Pressemitteilung Nr. 13/09
„Beim Wohnen ist Berlin vereint. 20 Jahre nach Mauerfall stehen sich die Ost- und Westberliner beim Wohnen näher als in allen anderen Lebensbereichen. Damit gibt es für einen Kernbereich von Lebensqualität eine Positivmeldung.“ Dieses Resümee zog der Vorsitzende des Berliner Mieterverein e.V., Dr. Franz Georg Rips, anlässlich der Vorstellung einer Studie, die das Institut Für Soziale Stadtentwicklung über zwei Jahrzehnte Wohnungsmarktentwicklung in Ost- und Westberlin durchgeführt hat.
Ost-West-Mischung schreitet vor allem in der Innenstadt voran
Bei der Wahl des Wohnorts, bei der Pro-Kopf-Wohnfläche und bei der Ausstattung gibt es nach den Ergebnissen eine starke Annäherung zwischen Ost und West. Während kurz nach der Wende Ost- und Westberliner in ihren alten Stadthälften „unter sich blieben“, ist die Bereitschaft zur „Grenzüberschreitung“ bei den Wohnstandorten auf beiden Seiten immer mehr gestiegen.
Im Jahr 2007 sind 2.837 Westberliner in den alten Bezirk Mitte gezogen. Aus den alten Ostberliner Bezirken stammten 2.580 der Neuankömmlinge in Berlin-Mitte. Das Gleiche gilt für die Gegenrichtung. In das „alte Kreuzberg“ (vor der Neugliederung 2001) sind 2.916 Ostberliner und 5.634 Westberliner gezogen. Die absoluten Zahlen zeigen nicht das ganze Ausmaß der Mischungsbereitschaft, da sie nicht berücksichtigen, dass der alte Westen 65% der Gesamtberliner Bevölkerung ausmacht und der Osten 35%. Berücksichtigt man die unterschiedliche Größe der Herkunftsgebiete durch eine rechnerische Gewichtung, so wird die Tendenz noch deutlicher. Im Jahr 1994 kamen lediglich 23% (1.681 in absoluten Zahlen) der Neuankömmlinge aus anderen Berliner Bezirken in Kreuzberg aus Ostberlin. Im Jahr 2007 waren bereits 47% der Zuzüge Ostberliner (2.916 in absoluten Zahlen). 53% kamen aus Westberlin.
Zwischen 1990 und 1999 ist die Pro-Kopf-Wohnfläche in Ost und West angestiegen. Im Osten lag sie 1999 bei 36,2 m² (Anstieg um 5,5 m²), im Westteil bei 38,9 m² (Anstieg um 3,5 m²). Der danach erfolgte Anstieg ist aufgrund der Zusammenlegung von Ost- und Westbezirken im Zuge der Verwaltungsreform nicht mehr trennscharf nachzuzeichnen.
Die Wohnungsausstattung hat sich wesentlich verbessert. Noch zum Zeitpunkt der Gebäude- und Wohnungszählung in Ostberlin 1995 hatten knapp 40% der Ostberliner Wohnungen keine Sammelheizung (208.000) und lediglich 23% der Wohnungen lagen in Gebäuden ohne Schäden. 5,1 % der Wohnungen hatten kein Bad und 2,5% hatten kein Innen-WC (rund 17.000 Wohnungen). Wohnungen ohne Innen-WC sind vom Ostberliner Wohnungsmarkt fast vollständig verschwunden. Definiert man als heutigen „Substandard“ solche Wohnungen, die keine Sammelheizung oder kein Bad haben, dann gehörten in Ostberlin 2003 noch 144.000 Wohnungen zu dieser Kategorie. Heute sind es deutlich weniger.
Nicht zuletzt infolge der Qualitätssteigerung haben sich auch die Mieten angeglichen. 1991 betrug die Durchschnittsmiete für eine voll ausgestattete Altbauwohnung in Ostberlin nettokalt 1,19 € / m² und Monat. Die warmen und kalten Betriebskosten hatten eine etwa gleiche Höhe wie die Nettomiete. 2008 lag die durchschnittliche Nettomiete für eine über alle Baujahrgänge gemittelte Wohnung mit Normalstandard im Westberlin bei 5,73 € / m² und in Ostberlin bei 5,32 € / m². Der Abstand zwischen den Ost und Westnettomieten ist von 10,5 Prozent (1998) auf 7,2 Prozent (2008) geschrumpft.
Die Mietbelastung durch die Nettokaltmiete für eine Durchschnittswohnung von 65 m² mit normaler Ausstattung und in normaler Lage bewegt sich in Ostberlin mit 22,6% auf einem fast gleichen Niveau wie die für Westberlin mit 23,4%. Die etwas geringeren Haushaltsnettoeinkommen in den Ostbezirken ohne Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg (Ostbezirke 1.531 €, Westbezirke: 1.592 €) werden durch die etwas geringere Durchschnittsmiete nahezu ausgeglichen.
Die bezahlbare Metropole Berlin, auch ein Erfolg des Berliner Mietervereins
Der Hauptgeschäftsführer des BMV, Hartmann Vetter, bewertete die Ergebnisse so: „Wir sind stolz darauf, dass wir als Organisation der Ost- und Westberliner Mieter an diesem Teilerfolg der Vereinigungsgeschichte mitgewirkt haben. Wir konnten gemeinsam mit unserer Dachorganisation verhindern, dass die Ostmieter nach Mauerfall durch das viel zu grobmaschige Netz einer „freien“ Wohnungsmarktwirtschaft gefallen sind. Wir haben vor und nach Mauerfall dazu beigetragen, dass Berlin heute eine Metropole ist, die man sich leisten kann. Berlin Mitte ist nicht nach Feierabend bewohnerlos, wie die City of London, und die Innenstadtmieten von Berlin haben nicht das Weltniveau von Paris. Das vergleichsweise günstige Mietenniveau ist gleichermaßen Standortvorteil und soziale Errungenschaft und kein Modernisierungsdefizit. Daran werden wir auch die neue Bundesregierung erinnern. Die Ausstrahlung, die Berlin auf die Jungen, die Kreativen und die Innovativen hat, gäbe es nicht ohne ein moderates Mietengefüge. Wir wissen, dass die vorhandene Situation bei internationalen Investoren Begehrlichkeiten weckt. Bisher haben wir sie mit teilweisem Erfolg zurückdrängen können. Aber das Problem ist nicht vom Tisch. Der deutsche und besonders der Berliner Wohnungsmarkt gelten nach wie vor bei Analysten als „unterbewertet“. Deswegen bedarf es, so Vetter, dringend einer Initiative zur Begrenzung der Neuvermietungsmieten. Sonst ist dieser Standortvorteil schnell wieder dahin.
Auch der Berliner Mieterverein e.V. selbst ist eine „Werkstatt der Einheit“. So arbeitet der Verein bereits seit 1990 als (Gesamt) Berliner Mieterverein e.V. Eine rasante Mitgliederentwicklung von 38.000 Haushalten 1989 zu 112.000 Haushalten 2008 bei jährlichen Zuwächsen von ca. 10.000 Neumitgliedern sowie eine Mitgliederstruktur 1/3 Ost und 2/3 West belegen dies eindrucksvoll.
Gesamtbilanz hat keinen Punktsieger
Für das Institut Für Soziale Stadtentwicklung als Bearbeiter der Studie kommentierte Dr. Armin Hentschel die vorgelegte Bilanz. „In der Gesamtbilanz zum Gesamtberliner Wohnungsmarkt nach 20 Jahren Mauerfall gibt es keine klaren Verlierer oder Gewinner. Wer Negativmeldungen sucht, der findet sie. Wer Positivbotschaften sucht, wird ebenfalls fündig.
Bei der Pro-Kopf-Wohnfläche und bei der Wohnungsausstattung hat Ostberlin aufgeschlossen, trotzdem existieren immer noch Unterschiede. Die Bevölkerungsmischung schreitet in großen Zügen voran. Die Einkommen im Osten sind geringfügig niedriger, aber der Berliner Westen ist fast der Alleinerbe einer unbewältigten Integration von Ausländern mit allen bekannten Folgeproblemen. Beim Altern hat der Westen Berlins die Nase vorn; die Jugend bevorzugt die Altbaugebiete Ost. Aber der Altersdurchschnitt ist im Großsiedlungsbezirk Marzahn-Hellerdorf am schnellsten angestiegen. Es gibt eine gewisse Verdrängung der ostdeutschen Stammbevölkerung durch Westberliner und Westdeutsche in den Sanierungsgebieten von Mitte, aber sehr viele weniger in den „Szenegebieten“ von Prenzlauer Berg. Die im Osten besonders beklagte Eigenheimförderung hat zur Entleerung von Großsiedlungen am Stadtrand beigetragen, aber die politischen Repräsentanten, die dies kritisieren, müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Ostberliner Bevölkerung der aktivste Teil der Suburbanisierung war. Schließlich: Die Mischung der Stammbevölkerung Ost und West schreitet vor allem im Osten schnell voran. Unter den mischungsfreudigen jungen Erwachsenen weiß in einigen Jahren niemand mehr, wer ursprünglich Ossi oder Wessi war.
Ein anderer Aspekt ist ebenso wichtig. Als Beweis für den Sieg der freien Marktwirtschaft über die sozialistische Planwirtschaft kann man die Ergebnisse dieser Studie nicht verwenden. Die regulierten Wohnungsmärkte in Ost und West sind nach Maßgabe politischer Vorgaben und rechtlicher Vorschriften zusammengeführt worden. Ironischerweise hat bereits vor Mauerfall der Systemwettbewerb zwischen dem „Schaufenster des Westens“ und der „Hauptstadt der Arbeiter- und Bauernrepublik“ gleichermaßen Errungenschaften wie historische Erblasten hinterlassen, unter denen die Stadtentwicklung und der öffentliche Haushalt Gesamtberlins heute leiden. Der Soziale Wohnungsbau West und der DDR-Plattenbau sind dafür die prominentesten Beispiele
Kurzfassung der Studie [Word-Dokument]
Langfassung der Studie [PDF]
09.07.2014