Leitsätze:
a) In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen, die von demjenigen konkludent angenommen wird, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt.
b) Empfänger der Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist typischerweise derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Im Falle einer Vermietung oder Verpachtung (hier: einer Gaststätte) steht diese tatsächliche Verfügungsgewalt entsprechend der aus dem Miet- oder Pachtvertrag folgenden rechtlichen Befugnis dem Mieter oder Pächter zu. Hierbei kommt es – ähnlich wie bei unternehmensbezogenen Geschäften – nicht darauf an, ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist.
c) Diese auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss weisenden Grundsätze gelten nur dann nicht, wenn gegenläufige Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Einzelfall unübersehbar in eine andere Richtung weisen, oder wenn der Abnehmer der Versorgungsleistung bereits anderweitig feststeht, weil das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten eine Liefervereinbarung geschlossen haben.
BGH vom 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 12 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es geht in der Entscheidung um die Frage, mit wem ein Vertrag durch die Entnahme von Energie zustande kommt, wenn ein schriftlicher Liefervertrag nicht abgeschlossen worden ist und das mit Energie versorgte Grundstück vermietet ist.
Vorliegend hatte ein Stromversorgungsunternehmen dem Grundstückseigentümer eine Rechnung für Stromlieferungen in Höhe von 32 539,09 Euro geschickt. Diese Summe war die Vergütung für den mehrjährigen Stromverbrauch durch den Mieter des Grundstücks. Der Stromversorger hatte zur Ermittlung des Stromverbrauchs den Zähler des Hauses ablesen lassen. Nach dem Mietvertrag war der Mieter zwar verpflichtet, die Stromkosten aufgrund eines eigenen Vertrags mit dem Versorgungsunternehmen zu tragen. Einen solchen Stromversorgungsvertrag schloss der Mieter jedoch nicht ab und teilte dem Stromversorger auch nicht mit, dass er Strom verbrauche.
Der Grundstückseigentümer weigerte sich zu zahlen und bekam vom BGH Recht. Der Bundesgerichtshof entschied, dass zwischen dem Stromversorger und dem Grundstückseigentümer kein Energieversorgungsvertrag zustande gekommen sei. Denn die Realofferte des Energieversorgungsunternehmens, also die Belieferung mit Strom, richte sich typischerweise an denjenigen, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübe. Da es nicht maßgeblich auf die Eigentümerstellung selbst, sondern auf die hierdurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ankomme, sei im Streitfall der Mieter des Grundstücks als Adressat des Vertragsangebots anzusehen, nicht der beklagte Eigentümer. Indem der Mieter Strom verbrauchte, nahm er aus objektiver Sicht des Energieversorgungsunternehmens die an ihn gerichtete Realofferte konkludent an.
30.10.2014