fall; 190 €/t |
Diff. zu bisherigem Preis von ca 80 €/t |
80 € | 110 € |
1 Mio t / a | 80 Mio | 110 Mio |
Geteilt durch 3,4 Mio Einwohner | 23,52 € / Pers./ a | 32,35 € / Pers / a |
4- Pers HH | 94,08 € / HH / a | 129,40 € / HH / a |
Die im Betriebskostenbündnis zusammengeschlossenen Verbände haben bereits vor gut einem Jahr gegenüber Senat und Abgeordnetenhaus ihre Sorgen nachdrücklich dargelegt und Wettbewerb und Transparenz gefordert – ohne Erfolg. Es wird weiter nach ty pi sch Berliner Art gemauschelt und gewurschtelt. Durch die gesetzlichen Vorgaben sind Mehrkosten sicherlich unvermeidbar. Allerdings ist die zu befürchtende Kostenexplosion auf das Planungschaos zurückzuführen.
Die Erfolge der Berliner Wohnungsunternehmen, in der Vergangenheit die Belastungen ihrer Mieter mit Betriebskosten zu verringern, werden durch die Planung der BSR zunichte gemacht!
Mussten im Jahr 1996 noch durchschnittlich 2,74 DM kalte Betriebskosten je qm Wohnfläche im Monat mit den Mietern abgerechnet werden, so waren es im Jahr 2000 nur noch 2,56 DM je qm Wohnfläche im Monat. Den größten Anteil dieser kalten Betriebskosten haben die Positionen Be- und Entwässerung (0,85 DM je qm Wfl. im Monat), Müllabfuhr und Straßenreinigung (0,39 DM je qm Wfl. im Monat), Grundsteuer (0,35 DM je qm Wfl. im Monat). Die Kosten für Hauswart und Hausreinigung liegen durchschnittlich bei 0,45 DM je qm Wfl. im Monat. Insbesondere die deutliche Verringerung der Kosten für Müllabfuhr und Straßenreinigung auf 0, 39 DM je qm Wfl. im Monat (die noch im Jahr 1996 bei 0,47 DM je qm Wfl. im Monat lagen) tragen zu dieser Entlastung der Mieter bei. Dabei schwankten diese Kosten im Unternehmensdurchschnitt zwischen 0,15 und 0,51 DM je qm Wfl. im Monat. Noch deutlicher zeigt sich der Erfolg, wenn nur die Müllkosten betrachtet werden: sie sanken von 0,41 (1996) auf 0,27 DM je qm Wfl. im Monat im Jahr 2000.
Diese Kostenreduzierung war möglich, weil sowohl die Berliner Stadtreinigungsbetriebe die gegenüber dem Land Berlin vertraglich zugesagten Senkungen der Müllkosten vorgenommen haben und weil vor allen Dingen die Wohnungsunternehmen einen erheblichen Aufwand für die Verbesserung der Wertstofftrennung und Müllsammlung getätigt haben. So kostet z. B. jeder der neu geschaffenen und verschließbaren Wertstoffsammelplätze im mehrgeschossigen Wohnungsbau zwischen 5.000 Euro und 15.000 Euro. Das haben die Wohnungsunternehmen investiert, ohne hierfür Zuschüsse des Landes Berlin zu erhalten!
Das Aktionsbündnis betrachtet das derzeitig praktizierte Müllentsorgungskonzept zwar noch nicht als optimal, es kommt jedoch dem Wunsch der Wohnungsunternehmen und der Mieter nach möglichst kostengünstiger Entsorgung entgegen. Insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes ist die Trennung von Hausmüll, Wertstoffen (Glas, Pa pi er, Leichtverpackungen und Biomüll) eine wichtige Herausforderung für die Mieter, ihren Beitrag zur Senkung der Umweltbelastungen zu tragen und gleichzeitig auch Kosten sparen zu können. Diese Motivation zur Kosteneinsparung muss weiterhin gestärkt werden.
Bei den in der Presse und in Tagungen bzw. Anhörungen von der BSR genannten Eckdaten des zukünftigen Abfallbeseitigungskonzeptes ist jedoch zu erwarten, dass diese Eckpfeiler einer kostengünstigen Müllentsorgung in Berlin aufgegeben werden sollen.
Nachdem bereits vor mehr als einem Jahr absehbar war, dass das Müllbeseitigungskonzept der BSR, das auf den folgenden Säulen beruhte
– Mülltrennung nach Wertstoffen und Hausmüll
– Müllstabilisierung
– Verbrennung eines Teils des Mülls in der Müllverbrennungsanlage Ruheleben
– Transport eines Anteils des Mülls nach Schwarze Pumpe und Verarbeitung zu Methanol
– Lagerung von vorbehandelten Müll auf Deponien,
aufgrund der Unsicherheit über die Leistungsfähigkeit der Anlage in Schwarze Pumpe gefährdet schien, haben die BSR und auch das Land Berlin nichts unternommen, um sich um kostengünstige Alternativen zu bemühen.
09.07.2014