Ein auf unbestimmte Zeit geschlossener DDR-Altmietvertrag über Wohnraum, der hinsichtlich einer Beendigung des Mietverhältnisses auf die Vorschriften des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik (§§ 120 ff. ZGB) Bezug nimmt, kann seitens des Vermieters gegen den Willen des Mieters wegen Eigenbedarfs seit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des Art. 232 § 2 EGBGB nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB aF; § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) gekündigt werden.
BGH vom 13.11.2024 – VIII ZR 15/23 – [PDF, 15 Seiten]
Langfassung im Internet: www.bundesgerichtshof.de
Die Mieter hatten am 10. Juli 1990 mit dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Kommunale Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg einen Formularmietvertrag geschlossen.
In Ziffer IX des Mietvertrags war bestimmt:
„Das Mietverhältnis endet durch:
a) Vereinbarung der Vertragspartner,
b) Kündigung durch den Mieter,
c) gerichtliche Aufhebung“.
Der Vermieter sprach am 5. April 2022 eine Kündigung wegen Eigenbedarfs aus.
Im Räumungsprozess hatte das Landgericht (MM 5/2023, Seite 29) noch zugunsten der Mieter entschieden, dass ein DDR-Formularmietvertrag mit der Regelung „das Mietverhältnis endet durch: a) Vereinbarung der Vertragspartner, b) Kündigung durch den Mieter, c) gerichtliche Aufhebung“, ist nur dann wegen Eigenbedarfs des Vermieters kündbar, wenn dieser nach dem allgemeinen Gesetzesverständnis des § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR „dringend“ ist. Da die Dringlichkeit nicht dargetan wurde, wies das Landgericht die Räumungsklage ab.
Anders nun der BGH. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts setze eine Eigenbedarfskündigung des DDR-Altmietvertrags zu ihrer Wirksamkeit nicht voraus, dass der Vermieter die betreffende Wohnung „aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen ‚dringend‘ benötige“. Vielmehr bestimmten sich die Voraussetzungen einer solchen Eigenbedarfskündigung nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 232 § 2 EGBGB (allein) nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Damit sei der vom Vermieter geltend gemachte Eigenbedarf anhand der Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu beurteilen und liege vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötige.
Höhere Anforderungen würden vorliegend nicht deshalb gelten, weil der – noch unter der Geltung des ZGB-DDR geschlossene – Formularmietvertrag der Parteien auf die Vorschriften des ZGB-DDR und deren abweichenden Regelungsgehalt (Vermieter muss die Wohnung „aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen ‚dringend‘ benötigen“) abstelle. Denn der (bundesdeutsche) Gesetzgeber habe im Zusammenhang mit dem Wirksamwerden des Beitritts für das Gebiet der DDR die Befugnis des Vermieters zur Beendigung eines bestehenden Wohnraummietvertrags gegen den Willen des Mieters durch die spezielle gesetzliche Vorschrift in Art. 232 § 2 EGBGB und die darin angeordnete Geltung der (mietrechtlichen) Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs vollständig und abschließend geregelt.
Anders ausgedrückt: Ab dem 1.10.1990 gilt nicht mehr das ZGB der DDR, sondern das BGB, auch für noch zu Zeiten der DDR abgeschlossene Mietverträge.
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit dorthin zurück. Das Landgericht muss nun prüfen, ob tatsächlich Eigenbedarf nach den Maßstäben des BGB vorliegt. Die bloße Behauptung des Vermieters reicht dafür nicht aus.
Anmerkung: Nun verhindert auch § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht, dass die Mietvertragsparteien im Vertrag die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung an eine Dringlichkeit knüpfen. Dann ist im Falle der Kündigung eine solche Dringlichkeit vom Vermieter nachzuweisen. Das gilt grundsätzlich auch für die sogenannten DDR-Mietverträge. Es ist also durchaus möglich, dass nach dem Fall der Mauer, aber noch zu Zeiten der DDR Mietverträge abgeschlossen wurden, in denen – anders als im hier vorliegenden Fall – die Dinglichkeit eindeutig zum Vertragsgegenstand gemacht wurde. Auf solche – sicherlich seltenen – Fälle ist die BGH-Entscheidung nicht anzuwenden.
26.03.2025