Pressemitteilung Nr. 12/11
Mit dem am 12. April diesen Jahres beschlossenen Gesetzentwurf über ein Wohnraumgesetz will der Berliner Senat sich noch rascher vom Sozialen Wohnungsbau verabschieden. „Dieser Gesetzentwurf nimmt auf die Mieter trotz der milliardenschweren Förderung keine Rücksicht“, kritisierte Mietervereins-Geschäftsführer Reiner Wild. „Dem Entwurf fehlt das erforderliche Mietenkonzept komplett. Zudem will der Senat weitere Belegungsbindungen aufgeben, obwohl die in der jetzigen Wohnungsmarktsituation dringend benötigt werden“.
Die Mietenentwicklung bei zahlreichen Wohnanlagen des Sozialen Wohnungsbaus, in denen im Jahre 2003 den Vermietern die Anschlussförderung verweigert wurde, war Anlass für den Berliner Mieterverein e.V., den Bezirksbürgermeister von Friedrichshain Kreuzberg und das Bündnis Sozialmieter.de ein Wohnraumfördergesetz auch für Berlin zu verlangen, um eine Umstellung des Mietensystems vorzunehmen, nachdem bereits die Bundesländer Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein neue Wege gegangen waren. „Das Ergebnis des vom Senat nun verabschiedeten Gesetzentwurfs ist niederschmetternd. Der Senat schützt die Vermieter und hat nur den Landeshaushalt im Auge“, erklärte Reiner Wild.
1. Dramatische Mietensituation im Sozialen Wohnungsbau
Im November 2009 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, dass angesichts des mittlerweile im Sozialen Wohnungsbau erreichten Mietniveaus, welches das Durchschnittsniveau der nicht preisgebundenen Wohnungen in Teilen erheblich übersteigt, ein mittel- bis langfristiges Konzept für den Ausstieg aus dem bisherigen Fördersystem zu erarbeiten. Als Ziel wurde formuliert, dass der Soziale Wohnungsbau weiterhin seiner Funktion gerecht werden solle um insbesondere einkommensschwache Haushalte angemessen mit Wohnraum zu versorgen. Ausdrücklich wird im ersten Referentenentwurf für das Wohnraumgesetz vom Juli 2010 durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung darauf Bezug genommen, dass das gegenwärtige System einer undifferenzierten Umlage der planmäßigen jährlichen Förderkürzungen von 0,13 Euro pro Quadratmeter im Monat angesichts der Einkommensschwäche vieler Berliner Haushalte nicht mehr sozial vertretbar sei.
Von den rund 172.000 Sozialwohnungen Anfang 2009 lag nach einer Erhebung der Investitionsbank Berlin das Mietniveau bei 73 % (mehr als 125.000 Wohnungen) über 5,- €/qm nettokalt im Monat und damit deutlich über der durchschnittlichen Nettokaltmiete aller freifinanzierten Mietwohnungen in 2008 (4,83 €/qm/mtl. laut Berliner Mietspiegel 2009). Auf die konkreten Mietspiegelfelder (Baujahrgänge 1973-1983 und 1984-1990) bezogen bedeutete dies für die Wohnungsbauprogramme 1972-1986 (mit Anschlussförderung): Bei 27.324 Wohnungen (37 %) lag die Ist-Miete über der ortsüblichen Vergleichsmiete, bei 47.338 Wohnungen (63 %) darunter. Die Mittelwerte dieser Mietspiegelfelder (6,35 €/qm/mtl. bzw. 6,52 €/qm/mtl.) liegen aber bereits mehr als 30 % über dem Durchschnittswert aller freifinanzierter Wohnungen.
Besonders problematisch ist die Situation zahlreicher Mieter in den Wohnanlagen ohne Anschlussförderung. Mit Mietsteigerungen bis zur Kostenmiete (13,- bis 19,- €/qm/nettokalt im Monat) sind vor allem im Bezirk Kreuzberg Mieter zur Kündigung genötigt wurden, obwohl genau dies im deutschen Mietrecht eigentlich unmöglich sein sollte. „Entgegen der stets wiederkehrenden Behauptung des Senats sind die Kreuzberger Mietsteigerungen keine Einzelfälle“, stellt Reiner Wild klar. Aus einer derzeit laufenden Untersuchung des Mietervereins könne vorab festgestellt werden, dass es massive Mietsteigerungen auch in anderen Bezirken gebe. In vielen Fällen seien Migranten die betroffenen Mieter.
Folgende Nettokalt-Miethöhen wurden ermittelt:
Wedding: Koloniestr. 6 a | 15,66 €/qm/monatlich |
Wedding: Müllerstr. 165 a | 08,00 €/qm/monatlich |
Schöneberg: Passauer Str. 12 | 09,27 €/qm/monatlich |
Neukölln: Maybachufer 19 | 10,00 €/qm/monatlich |
2. Mit welchen Regelungen will der Gesetzentwurf diese Mietenentwicklung korrigieren?
Der Gesetzentwurf sieht keinerlei unmittelbare Regelung für die Miethöhe vor. Dies bedeutet:
a) Für die 28.000 Wohnungen ohne Anschlussförderung:
Soweit kein Eigentümerwechsel erfolgt, bleibt es bei dem Risiko, dass die Miete jederzeit auf die Kostenmiete von 13,- bis 19,- €/qm/nettokalt steigen kann.
In den Fällen, wo mit oder ohne Eigentümerwechsel die Miete bereits in Richtung Kostenmiete angehoben wurde, passiert ebenfalls nichts, auch wenn die Miete bereits über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen sollte. Es gibt keine Kappung und auch keine Rückwirkung.
In den Fällen einer Eigentumsübertragung (z.B. auch bei freihändigem Verkauf und bei Zwangsversteigerung) soll die Eigenschaft „öffentlich gefördert“ unmittelbar enden (§ 4 WoG-E Bln). Damit würden Erwerber zukünftig bei Mieterhöhungen auf die ortsübliche Vergleichsmiete „beschränkt“. Eine Anhebung auf die Kostenmiete wäre nicht mehr möglich, aber vielleicht auch nicht mehr nötig, wenn diese Erhöhung von den Alteigentümern bereits vorgenommen wurde, wie z.B. in der Kreuzberger Kochstraße. Aus Sicht des Senats stellen die Anhebungen auf die Kostenmiete die Ausnahme dar. Wenn dies zuträfe, was würde diese gesetzliche Regelung für die nicht so gierigen Erwerber bedeuten: Sie könnten die Miete im Rahmen des Vergleichsmietensystems auf über 9,- €/qm/nettokalt hochtreiben, je nach Mietspiegelfeld und unter Berücksichtigung, dass die Mietsteigerung nicht mehr als 20 % in drei Jahren betragen darf. Damit wäre selbst bei den Sozialwohnungen der Baujahrgänge ab 1991, in denen die Miete bei Eigentumsübergang schon 7,50 €/qm im Monat beträgt, in drei Jahren eine Erhöhung auf 9,- € (dem höchsten Oberwert der Mietspiegelfelder) möglich. Bei Wiedervermietungen wäre der Mietpreis gänzlich frei, er könnte theoretisch auch oberhalb der Kostenmiete liegen.
Daraus folgt für den Berliner Mieterverein:
Außer dem Trostpflaster des verlängerten Sonderkündigungsrechtes (auf nahezu 3 Monate, § 1 WoG-E Bln) bietet der Gesetzentwurf keinen handfesten Schutz vor weiteren drastischen Mieterhöhungen. Ein Wechsel in das Vergleichsmietensystem ist kein durchgreifender Vorteil. Vielmehr fordert der Berliner Mieterverein eine Richtsatzmiete, die unabhängig vom Eigentumsübergang, ein Abstandsgebot in Höhe von bis zu 20 % zur ortsüblichen Vergleichsmiete beinhaltet. Wiedervermietungen sind ebenfalls an die Richtsatzmiete zu binden. Diese Mietenregelung ist z.B. im Wohnraumfördergesetz Baden-Württemberg gewählt worden.
Der Gesetzentwurf schränkt im Übrigen die Handlungsmöglichkeiten der Mieter ein, bei denen nach einer Eigentumsübertragung vor Inkrafttreten des Wohnraumgesetzes eine Mietanhebung in Richtung Kostenmiete vorgenommen wurde. Derzeit wird in mehreren Verfahren gerichtlich versucht, die Kostenmietberechnung von Erwerbern anzugreifen. Bei einem Erfolg würde dies das Geschäftsmodell des schnellen Euro im Sozialen Wohnungsbau für Investoren zunichte machen, zuviel gezahlte Mieten könnten zurückgefordert werden und die Mieten wären noch viele Jahre auf einem niedrigeren Niveau gebunden. Mit einer Ausstiegsklausel für Altfälle (§ 11 WoG-E Bln) könnten die Erwerber im Nachhinein auf das Vergleichsmieten „rüberspringen“ und damit neue Mieterhöhungsspielräume gewinnen. Die vom Mieter gesuchte gerichtliche Klärung würde ins Leere laufen.
Für die 28.000 Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung wird es keine Belegungsbindung geben. Damit gibt es weiter „freie Fahrt“ beim Mietenanstieg.
b) Für die restlichen 135.000 Sozialwohnungen (zum Teil mit Anschlussförderung)
Die Mieten werden weiterhin jährlich um den Abbau der Degression erhöht, wie in den letzten Jahren vermutlich wieder um 0,13 €/qm/mtl. Im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses hat Senatorin Junge-Reyer am 4.5.2011 erklärt, dass es kein Mietenkonzept mehr geben werde, mit dem in der Vergangenheit die Mieterhöhungen in bestimmten Siedlungen oder Wohnlagen bei Maximalbeträgen gekappt wurden. Deshalb wird es gegenüber 2008 und 2009 für rund 60.000 Sozialwohnungen wieder (höhere) Mietsteigerungen geben. Der Senat missachtet im Übrigen den Abgeordnetenhausbeschluss von 2009, im dem nachdrücklich eine Abwendung von den regelmäßigen Mieterhöhungen des Subventionsabbaus gefordert wurde.
Für den Fall der vorzeitigen Rückzahlung von Aufwendungsdarlehen sollen mit Hilfe von Kooperationsvereinbarungen Mietpreisbindungen (§ 2 WoG-E Bln) vereinbart werden. Wie diese von der Höhe und der Dauer her aussehen sollen, bleibt Verwaltungsvorschriften vorbehalten. Für die Mieter bleiben die Mietenbindungen daher intransparent. Der Senat rechnet für diesen Probelauf (bis 2013) der vorzeitigen Darlehensrückzahlung mit 10%igem Barwertabschlag mit einer Inanspruchnahme von 15% der Eigentümer, die Fördermittel in den Programmjahren 1972-1986 in Anspruch genommen haben.
Daraus folgt für den Berliner Mieterverein:
- Ob und wie Mieter Vorteile aus der vorzeitigen Darlehensrückzahlung ziehen können, bleibt ungewiss. Der Gesetzentwurf enthält dazu keine Informationen. In Kauf genommen werden soll dafür aber, dass für jede zweite Wohnung einer Wohnanlage mit vorzeitiger Darlehensrückzahlung die Belegungsbindung komplett entfallen soll. Darüber kann nicht hinwegtrösten, dass bei der anderen Hälfte die Bindungen auf 20 Jahre ausgedehnt werden, denn 8 Jahre würde die Nachwirkungsfrist ohnehin betragen. Letztendlich hängt der Erfolg des Kuhhandels mit den Belegungsbindungen davon ab, wann die Eigenschaft öffentlich gefördert regulär geendet hätte.
- Unterstellt für 15% dieser Sozialmieter kämen Mietvorteile heraus, die unter dem üblichen Mietanstieg wegen Subventionsabbaus liegen, dann verblieben immer noch 115.000 Sozialwohnungen, bei denen es wieder zu den bisherigen Mietssteigerungen kommen würde, was für ca. 60.000 Haushalte wegen der entfallenden Kappungsgrenzen aus dem Mietenkonzept 2008 und 2009 sogar zu einer deutlichen Verschlechterung führen würde.
3. Zusammenfassung:
Der Senat hat für den Sozialen Wohnungsbau keine zukunftweisende Lösung. An der Mietenproblematik wir sich nichts ändern. Je schneller die Wohnungen aus der „Eigenschaft öffentlich gefördert“ herausfallen, desto besser, ist die Devise des Senats. Die Finanzierung des Sozialen Wohnungsbaus in Berlin ab 1972 ist ein Bauskandal ersten Ranges gewesen, an dem Bauunternehmer, Generalübernehmer und Banken zu Lasten des Landeshaushaltes und auch des Bundeshaushaltes profitiert haben. „Doch der Skandal ist noch nicht zu Ende“, erklärte Wild. „Mit Milliarden-Beträgen öffentlicher Fördermittel wurden Sozialwohnungen errichtet, die kaum mehr als 15 Jahre für Haushalte mit niedrigen und durchschnittlichen Einkommen zur Verfügung standen“.
09.07.2014