Pressemitteilung Nr. 06/08
In 38 % der Fälle war der Energieausweis gänzlich unbekannt oder nicht vorhanden und in 34 % wurde er erst auf Nachfrage als „vorhanden“ bezeichnet. 11 % der Anbieter wollten ihn erst bei einer Besichtigung präsentieren oder an einem anderen Ort als der angebotenen Wohnung. In immerhin 9 % der Bewerbungen führte die Nachfrage zu einem Ausschluss des Bewerbers, weil man offenkundig den rechtskundigen Mieter nicht wünscht. Dieses Ergebnis erbrachte eine Auswertung von Wohnungsbewerbungen, die der Berliner Mieterverein e.V. im Juli/August 2008 vornahm.
„Der Gesetzgeber muss in Sachen Energieausweis unverzüglich nachbessern, sonst wird dieses Transparenzinstrument seiner Aufgabe niemals gerecht.“ kommentierte der Hauptgeschäftsführer des Berliner Mieterverein e.V. Hartmann Vetter. Nur eine unmittelbare Vorlagepflicht mache den Energieausweis wie vom Gesetzgeber beabsichtigt zu einem Transparentinstrument. Die derzeitige Rechtslage, wonach der Energieausweis nur „zugänglich“ gemacht werden muss, bewirke das Gegenteil, nämlich ein Anmietungshindernis für den Mieter.
Seit Juli müssen Vermieter und Verkäufer einer Immobilie, die vor 1965 bezugsfertig wurde, dem potenziellen Mieter oder Erwerber einen Energieausweis zugänglich machen. Doch diese Pflicht wird von den Vermietern unterlaufen, so das Ergebnis einer Untersuchung des Berliner Mietervereins (BMV), dessen Beauftragte sich im Juli/ August 2008 auf 167 Wohnungsinserate in Zeitungen und Internet beworben hatten. Die Auswertung zeigt, dass der Energieausweis nicht das Transparenzinstrument ist, das er sein soll, sondern noch schlimmer ist, so Vetter, dass in jedem zehnten Fall die Frage nach dem Energieausweis den Mieter aus dem Kreis der Bewerber katapultiert. Damit droht der Energieausweis zu einem Anmietungshindernis für die Mieter zu werden.
Einzelne Ergebnisse entnehmen Sie
der Grafik Energieausweis – Praxistest [PDF, 1 Seite]
Zehn Beauftragte des Berliner Mietervereins hatten sich ab Anfang Juli auf Testwohnungssuche begeben. Aus Tages- und Wochenzeitungen, aus Makler- und Vermieterwebsites sowie aus Internetplattformen suchten sie sich Wohnungsangebote in allen Berliner Bezirken heraus. Sie telefonierten, recherchierten und nahmen an Wohnungsbesichtigungen teil. Insgesamt 167 schriftlich dokumentierte Fälle lagen dem BMV schließlich zur Auswertung vor. Das Ergebnis war niederschmetternd, denn die jeweiligen Mitarbeiter von Wohnungsunternehmen, Hausverwaltungen und Maklerbüros konnten häufig keine handfesten Angaben zum gewünschten Wohnungsangebot machen. Schon die Frage nach dem Baujahr („Ist die angebotene Wohnung ein Altbau oder können Sie genauer sagen, wann das Haus gebaut wurde?“) erforderte zumeist Rückfragen und weiteren Rechercheaufwand bei den Mitarbeitern der Immobilienanbieter.
Völlig unbekannt war der Energieausweis bei 38 Prozent der Befragten, erst bei gezielter Nachfrage sicherten 34 Prozent der Anbieter zu, dass ein Energieausweis vorhanden beziehungsweise „in Arbeit“ sei.
Wohnungsbaugesellschaften ließen in 15 Prozent der Fälle Wohnungssuchende, die nach dem Energieausweis fragten, gleich abblitzen – nach dem Motto: Der macht bestimmt Ärger, wenn er so nachfragt.
Völlig unbekannt war der Ausweis bei der Hälfte der privaten Vermieter. Die Genossenschaften allerdings erwähnten zu einem Drittel den Energieausweis bereits in ihrem Angebot und immerhin 3,6 Prozent der Privatvermieter sprachen von sich aus den Ausweis an. Diese haben offenkundig die Chance und den Werbeeffekt, die in diesem Instrument liegen, erkannt und nutzen ihn offensiv.
Im Grundsatz eine teure Ordnungswidrigkeit
Der Berliner Mieterverein e.V. sieht davon ab, bei der entsprechenden Behörde eine Nichtvorlage des Energieausweises anzuzeigen. Wird ein Energieausweis vom Vermieter oder Verkäufer nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zugänglich gemacht, dann handelt dieser ordnungswidrig. Dies kann mit einer Geldbuße bis zu 15000 Euro pro Fall geahndet werden. Anzuzeigen ist die Ordnungswidrigkeit bei der zuständigen Behörde – in Berlin vermutlich die Senatsverwaltung für Wirtschaft. Ein ordnungswidriges Vermieterhandeln führt allerdings nicht zur Rechtsunwirksamkeit eines Mietvertrages.
„Uns geht es darum, das Bewusstsein über den energetischen Zustand von Wohngebäuden zu schärfen und nicht Strafen zu provozieren“, kommentierte BMV-Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter – wenngleich Restriktionen in vielen Fällen durchaus angemessen gewesen wären. Denn häufig zeigten sich die Wohnungsanbieter beziehungsweise deren Mitarbeiter ausgesprochen verärgert über die Nachfrage nach dem Energieausweis.
Der Berliner Mieterverein fordert eine Vorlagepflicht
Das blamable Ergebnis ist auch ein Armutszeugnis für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Das ständige Nachgeben gegenüber Forderungen von Vermietern und des Wirtschaftsministeriums hat bei den Vermietern selbst nicht zu mehr Akzeptanz geführt, sondern offenbar den Eindruck erzeugt, das Transparenzinstrument sei ebenso untauglich wie unnötig. Außerdem ging es im Gesetzgebungsverfahren immer wieder darum, den Kreis der Miet- und Kaufinteressenten, denen der Energieausweis vorgelegt werden soll, so klein wie möglich zu halten. Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Transparenz von Energieverbrauch beziehungsweise Energiebedarf offensiv als wichtiges Kriterium am Wohnungsmarkt zu platzieren. Dies ist umso bedauerlicher, als der energetische Zustand bei der Wohnungswahl ohnehin nur auf entspannten Märkten eine Rolle spielen wird. Selbst dort wird dies nur dann der Fall sein, wenn Informationen zum energetischen Zustand einer Immobilie so selbstverständlich sind wie die Angabe der Wohnungsgröße. Der Berliner Mieterverein fordert daher vom Gesetzgeber, dass zukünftig jedem Mietinteressenten unaufgefordert eine Kopie des Energieausweises vorgelegt werden muss.
Dass über den Hebel der Markttransparenz mit Energieausweisen mehr energiesparende Sanierungen angeregt werden und damit entsprechend CO 2 eingespart wird, ist somit derzeit genauso illusorisch wie die Wirksamkeit zahlreicher anderer nationaler Energiesparmaßnahmen zur Verbesserung des Klimaschutzes.
Der Energieausweis soll einen Vergleich des Energieverbrauchs bzw. Energiebedarfs ermöglichen und damit die Wahl der Wohnung beeinflussen. Dazu wird als Maßstab für den energetischen Zustand ein für das betreffende Wohngebäude ermittelter Energiekennwert angegeben. Es gilt generell: Je niedriger der Energiekennwert, desto besser ist der energetische Zustand.
Beim Neubau von Wohngebäuden müssen Bauherren bereits seit geraumer Zeit Energieausweise erstellen und den Eigentümern aushändigen. Ergänzt wird diese Regelung nun durch eine Änderung der Energieeinsparverordnung. Danach müssen Energieausweise gemäß der neuen Verordnung seit 1. Juli 2008 für Wohngebäude der Baufertigstellungsjahre bis 1965 und ab 1. Januar 2009 für Wohngebäude, die nach 1965 errichtet wurden, potenziellen Käufern oder Mietern zugänglich gemacht werden. Für Räume, die nicht unter Einsatz von Energie beheizt oder gekühlt werden, wie zum Beispiel Garagen oder Lagerräume, müssen keine Energieausweise bereitgehalten werden. Eine Befreiung gilt auch für Wohnräume, die weniger als vier Monate im Jahr genutzt werden sowie für Baudenkmäler.
Gemäß der EU-Richtlinie sind Energieausweise potenziellen Erwerbern oder Mietern „vorzulegen“. Die Bundesregierung hat mit Zustimmung des Bundesrates in der Energieeinsparverordnung die Formulierung geprägt, dass bei Kauf oder Anmietung der Energieausweis „zugänglich gemacht“ werden muss. Der Berliner Mieterverein geht davon aus, dass der Zweck der deutschen wie der europäischen Vorschrift nur erfüllt wird, wenn darunter die Vorlage des Energieausweises zu verstehen ist. Dies bedeutet konkret, dass der Vermieter zum Beispiel bei einer Wohnungsbesichtigung spätestens auf Verlangen des Mietinteressenten den Energieausweis zur Einsicht vorlegt. In der Begründung zur Energieeinsparverordnung (BR-Drucksache 282/ 07) heißt es, dass noch während der Entscheidungsfindung des Miet- oder Kaufinteressenten die Einsichtnahme ermöglicht werden soll. Es wird allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einsichtnahme durch Aushang zum Beispiel während der Besichtigung oder durch Bereithalten im Büro des Vermieters oder Verkäufers geschehen könne. Diese Regelung muss nach Auffassung des Berliner Mietervereins präzisiert werden.
Ausreichende Möglichkeiten der Prüfung erforderlich
Wichtig wird auch sein, dass der potenzielle Mieter bei der Wohnungssuche genügend Zeit erhält, den komplizierten Energieausweis in Ruhe zu prüfen.
Per Kabinettsbeschluss war von der Bundesregierung zur Vereinfachung ein Anspruch des Interessenten auf eine Kopie des Ausweises verankert worden – eine Festlegung, die der Bundesrat gestrichen hat und die nun nicht mehr Bestandteil der Verordnung ist. Sie wird vom Berliner Mieterverein aber weiterhin gefordert. Ob Mieter den Energieausweis künftig z.B. abfotografieren dürfen, wird sich noch in der Praxis erweisen müssen.
Die neue Verordnung ermöglicht Vermietern und Verkäufern grundsätzlich die Erstellung des Energiekennwertes über zwei verschiedene Berechnungsarten: über den „Bedarf“ oder über den Verbrauch.
Dabei wird der Verbrauchsausweis von der Wohnungswirtschaft favorisiert, weil er erheblich billiger ist und von den Heizkostenabrechnungsfirmen als Nebengeschäft für circa 30 bis 50 Euro pro Stück miterstellt werden kann. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass der Verbrauchskennwert offenbar etwas günstiger ausfällt als die vereinfachte Berechnung nach Bedarf.
Das Wahlrecht zwischen den beiden Kennwerten besteht grundsätzlich für Wohngebäude ab fünf Wohnungen. Eine Pflicht zur Erstellung des Bedarfsausweises besteht für Eigentümer nur dann, wenn ab dem 1. Oktober 2008 ein Energieausweis für ein Wohngebäude mit weniger als fünf Wohnungen erstellt wird, der Bauantrag für das betreffende Gebäude vor dem 1. November 1977 eingereicht wurde oder das Haus nicht mindestens den Anforderungen der ersten Wärmeschutzverordnung gerecht wird.
Im Grundsatz kann der Mieter bei der Wohnungssuche die Bedarfskennwerte und die Verbrauchskennwerte miteinander vergleichen. Bedarfsausweise auf Basis eines vereinfachten Verfahrens haben keine höhere Aussagekraft als Verbrauchsausweise zentral beheizter Wohngebäude mit mehr als fünf bewohnten Wohneinheiten, da sich nach Meinung der Experten Differenzen im Verbrauchsverhalten ausgleichen. Vorsicht ist nach Auffassung des Berliner Mietervereins aber bei Verbrauchsausweisen geboten, die für Wohngebäude unter fünf Wohneinheiten erstellt werden oder die einen umfangreichen und stetig wechselnden Leerstand haben. Deren Aussagekraft ist wegen des deutlichen Einflusses des Nutzerverhaltens beschränkt.
Bedauerlicherweise betreibt die Bundesregierung in der neuen Verordnung Schönfärberei beim Energieverbrauch. Dies geschieht zum einen durch Zugrundelegung eines Multiplikationsfaktors (1,2) für die Ermittlung einer Gebäudenutzfläche statt der Angabe der (beheizten) Wohnfläche. Auf diese Weise werden viele Verbrauchsausweise im „grünen“ Bereich liegen, die ansonsten deutlich anders bewertet würden. Zum anderen lassen die im Ausweis von der Bundesregierung dargelegten, völlig überhöhten Durchschnittsvergleichswerte für den Endenergiebedarf die tatsächlich ermittelten Kennwerte fast immer in einem guten Licht erscheinen. Der Vergleich eines Verbrauchskennwertes mit den pauschalierten bundesweiten Endenergiebedarfskennwerten ist nicht hilfreich. Damit wird wegen der deutlich überhöhten Vergleichsangaben grundsätzlich ein Bild erzeugt, in dem der energetische Zustand eines Wohngebäudes besser erscheint als er wirklich ist. Energetische Sanierungen würden somit nur im Ausnahmefall notwendig – also wird das das Gegenteil dessen erreicht, was in der allgemeinen Klimaschutzdebatte gefordert wird.
Weitere Informationen zum Energieausweis
finden Sie in unserem Infoblatt 156 – Der Energieausweis.
09.07.2014