Leitsatz:
Zur Beschränkung des Auskunftsrechts über die Herkunft von Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. g DS-GVO durch datenschutzrechtlich geschützte Interessen Dritter.
BGH vom 22.2.2022 – VI ZR 14/21 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 23 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Mit Schreiben vom 31. Juli 2019 teilte die Vermieterin dem Mieter Folgendes mit: „Aufgrund von Beschwerden über starke Geruchsbelästigung und Ungeziefer im Treppenhaus möchten wir eine Begehung Ihrer Wohnung durchführen. Unser Mitarbeiter, Herr K., wird am Donnerstag, den 15.8.2019 um 10 Uhr die Wohnungsbesichtigung durchführen.“ Nach dem genannten Termin erhielt der Mieter ein Schreiben der Vermieterin folgenden Inhalts: „Leider haben wir die an Sie vermietete Wohnung am 15.8.2019 in einem verwahrlosten Zustand vorgefunden. Da Sie in einer Hausgemeinschaft wohnen und wir für Ihre Mitbewohner Sorge tragen, erwarten wir, dass Sie umgehend eine Reinigung und Entrümpelung der Wohnung vornehmen.“ Die Vermieterin kündigte eine erneute Wohnungsbesichtigung zur Überprüfung der Reinigungsarbeiten für den 18.9. 2019 an. Mit Schreiben vom 19.8. und 9.9.2019 verlangte der Mieter unter Verweis auf die Datenschutz-Grundverordnung Auskunft darüber, „welcher seiner Mitbewohner sich über ihn beschwert haben soll.“ Darauf antwortete die Vermieterin dem Mieter: „Die Beschwerden bezüglich der Wohnung P. wurden revidiert und es wurde berichtet, dass vor kurzem die Wohnung gereinigt wurde. Der Termin am 18.9.2019 für die Wohnungsbesichtigung durch den Vermieter wäre somit hinfällig. Im Interesse der Hausgemeinschaft schlagen wir vor, die Angelegenheit ruhen zu lassen.“
Dem wollte der Mieter nicht folgen. Stattdessen erhob er Klage, gestützt auf Art. 15 Abs. 1 DS-GVO, auf Auskunft über die bei der Vermieterin verarbeiteten, ihn betreffenden personenbezogenen Daten, einschließlich der Auskunft darüber, welcher seiner Mitbewohner sich über ihn beschwert haben soll.
Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab.
Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Befassung dorthin zurück, weil das OLG die Interessen des Mieters einerseits und die des Hinweisgebers andererseits nicht richtig abgewogen hätte.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 1 DS-GVO habe die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Sei dies der Fall, habe sie gemäß Halbsatz 2 ein Recht auf Auskunft über diese Daten und gemäß Halbsatz 2 lit. g ein Recht auf alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben worden seien.
Bei den Informationen über „starke Geruchsbelästigung und Ungeziefer im Treppenhaus“ unter Bezugnahme auf die Wohnung des Mieters, über deren Herkunft der Mieter informiert werden möchte, handele es sich um „personenbezogene Daten“ im Sinne von Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO.
Die genannten personenbezogenen Daten habe die Vermieterin in ihrem Schreiben vom 31.7.2019 verwendet, in welchem sie „aufgrund von Beschwerden über starke Geruchsbelästigung und Ungeziefer im Treppenhaus“ eine Besichtigung der Wohnung des Mieters angekündigt habe. Spätestens damit habe sie die Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DS-GVO verarbeitet.
Das Auskunftsrecht des Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. g DS-GVO bestehe jedoch nicht einschränkungslos. Vielmehr könne das Auskunftsrecht auch durch Rechte und Freiheiten anderer Personen eingeschränkt sein. Daher seien das Auskunftsinteresse des hier betroffenen Mieters und das Geheimhaltungsinteresse des Hinweisgebers gegeneinander abzuwägen. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG bestehe das Recht auf Auskunft der betroffenen Person gemäß Art. 15 DS-GVO nicht, soweit durch die Auskunft Informationen offenbart würden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Informationen, die ihrem Wesen nach einer Geheimhaltungspflicht unterliegen können, können auch personenbezogene Daten eines Dritten sein.
Allerdings führe allein der Einwand der auf Auskunft in Anspruch genommenen Vermieterin, dem Hinweisgeber Vertraulichkeit zugesichert zu haben, noch nicht zum Recht, dem Auskunftsersuchenden die Information zu verweigern, ebenso wenig ein pauschaler Verweis auf das Schutzbedürfnis des Hinweisgebers. Vielmehr habe das Interesse an der Geheimhaltung des Hinweisgebers gegenüber dem Auskunftsinteresse regelmäßig dann zurückzutreten, wenn der Hinweisgeber wider besseres Wissen oder leichtfertig unrichtige Angaben zu personenbezogenen Daten der betroffenen Person gemacht habe.
Aber auch wenn die Angaben „nur“ objektiv falsch waren – der Hinweisgeber also nicht böswillig gehandelt habe – könne das Auskunftsinteresse überwiegen, nämlich dann, wenn die unzutreffenden Angaben die Rechte der betroffenen Person beeinträchtigen und dieser Ansprüche auf Schadensersatz und Unterlassung gegen den Hinweisgeber zustehen können.
Dies sei – wie vorliegend – bei einer unwahren Tatsachenbehauptung, die anders als in der Regel eine wahre Tatsachenbehauptung nicht hingenommen werden müsse, unabhängig vom Verschulden des Hinweisgebers regelmäßig der Fall. Durch die Auskunft über die Identität des Hinweisgebers werde der Auskunftsberechtigte dann in die Lage versetzt, solche Ansprüche gegen die Person, von der die unrichtigen Daten herrührten, geltend zu machen.
Danach sei nicht davon auszugehen, dass durch die vom Mieter verlangte Auskunft über die Herkunft der von der Vermieterin verarbeiteten personenbezogenen Daten („starke Geruchsbelästigung und Ungeziefer im Treppenhaus“ mit Bezug zur Wohnung des Klägers) die Rechte und Freiheiten des Hinweisgebers beeinträchtigt würden. Denn die Offenlegung der Identität des Hinweisgebers gegenüber dem Mieter wäre zur Wahrung des berechtigten Interesses des Mieters, nämlich seines Rechtes auf Auskunftserteilung gemäß Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 lit. g DS-GVO, erforderlich. Die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten des Hinweisgebers, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwögen demgegenüber nicht.
Eine etwaige Erwartung des Mitbewohners, dass seine Beschwerde über angebliche Störungen der Hausordnung vertraulich behandelt werde, genüge jedenfalls dann nicht, wenn seine Beschwerde unrichtige Tatsachenbehauptungen zum Gegenstand gehabt habe.
Letztlich könne der Vermieter die Auskunft auch nicht mit Verweis darauf verweigern, dass es ihm bei der Offenlegung von Hinweisgebern nicht möglich sei, seine Aufgaben effektiv und sachgerecht zu erfüllen, insbesondere Ordnung und Frieden in der Hausgemeinschaft zu erhalten. Es bestehe auch nicht die Gefahr, dass keine Missstände mehr angezeigt würden, denn Hinweise ließen sich auch anonym erteilen.
29.08.2022