Leitsätze:
a) Die Zivilgerichte haben im Rahmen eines Rechtsstreits über ein Mieterhöhungsverlangen zu prüfen, ob eine von der Landesregierung erlassene Kappungsgrenzen-Verordnung den Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigung in § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB in Verbindung mit Satz 2 genügt und auch im Übrigen mit höherrangigem Recht in Einklang steht.
b) Die vorgenannte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage genügt dem Bestimmtheitsgebot nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG noch gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder gegen die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).
c) Die Kappungsgrenzen-Verordnung des Landes Berlin vom 7. Mai 2013 (GVBl. S. 128) hält sich im Rahmen des der Landesregierung als demokratisch legitimiertem und politischem Staatsorgan von der gesetzlichen Ermächtigung in mehrfacher Hinsicht eingeräumten politischen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums. Dieser ist von den Fachgerichten nur beschränkt dahin überprüfbar, ob die getroffene Maßnahme den Rahmen der Zweckbindung der gesetzlichen Ermächtigung überschreitet.
d) Die Kappungsgrenzen-Verordnung des Landes Berlin vom 7. Mai 2013 genügt ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie verletzt weder die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) noch den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).
BGH vom 4.11.2015 – VIII ZR 217/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 60 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Mit Schreiben vom 1. September 2013 forderte der Vermieter vom Mieter die Zustimmung zur Erhöhung der monatlichen Miete um 20 Prozent. Er hält die Berliner Kappungsgrenzen-Verordnung insbesondere deswegen für unwirksam, weil diese die Kappungsgrenze für das gesamte Stadtgebiet Berlins herabsetze, obwohl nicht in allen Stadtteilen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet sei. Der Mieter hatte nur einer Erhöhung um 15 Prozent zugestimmt. Die Klage des Vermieters hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.
Der BGH entschied am Ende, dass die Kappungsgrenzen-Verordnung des Landes Berlin rechtmäßig ist, so dass der Vermieter im Hinblick auf § 558 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB vom Mieter nicht die Zustimmung zu einer 15 Prozent übersteigenden Mieterhöhung verlangen kann.
Zunächst bejahte der BGH eine Verpflichtung der Zivilgerichte, zu prüfen ob eine von der Landesregierung erlassene Kappungsgrenzen-Verordnung den Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigung in § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB in Verbindung mit Satz 2 genüge und auch im Übrigen mit höherrangigem Recht in Einklang stehe. Nach Durchführung der gebotenen Prüfung gelangte der BGH zu der Überzeugung, dass die Kappungsgrenzen-Verordnung auf einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage beruhe, den gesetzlichen Rahmen nicht überschreite und ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge.
Die Ermächtigungsgrundlage für die Kappungsgrenzen-Verordnung (§ 558 Abs. 3 Satz 3 BGB) begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere verstoße sie nicht gegen die in Art. 14 Abs. 1 GG verbürgte Eigentumsgarantie, sondern erweise sich als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1
Satz 2 GG. Die genannte Bestimmung verfolge ein legitimes, dem öffentlichen Interesse dienendes Regelungsziel, nämlich in Gebieten mit besonderer Gefährdungslage einen zu raschen Anstieg von Mieten auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete zu dämpfen. Sie stelle einen angemessenen, auch die Belange der Vermieter hinreichend berücksichtigenden und damit verhältnismäßigen Interessenausgleich her. Insbesondere sei zur Erreichung des Regelungszwecks ein weniger einschneidendes, aber gleich wirksames Mittel nicht eindeutig feststellbar. Denn der Gesetzgeber habe sich bei § 558 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB für eine geringe Eingriffsintensität entschieden. Er habe – anders als bei früheren Gesetzesänderungen – keine flächendeckende und zeitlich
unbefristete Absenkung der Kappungsgrenze vorgesehen. Die gesetzliche Maßnahme sei auch nicht unzumutbar, denn der Kernbereich des Eigentums (Bestandsgarantie) werde hierdurch nicht berührt. Es sei weder geltend gemacht noch erkennbar, dass die Wirtschaftlichkeit der Vermietung hierdurch ernsthaft in Frage gestellt sei.
Des Weiteren sei die Kappungsgrenzen-Verordnung des Landes Berlin vom 7. Mai 2013 von der Ermächtigungsgrundlage des § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB gedeckt. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Berliner Senat die gesamte Stadt Berlin als Gebiet ausgewiesen habe, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet und daher die Mieterhöhungsmöglichkeit auf eine Steigerung um höchstens 15 Prozent begrenzt sei (vgl. § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB).
Der Gesetzgeber habe dem Verordnungsgeber als seinerseits demokratisch legitimiertes Rechtssetzungsorgan bei der Beurteilung und Ermittlung der für den Erlass der Verordnung nach § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB maßgeblichen Umstände einen weiten wohnungsmarkt- und sozialpolitischen Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum eingeräumt, der anhand der örtlichen Gegebenheiten ausgefüllt werden müsse. Dies gelte zunächst für die Festlegung der relevanten Gebiete nebst der Auswahl der Bezugsebene (gesamte Gemeinde oder Teile hiervon), aber auch für den zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung und für die Auswahl geeigneter methodischer Ansätze. Diese Spielräume überschreite der Verordnungsgeber erst dann, wenn sich seine Erwägungen nicht mehr innerhalb der Zweckbindung der Ermächtigungsgrundlage bewegen und offensichtlich verfehlt seien.
Das sei hier nicht der Fall. Denn es sei nicht feststellbar, dass etwa allein die Beschränkung der Gebietsbestimmung auf bestimmte Teile von Berlin sachgerecht gewesen wäre oder dass der Verordnungsgeber ungeeignete Indikatoren herangezogen hätte. Zutreffend sei der Berliner Senat bei Erlass der Verordnung davon ausgegangen, dass in Anbetracht des mit § 558 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB verbundenen Regelungszwecks vom Gesetzgeber bei der Beurteilung der Mangellage eine Differenzierung nach Gemeindeteilen nicht zwingend vorgeschrieben werde. Es spreche auch nichts dafür, dass die zur Bestimmung der Wohnungsmarktsituation vom Berliner Senat herangezogenen Indikatoren ungeeignet gewesen wären. Soweit der Vermieter abweichendes Datenmaterial herangezogen habe, lasse er zum einen außer Acht, dass dieses im Zusammenhang mit einem anderen Gesetzesvorhaben erhoben worden sei und lasse zum anderen unberücksichtigt, dass Gerichte nicht ihre eigene Bewertung an die Stelle des weitreichenden Beurteilungs- und Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers setzen dürften und daher nur überprüfen könnten, ob das methodische Konzept des Verordnungsgebers – so wie hier – tragfähig sei.
Die Kappungsgrenzen-Verordnung des Landes Berlin verletze schließlich auch keine Grundrechte des Vermieters. Insbesondere verstoße sie nicht gegen das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG). Die getroffene Maßnahme stelle einen verhältnismäßigen Eingriff dar. Der Senat von Berlin sei vor allem nicht gehalten gewesen, als mildere Maßnahme den Geltungsbereich der Verordnung nur auf einen Teil des Stadtgebiets zu erstrecken. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn eindeutig feststünde, dass eine beschränkte Gebietsausweisung den mit der Verordnung angestrebten Zweck sachlich gleichwertig erreichen würde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dem Verordnungsgeber hinsichtlich der Einschätzung der Erforderlichkeit einer Maßnahme ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zukomme. Dieser Spielraum sei hier nicht überschritten, denn mit einer stärkeren räumlichen Begrenzung der Verordnung wäre nicht in gleicher Weise rasch und wirksam eine Verlangsamung des Anstieges der Bestandsmieten zu erreichen. Die besondere Gefährdung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen sei aufgrund der vor allem in Ballungsräumen, Industrie- und Universitätsstädten sowie in Städten mit herausgehobener zentraler Lage oder Funktion wirkenden vielfältigen Impulse und der hierdurch ausgelösten spezifischen Labilität des Wohnungsmarktes grundsätzlich räumlich nicht exakt eingrenzbar.
26.01.2016