Leitsatz:
Es besteht eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Wohnraummieters, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund (hier: beabsichtigte Veräußerung der Wohnung) gibt. Eine solche Pflicht kann sich zudem aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag ergeben.
BGH vom 26.4.2023 – VIII ZR 420/21 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 15 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Im 2017 abgeschlossenen Mietvertrag fand sich folgende Klausel:
„Betreten der Mieträume
1. Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei. […]“
Im Jahr 2019 forderte der Vermieter die Mieterin im Hinblick auf den von ihm beabsichtigten Verkauf der Wohnung auf, ihm den Zutritt zu der Wohnung in Begleitung von Immobilienmaklern und Kaufinteressenten zu gestatten. Die Mieterin lehnte dies unter Verweis auf ihre schwerwiegende psychische Erkrankung ab.
Daraufhin verklagte der Vermieter die Mieterin auf die Gewährung von Zutritt zur Wohnung gemeinsam mit den vorgenannten Personen an einem Werktag zwischen 10 und 18 Uhr nach einer mindestens drei Werktage vorhergehenden Ankündigung.
Das Amtsgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben und die Mieterin verurteilt, dem Vermieter oder einer von ihm mit schriftlicher Bevollmächtigung ausgestatteten Person (Makler oder Kaufinteressent) nach schriftlicher, zeitlich mindestens eine Woche vor dem Termin liegender Ankündigung in dem vorgenannten Zeitraum Zutritt zu der Mietwohnung, beschränkt auf die Anwesenheit von maximal zwei Personen für die Dauer von maximal 45 Minuten, zu gewähren.
Auf die Berufung der Mieterin hat das Landgericht nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der BGH indes hob das Urteil des Landgerichts auf. Während der Dauer des Mietverhältnisses sei das alleinige und uneingeschränkte Gebrauchsrecht an der Wohnung zwar dem Mieter zugewiesen. Zudem stehe die Wohnung des Mieters als die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfalte, unter dem Schutz des Artikels 13 Abs. 1 GG, der das Recht gewährleiste, in diesen Räumen „in Ruhe gelassen zu werden“. Jedoch bestehe eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gebe. Eine solche Pflicht könne sich zudem – wie hier – aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag ergeben.
Bei der Prüfung, ob ein solcher konkreter sachlicher Grund vorliege, sei einerseits dem Eigentumsrecht des Vermieters (Artikel 14 Abs. 1 GG), andererseits auch dem Recht des Mieters, in den Mieträumen „in Ruhe gelassen“ zu werden (Artikel 13 Abs. 1 GG), und seinem ebenfalls von Artikel 14 Abs. 1 GG geschützten Recht am Besitz der Mietwohnung Rechnung zu tragen. Die Tatgerichte seien insofern gehalten, die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.
Unter besonderen Umständen könnten die Interessen des Vermieters jedoch – ausnahmsweise – eine Beschränkung erfahren, wenn der Mieter durch die Besichtigung der Wohnung der Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar einer Lebensgefahr ausgesetzt und damit in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz beeinträchtigt sei.
Vorliegend habe das Berufungsgericht zur Beurteilung der vorbezeichneten Gefahren das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen eingeholt. Das Berufungsgericht sei entsprechend der Beurteilung des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl bei Erlass als auch bei der Vollstreckung eines Urteils, das ein Betretungsrecht zugunsten des Vermieters ausspreche, ein hohes Risiko für Handlungen der Mieterin mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum vollendeten Suizid bestehe und Maßnahmen, die das Risiko einer solchen erheblichen Verschlechterung signifikant verringerten, derzeit nicht ersichtlich seien.
Mit den Ausführungen des Sachverständigen, wonach sich das Risiko für gesundheitliche Komplikationen, wenn sich die Mieterin bei einem Betreten der Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, im Vergleich zu einer Besichtigung bei persönlicher Anwesenheit der Mieterin verringere, habe sich das Berufungsgericht dagegen unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO nicht auseinandergesetzt, obwohl sie der Annahme einer durch das Betreten der Wohnung nicht zu vermeidenden Gesundheitsverschlechterung der Mieterin entgegenstünden. Es habe eine Vertretung der Mieterin bei der Wohnungsbesichtigung lediglich als eine Maßnahme im Fall einer eventuellen Besserung des Gesundheitszustands der Mieterin in Erwägung gezogen.
Im Streitfall sei nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die vorgenannten Ausführungen des Sachverständigen in seine Würdigung miteinbezogen beziehungsweise den Sachverständigen zu seinen möglicherweise nur scheinbar – widersprüchlichen Feststellungen ergänzend befragt hätte.
Nach alledem könne das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es sei daher aufzuheben. Die Sache sei zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
01.09.2023