Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 21.1.2004 – VIII ZR 99/03 -, MM 04, 163
von Frank Maciejewski
Stand: 1.5.2004
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.1.2004 [1] zur Erhöhung der Betriebskosten bei Inklusivmieten ist im Ergebnis unzutreffend.
Es geht um eine mietrechtliche Problematik des „alten West-Berlin“. Die hier an sich zum 31.12.1987 endende Mietpreisbindung wurde durch das GVW [2] in stark abgeschwächter Form bis zum 31.12.1994 verlängert, um „den Übergang in das soziale Mietrecht fließender zu gestalten“. [3]
§ 7 Absatz 4 des GVW bestimmte: „Soweit bis zum 31.12.1987 in preisrechtlich zulässiger Weise Mieterhöhungen wegen gestiegener Betriebskosten durch einseitige Erklärung gegenüber dem Mieter geltend gemacht worden sind, dürfen sie auch nach dem 31.12. 1987 in dieser Form geltend gemacht werden.“
§ 7 Absatz 4 GVW ersetzte demnach eine vertragliche Betriebskostenvereinbarung. Eine Betriebskostenvereinbarung bei Betriebskostenerhöhungen nach § 4 Absatz 2 MHG (jetzt: § 560 Absatz 1 bis 3 BGB i.V.m. Artikel 229 § 3 Absatz 4 EGBGB) war und ist zwingend erforderlich. [4] Unter einer Betriebskostenvereinbarung ist eine vertragliche Abmachung zu verstehen, dass (und welche) Betriebskostenerhöhungen auf den Mieter abgewälzt werden dürfen. Man kann davon ausgehen, dass so gut wie keiner der vor 1988 abgeschlossenen Berliner Mietverträge über eine preisgebundene Altbauwohnung eine wirksame Betriebskostenvereinbarung enthielt. Die damals üblichen, am Bundesmietengesetz orientierten „Gleitklauseln“ erfüllten nicht die Mindestvoraussetzungen einer wirksamen – formularvertraglichen – Betriebskostenvereinbarung. [5]
In der BGH-Entscheidung geht es unter anderem darum, wie lange – und ob über den 31.12.1994 hinaus – § 7 Absatz 4 GVW als Surrogat Wirkung entfaltet.
Die Entscheidung des BGH lässt sich in zwei Kernaussagen zusammenfassen:
1. Mit dem Außerkrafttreten des GVW in Berlin am 31.12.1994 ist die Möglichkeit entfallen, den Betriebskostenanteil bei Teilinklusivmieten nach § 4 Absatz 2 MHG (jetzt: § 560 Absatz 1 bis 3 BGB i.V.m. Artikel 229 § 3 Absatz 4 EGBGB) zu erhöhen, wenn – wie regelmäßig – ein wirksamer Erhöhungsvorbehalt im Mietvertrag fehlte. Seit dem 1.1.1995 konnte daher die Steigerung der Betriebskosten in diesen Fällen nur noch im Rahmen einer Anpassung der Miete an die ortsübliche Miete gemäß § 2 MHG (jetzt: § 558 BGB) berücksichtigt werden.
2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Mieter bis zum Ablauf des Jahres 1994 vom Vermieter vorgenommene Mieterhöhungen wegen gestiegener Betriebskosten akzeptiert hat. Ein stillschweigendes Einverständnis auch mit künftigen derartigen Mieterhöhungen lag darin schon deshalb nicht, weil die Maßnahme der damaligen Gesetzeslage im Land Berlin entsprach und ein Widerspruch des Mieters daher aussichtslos gewesen wäre.
Diesen Aussagen kann so nicht gefolgt werden. Die vom Gesetzgeber gewissermaßen „angeordneten“ Betriebskostenerhöhungen nach § 7 Absatz 4 GVW sollen nach dem 31.12.1994 nicht mehr möglich sein. Der Bestandsschutz, den § 7 Absatz 4 GVW bietet, soll nach Ansicht des BGH abrupt enden. Dass dies nicht mit Sinn und Zweck des GVW zu vereinbaren ist, ergibt sich aus dessen Begründung, wonach das GVW den Übergang in das Recht des (damals geltenden) MHG erleichtern soll. Unter Geltung des MHG war aber eine Betriebskostenerhöhung ohne Betriebskostenvereinbarung nicht möglich. Gerade deshalb wurde die Vorschrift des § 7 Absatz 4 GVW erlassen. Völlig zu Recht weist Beuermann [6] darauf hin, dass die Entscheidung des BGH im Hinblick auf Artikel 14 GG verfassungsrechtlich bedenklich ist und eine Auseinandersetzung mit dem vom BGH hingenommenen Fortfall des Bestandsschutzes wünschenswert und notwendig gewesen wäre. Denn der vom BGH in Betracht gezogene Ersatz für den Wegfall der Betriebskostenerhöhung, die Mietanhebung nach § 558 BGB, stellt nicht immer ein Äquivalent dar, beispielsweise dann nicht, wenn die Bruttomiete schon das ortsübliche Niveau erreicht hat.
Der Verfasser hatte schon 1994 [7] ausgeführt:
„§ 7 Abs. 4 GVW ersetzte im (West-)Berliner Altbau eine solche Betriebskostenvereinbarung durch gesetzliche Fiktion: Es durften auch ohne Vereinbarung alle gesetzlich zulässigen Betriebskostenerhöhungen geltend gemacht werden. Mit Außerkrafttreten des § 7 Abs. 4 GVW ermangeln demnach einige hunderttausend vor dem 1.1.1988 abgeschlossene Altbaumietverträge einer ausdrücklichen Betriebskostenvereinbarung. Die Folge wäre an sich: Ohne Betriebskostenvereinbarung dürfte keine Betriebskostenerhöhung nach § 4 Abs. 2 MHG ab dem 1.1.1995 mehr zulässig sein! … Richtig – weil gerecht – ist jedoch folgende Lösung: … In den Fällen, wo eine konkludente Vertragsänderung mangels eines Rechtsbindungswillen des Mieters ausscheidet, ist § 7 Abs. 4 GVW weiterhin analog anzuwenden, weil nach Treu und Glauben eine solche Nachwirkung der bis zum 31.12.1987 geltenden Mietpreisbindung für Altverträge geboten erscheint. Zu Recht verweist Beuermann (GE 94, 1072) obendrein auf die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung, die zum selben Ergebnis führen. Sollte allerdings seit dem 1.1.1988 keine einzige Betriebskostenerhöhung nach § 4 Abs. 2 MHG erfolgt sein, kann eine solche nach dem 31.12.1994 ohne Einverständnis des Mieters (Vertragsänderung) nicht mehr vorgenommen werden. In diesen – wohl sehr seltenen – Fällen ist ein schützenswertes Interesse des Vermieters an der analogen Fortgeltung des § 7 Abs. 4 GVW nicht ersichtlich.“
Dieser Ansicht ist – im Ergebnis – die gesamte hierzu bekannte Rechtsprechung beigetreten. Die Gerichte waren sämtlichst der Ansicht, dass über § 7 Absatz 4 GVW bei ehemals preisgebundenem Altbau weiterhin die Erhöhung der Betriebskosten geltend gemacht werden kann. [8] Auch in der Literatur [9] wird diese Ansicht allgemein vertreten. Es ist bedauerlich – und handwerklich ein Fehler -, dass der BGH sich mit diesen Stimmen nicht auseinander gesetzt hat.
Im Übrigen: Wer der Rechtsmeinung des BGH folgt, muss auch für die weitaus größere Zahl von Mietverhältnissen im Beitrittsgebiet unter Hinweis auf die dem § 7 Absatz 4 GVW vergleichbare Vorschrift des § 14 MHG den Standpunkt vertreten, dass bei den so genannten „DDR-Mietverträgen“ seit dem 1.1.1998 keine Abwälzung der Betriebskosten über eine Abrechnung mehr möglich ist, wenn seitdem nicht eine ausdrückliche (oder schlüssige) Betriebskostenvereinbarung getroffen wurde.
Nach allem fällt es schwer zu glauben, dass die Berliner Rechtsprechung im Ergebnis der vom BGH vorgezeichneten Linie folgen wird. Aber selbst wenn man die Rechtsansicht des BGH für zutreffend hält, wirkt sich das Urteil nur noch auf wenige Mietverhältnisse aus. Relevant kann die BGH-Entscheidung nur werden, wenn
- es sich um einen Mietvertrag über eine Altbauwohnung im Westteil von Berlin handelt,
- der Vertrag vor dem 31.12.1987 abgeschlossen wurde,
- eine Inklusiv- oder Teilinklusivmiete vereinbart wurde und
- seit dem 1.1.1995 kein Erhöhungsvorbehalt ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten der Parteien vereinbart wurde.
Bei letzterer Voraussetzung ist strittig, ob schon durch einmalige Hinnahme bzw. Zahlung einer Betriebskostenerhöhung zugleich auch eine künftig geltende Betriebskostenvereinbarung durch schlüssiges Handeln bewirkt werden kann. [10] Richtig dürfte sein, dass allein die Tatsache, dass der Mieter auf eine Betriebskostenerhöhung gezahlt hat, nicht auf eine stillschweigende Vertragsänderung schließen lässt, die die fehlende Betriebskostenvereinbarung hätte ersetzen können. Eine Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten setzt voraus, dass der Mieter wusste, dass er zur Zahlung des erhöhten Mietzinses nicht verpflichtet ist. [11]
Aber möglicherweise kommt es auf die Entscheidung des BGH gar nicht mehr an. Nach einer mittlerweile nicht nur vereinzelt geäußerten Auffassung [12] sind seit dem 1.1.2003 Betriebskostenerhöhungen – auch bei Altverträgen – ohnehin nicht mehr zulässig.
Dies wird wie folgt begründet:
- Seit Inkrafttreten der Mietrechtsreform zum 1.9.2001 sind Betriebskostenerhöhungen bei Inklusiv- oder Teilinklusivmieten gesetzlich nicht mehr vorgesehen. Dies ist unstrittig.
- Für vor dem 1.9.2001 abgeschlossene Mietverträge sieht jedoch Artikel 229 § 3 Abs. 4 EGBGB eine Bestandsschutzregelung vor, wonach die Betriebskostenerhöhungen weiterhin entsprechend § 560 BGB vorgenommen werden können. Diese Vorschrift hat fast ausschließlich im Westteil Berlins – sowie in Teilen der „alten“ Bundesrepublik – eine Bedeutung.
- Nun wird vertreten [13] , dass Artikel 229 § 5 Satz 2 EGBGB [14] den Artikel 229 § 3 Absatz 4 EGBGB verdränge, mit der Folge, dass zum 1.1.2003 das BGB in seiner aktuellen Fassung auch für Altverträge uneingeschränkt gilt. Die Bestandsschutzvorschrift für Betriebskostenerhöhungen ist danach seit dem 1.1.2003 außer Kraft. Unabhängig von abweichenden Vertragsvereinbarungen kann der Vermieter daher ab dem 1.1.2003 keine Betriebskostenerhöhung mehr vornehmen, weil nach § 556 BGB und § 560 BGB diese Möglichkeit nicht vorgesehen ist und abweichende vertragliche Vereinbarungen an § 556 Absatz 4 BGB und an § 560 Absatz 6 BGB scheitern.
Diese vor allem von Schmidt-Kessel [15] in die Welt gesetzte Rechtsauffassung, der zufolge sämtliche Übergangsvorschriften zur Mietrechtsreform seit dem 1.1.2003 keinen Bestand mehr haben sollen, führt, wie die Lektüre des Artikel 229 § 3 EGBGB unschwer zeigt, zu weit reichenden – vom Gesetzgeber nicht gewollten – Folgen. Die Folgen sind teilweise derart absurd [16], dass diese Rechtsmeinung schon deshalb abzulehnen ist. Wiek [17] hat recht, wenn er ausführt: „Der Vorrang des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes als späteres Gesetz reicht nur so weit wie sein Regelungsgehalt. Artikel 229 § 5 EGBGB bestimmt nur den zeitlichen Geltungsbereich der durch die Schuldrechtsreform geänderten Vorschriften. … Für ein „Überspielen“ der Übergangsvorschrift zum neuen Mietrecht bietet Artikel 229 § 5 EGBGB mit seiner auf das geänderte Schuldrecht beschränkten Reichweite keine Grundlage.“ Auch Beuermann [18] ist zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass aus dem Gesetzeszweck zu ermitteln sei, ob ein späteres Gesetz (hier Artikel 229 § 5 EGBGB) mit dem älteren Gesetz (hier Artikel 229 § 3 EGBGB) inhaltlich unvereinbar ist und dieses damit aufhebt. Artikel 229 § 5 EGBGB sei das allgemeinere Gesetz und könne daher Artikel 229 § 3 EGBGB als ältere Sondervorschrift nicht aufheben. Dass die Auffassung von Schmidt-Kessel unzutreffend ist, ergibt sich darüber hinaus aber schon aus dem Wortlaut des Artikel 229 § 5 EGBGB. Satz 2 der Vorschrift ist ohne deren Satz 1 nicht zu verstehen. In Satz 1 befindet sich aber die Wendung „soweit nicht ein anderes bestimmt ist“ [19]. Eine derartige anderweitige Bestimmung stellt aber Artikel 229 § 3 EGBGB dar.
Fazit: Entgegen der Auffassung von Schmidt-Kessel und des Bundesgerichtshofs sind Erhöhungen der Betriebskosten bei Altverträgen [20] mit Inklusiv- oder Teilinklusivmiete wie bisher möglich.
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[1]
Eine Parallelentscheidung vom 21.1.2004 mit dem Aktenzeichen – VIII ZR 101/03 – ist in WM 04, 151 und GE 04, 229 veröffentlicht.
[2]
„Gesetz zur dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation im Land Berlin“ v. 14.7.1987 [GVBl. 87, 1988].
[3]
so die Gesetzesmaterialien, abgedruckt bei Beuermann, Miete und Mieterhöhung bei preisfreiem Wohnraum, 1. Aufl., Seite 269.
[4]
h.M. in der Rechtsprechung: OLG Zweibrücken, ReMiet, WM 81, 153; OLG Karlsruhe, ReMiet, WM 81, 56; OLG Stuttgart, ReMiet, WM 83, 285; OLG Hamm, ReMiet, WM 84, 121; LG Berlin MM 92, 65.
[5]
vgl. BGH v. 20.1.1993 – VIII ZR 10/92 – GE 93, 359; NJW 93, 1061; ZMR 93, 263; WM 93, 109; BBauBl 94, 552; DWW 93, 74.
[6]
GE 04, 214 (215) und zum Problem auch schon in GE 00, 939.
[7]
Maciejewski MM 94, 393 (395):
[8]
LG Berlin v. 8.11.2001 – 62 S 244/01 – GE 01, 1674; LG Berlin v. 14.2.1997 – 63 S 410/96 -, GE 97, 493; LG Berlin v. 14.7.1998 – 63 S 165/98 -, ZMR 99, 29; LG Berlin v. 6.11.1998 – 64 S 219/97 -, MM 99, 127; NZM 99, 1138, 1139; Kammergericht v. 5.8.1997 – 8 REMiet 8850/96 -, MM 97, 319; WM 97, 540; GE 97, 1097; DWW 97, 339; ZMR 97, 590; NZM 98, 68; OLG Hamm v. 20.8.1997 – 30 REMiet 2/97 -, GE 97, 1165; WM 97, 538; ZMR 97, 594; NZM 98, 70; NJW-RR 98, 298.
[9]
Emmerich-Sonnenschein, 7. Aufl. 1999, RN 6 zu § 7 GVW; Kinne in Kinne/Schach, 3. Aufl. RN 87 zu § 560 BGB; Beuermann, Miete und Mieterhöhung, 2. Aufl. RN 6 zu § 7 GVW; Beuermann/Blümmel, Das neue Mietrecht 2001, Seite 157.
[10]
dafür LG Berlin v. 10.9.2002 – 64 S 43/02 -, GE 02, 1566; dagegen LG Berlin v. 7.4.1992 – 64 S 429/91 -, GE 92, 1097.
[12]
Schmidt-Kessel NJW 03, 3748; Lützenkirchen WM 04, 58 (72); aber im Ergebnis wohl auch AG Speyer WM 04, 86; Klaas WM 04, 86. Hinweis: Die Autoren beziehen sich explizit nur auf die „Kündigungsfrist“. Ihre Überlegungen gelten jedoch auch für die anderen in Art 229 § 3 EGBGB geregelten Bereiche, so auch für die Betriebskostenerhöhung.
[13]
Siehe vorangehende Endnote.
[14]
Artikel 229 § 5 EGBGB lautet:
Allgemeine Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001
Auf Schuldverhältnisse, die vor dem 1.1.2002 entstanden sind, sind das Bürgerliche Gesetzbuch, das AGB-Gesetz, das Handelsgesetzbuch, das Verbraucherkreditgesetz, das Fernabsatzgesetz, das Fernunterrichtsschutzgesetz, das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, das Teilzeit-Wohnrechtegesetz, die Verordnung über Kundeninformationspflichten, die Verordnung über Informationspflichten von Reiseveranstaltern und die Verordnung betreffend die Hauptmängel und Gewährfristen beim Viehhandel, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden.
Satz 1 gilt für Dauerschuldverhältnisse mit der Maßgabe, dass anstelle der in Satz 1 bezeichneten Gesetze vom 1.1.2003 an nur das Bürgerliche Gesetzbuch, das Handelsgesetzbuch, das Fernunterrichtsschutzgesetz und die Verordnung über Informationspflichten nach bürgerlichem Recht in der dann geltenden Fassung anzuwenden sind.
[16]
vgl. Beuermann GE 04, 146.
[20]
Das sind Verträge, die vor dem 1.9.2001 abgeschlossen wurden.
24.11.2016