Leitsatz:
Ansprüche auf Miete aus Wohnraummietverträgen können im Urkundenprozess geltend gemacht werden.
BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 216/04 –
komplette Entscheidung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 12 Seiten]
Kommentar des Mietervereins Hamburg:
In manchen Medien wurde der Eindruck erweckt, als habe der BGH das Recht des Mieters zur Mieteminderung bei Wohnungsmängeln erschwert oder gar abgeschafft. Davon kann aber keine Rede sein! Das am 1.6.2005 ergangene Urteil (VIII ZR 216/04) betrifft nur eine prozessrechtliche Frage: Der Vermieter kann Geldforderungen, zu denen auch der Anspruch auf Mietezahlung zählt, im so genannten Urkundsprozess geltend machen. Das bedeutet, dass er seinen Zahlungsanspruch durch Vorlage geeigneter Urkunden (z.B. des Mietvertrages) untermauern kann. Beim Urkundsprozess kann der Mieter sich auch nur mit Urkunden verteidigen, also nicht etwa mit dem Hinweis auf bestehende Wohnungsmängel. Der Vermieter erhält also recht schnell ein vollstreckbares Urteil.
Aber: Der Mieter kann anschließend den Prozess weiterführen und sich dann sehr wohl auf die Mängel berufen. Kommt der Richter zum Ergebnis, dass die Mietekürzung zu Recht erfolgte, so wird die Klage letztlich abgewiesen. Der Vermieter muss nicht nur die eingeklagten Beträge zurückerstatten und die Prozesskosten tragen, sondern er haftet darüber hinaus, wenn dem Mieter durch die Zwangsvollstreckung ein Schaden entstanden ist. Ob das Urteil letztlich ein Gewinn für „die Vermieter“ ist, lassen wir also mal dahingestellt.
Aus der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes:
Die Parteien schlossen einen schriftlichen Mietvertrag über eine Vierzimmerwohnung zu einer monatlichen Miete in Höhe von 660 Euro. Für November 2003 zahlte der Mieter unter Berufung auf eine Gegenforderung lediglich 169,80 Euro. Den Differenzbetrag von 490,20 Euro hat der Vermieter unter Vorlage des Mietvertrags im Urkundenprozess eingeklagt. Der Mieter hat demgegenüber Mängel der Wohnung geltend gemacht, die er jedoch nicht mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln (Urkundenbeweis und Parteivernehmung) belegen konnte. Die Vorinstanzen haben die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen. Auf die Revision des Vermieters hat der Bundesgerichtshof den Mieter zur Zahlung der rückständigen Miete verurteilt und ihm die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten.
Gemäß § 592 Satz 1 ZPO kann ein Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme im Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Erhebt der Prozessgegner Einwendungen gegen die Klageforderung, muss er die zu Grunde liegenden Tatsachen, soweit sie streitig sind, gemäß § 595 Abs. 2 ZPO durch Urkunden oder durch Parteivernehmung beweisen. Gelingt ihm dies nicht, ist der Klage durch Vorbehaltsurteil zunächst stattzugeben; dem Beklagten ist die Ausführung seiner Rechte vorzubehalten. Im so genannten Nachverfahren muss sodann mit allen im Zivilprozess zugelassenen Beweismitteln festgestellt werden, ob die Einwendungen des Beklagten berechtigt sind. Ist dies der Fall, wird das Vorbehaltsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger ist in diesem Fall auch ohne Verschulden zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Vorbehaltsurteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist.
Der VIII. Zivilsenat hat entschieden, dass die durch § 592 Satz 1 ZPO grundsätzlich jedem Gläubiger einer Geldschuld eingeräumte Befugnis, im Urkundenprozess einen vorläufigen Titel gegen den Schuldner zu erlangen, auch dem Vermieter von Wohnraum zusteht, der unter Vorlage des Mietvertrags rückständige Miete geltend macht. Zwar wird nach § 536 Abs. 1 BGB bei Mängeln der Mietsache die geschuldete Miete automatisch von Gesetzes wegen gemindert. Jedoch gehört die Mangelfreiheit der Mietsache nicht zu den zur Begründung des Anspruchs auf Miete erforderlichen Tatsachen. Gemäß § 536 Abs. 1 BGB sind Mängel vom Mieter darzulegen und zu beweisen, wenn er die Mietsache übernommen hat. Der Inanspruchnahme des Urkundenprozesses steht auch nicht entgegen, dass rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, die die gesetzlich eintretende Mietminderung zum Nachteil des Mieters ausschließen oder einschränken, bei Wohnraummietverhältnissen gemäß § 536 Abs. 4 BGB unwirksam sind. Zwar hat der Urkundenprozess zur Folge, dass der Mieter, der die von ihm geltend gemachten Mängel regelmäßig wie auch im zur Entscheidung stehenden Fall nicht mit den im Urkundenprozess zugelassenen Beweismitteln nachweisen kann, zunächst durch Vorbehaltsurteil zur Zahlung der Miete verurteilt wird und dass erst im Nachverfahren über das Vorliegen von Mängeln und eine sich daraus ergebende Mietminderung entschieden wird. Der Bundesgerichtshof hat jedoch ausgeführt, dass der Mieter den Nachteilen, die ihm durch eine Vollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil möglicherweise entstehen, weitgehend durch die Schutzanordnungen der Zivilprozessordnung begegnen kann und dass er zudem durch eine verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters abgesichert ist. Diese Nachteile sind daher im wesentlichen vorläufiger Natur und nicht zu vergleichen mit einer Beeinträchtigung seiner Rechtsstellung, die ihm durch eine nach § 536 Abs. 4 BGB unzulässige rechtsgeschäftliche Vereinbarung droht. Das materielle Mietrecht rechtfertigt es deshalb nicht, die prozessualen Befugnisse des Vermieters aus § 592 Satz 1 ZPO entgegen dem umfassenden Wortlaut der Vorschrift einzuschränken. Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit zur Durchführung des Nachverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
28.02.2013