Leitsätze:
a) Ein einheitliches Mietverhältnis über Wohnräume und Geschäftsräume ist zwingend entweder als Wohnraummietverhältnis oder als Mietverhältnis über andere Räume zu bewerten. Für die rechtliche Einordnung ist entscheidend, welche Nutzungsart nach den getroffenen Vereinbarungen überwiegt (insoweit Bestätigung von BGH, Urteil vom 16. April 1986 – VIII ZR 60/85, NJW-RR 1986, 877). Dabei ist maßgebend auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei der Tatrichter beim Fehlen ausdrücklicher Abreden auf Indizien zurückgreifen kann.
b) Der Umstand, dass die Vermietung nicht nur zu Wohnzwecken, sondern auch zur Ausübung einer gewerblichen/freiberuflichen Tätigkeit vorgenommen wird, durch die der Mieter seinen Lebensunterhalt bestreitet, lässt keine tragfähigen Rückschlüsse auf einen im Bereich der Geschäftsraummiete liegenden Vertragsschwerpunkt zu (insoweit Aufgabe von BGH, Urteil vom 16. April 1986 – VIII ZR 60/85, NJW-RR 1986, 877).
c) Lässt sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen, ist im Hinblick auf das Schutzbedürfnis des Mieters von der Geltung der Vorschriften der Wohnraummiete auszugehen (insoweit Fortführung von BGH, Urteil vom 16. April 1986 – VIII ZR 60/85, NJW-RR 1986, 877).
BGH v. 9.7.2014 – VIII ZR 376/13 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 25 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Laut Mietvertrag wohnte der Mieter im Obergeschoss des Hauses, im Erdgeschoss betrieb er eine Hypnosepraxis. Da der Vermieter nach sechs Jahren das Mietverhältnis ohne irgendeine Begründung kündigte, kam es jetzt vor Gericht entscheidend auf die Frage an, ob Wohnraummietrecht oder Gewerberaummietrecht gilt.
Der BGH überdenkt hier seine „Überwiegenstheorie“ und weicht im Hinblick auf das Bestreiten des Lebensunterhalts in den gemieteten Räumen von seiner in einer Entscheidung des Jahres 1986 geäußerten Auffassung ab.
Das Bestreiten des Lebensunterhalts durch eine freiberufliche oder gewerbliche Nutzung stelle kein sachgerechtes Kriterium für die Bestimmung des überwiegenden Nutzungszwecks dar. Es bestehe kein allgemeiner Erfahrungssatz dahin, dass bei einem Mischmietverhältnis die Schaffung einer Erwerbsgrundlage Vorrang vor der Wohnnutzung habe. Dass das Wohnen als wesentlicher Aspekt des täglichen Lebens generell hinter der Erwerbstätigkeit des Mieters zurücktreten solle, lasse sich weder mit der Bedeutung der Wohnung als – grundrechtlich geschütztem – Ort der Verwirklichung privater Lebensvorstellungen, noch mit dem Stellenwert, dem das Wohnen in der heutigen Gesellschaft zukomme, in Einklang bringen.
Bei der gebotenen Einzelfallprüfung seien vielmehr alle auslegungsrelevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wobei etwa der Verwendung eines auf eine der beiden Nutzungsarten zugeschnittenen Vertragsformulars, dem Verhältnis der für die jeweilige Nutzungsart vorgesehen Flächen und der Verteilung der Gesamtmiete auf die einzelnen Nutzungsanteile Indizwirkung zukommen könne. Lasse sich ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen, seien vorrangig die für die Wohnraummiete geltenden Vorschriften anzuwenden. Andernfalls würden die zum Schutz des Wohnraummieters bestehenden zwingenden Sonderregelungen unterlaufen.
Der BGH ist bei der solchermaßen gebotenen Vertragsauslegung zu dem Ergebnis gekommen, dass vorliegend unter anderem wegen des auf die Wohnraummiete zugeschnittenen Mietvertragsformulars, der für Gewerberaummietverhältnisse untypischen unbestimmten Vertragslaufzeit sowie wegen der Vereinbarung einer einheitlichen Miete ohne Umsatzsteuerausweis von einem Wohnraummietverhältnis auszugehen sei.
30.10.2014