Leitsatz:
Hat der Vermieter den Vorsatz, eine falsche Betriebskostenabrechnung mit wahrheitswidrigen Angaben zu verteidigen, bedarf die Kündigung des Mietverhältnisses aus wichtigem Grund durch den Mieter keiner vorherigen Abmahnung.
BGH vom 6.10.2021 – XII ZR 11/20 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 13 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Im Rahmen des Gewerbemietverhältnisses über ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum legte der Vermieter auf den Mieter in den Jahren 2014 und 2015 als Betriebskosten unter anderem Kosten für zusätzliche Brandwachen um, die notwendig gewesen seien, weil aufgrund eines Baumangels die Feueralarmübertragung nicht funktionierte. Der Mieter wies darauf hin, dass die Umlage zu Unrecht erfolgt sei, weil es sich um vorläufige Mängelbeseitigungskosten handele. Durch Anwaltsschreiben eines anderen Mieters wurde der Vermieter außerdem darauf hingewiesen, dass die im Zuge der Fertigstellung des Objekts erforderlich gewordene Baufeinreinigung, die „Geschirrlogistik“ und die Möblierung des Food-Court nicht auf die Mieter umlagefähig seien. Letzteres deshalb, weil die Möblierung bereits gegenüber den Mietern des Food-Court abgerechnet worden sei und es sich deshalb um eine doppelte Umlage handle. Der Vermieter beharrte auf der Richtigkeit seiner Abrechnungen.
Am 10. März 2018 kündigte der Mieter aus wichtigem Grund und begründete dies mit falschen Betriebskostenabrechnungen durch den Vermieter. Am 28. Juni 2018 korrigierte der Vermieter die Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2014 und 2015. Er akzeptierte aber die Kündigung des Mieters nicht. Es kam zum Prozess.
Die für Gewerberaummietverhältnisse zuständige zweite Instanz, das Oberlandesgericht – welches in Berlin Kammergericht heißt –, hielt die Kündigung des Mieters für unwirksam. Sie habe das Mietverhältnis nicht beendet. Dass der Vermieter zu Unrecht die Möblierung des Food-Court und die Kosten für eine Brandwache auf den Mieter umgelegt habe, reiche trotz der Eindeutigkeit der Fehler und der Übervorteilung der Mieter in insgesamt siebenstelliger Höhe nicht als Grund für eine fristlose Kündigung, da der Mieter nicht dargelegt habe, dass dem Vermieter insoweit Vorsatz, Täuschungsabsicht oder sonstige Unredlichkeit anzulasten sei. Es könnte sich vielmehr um ein Versehen oder einen Rechtsirrtum gehandelt haben, der eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht unzumutbar erscheinen lasse. Soweit die Kündigung auch darauf gestützt sei, dass der Vermieter zunächst auf seiner fehlerhaften Abrechnung beharrt habe, fehle es an einer vorherigen Abmahnung.
Der BGH jedoch hob das Urteil des Kammergerichts auf und verwies es zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurück. Denn die Würdigung des Kammergerichts, das Mietverhältnis sei nicht durch außerordentliche Kündigung des Mieters vom 10. März 2018 beendet worden, beruhe auf keinen tragfähigen Feststellungen.
Vermögensdelikte zum Nachteil des Mieters stellten stets einen Kündigungsgrund dar. Auch Unredlichkeiten des Vermieters bei der Abrechnung der Betriebskosten wie etwa vorsätzlich falsche Abrechnungen vermögen eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen, wenn der Vermieter dadurch seine Pflichten so nachhaltig verletze, dass dem Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe das Kammergericht zwar für den Zeitpunkt der Erstellung der Abrechnungen mit der Begründung verneint, es könnte sich um ein Versehen oder einen Rechtsirrtum gehandelt haben, der eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht unzumutbar erscheinen lasse.
Eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses könne sich aber auch daraus ergeben, dass der Vermieter nach entsprechenden Vorhalten des Mieters auf seiner fehlerhaften Abrechnung in nicht mehr vertretbarer Weise beharre. Hiervon sei offensichtlich auch das Kammergericht im Hinblick auf die vom Mieter mit Schreiben vom 25.7.2015 vorgebrachten und in Erörterungsgesprächen vom 12.12.2017 und 1.2.2018 vertieften Einwendungen ausgegangen, nach denen der Vermieter weiterhin auf einer Wirksamkeit seiner fehlerhaften Abrechnung beharrte. Jedoch sei die Annahme des Kammergerichts rechtsirrig, wonach es im Hinblick auf diesen Kündigungsgrund an einer vorherigen notwendigen Abmahnung fehle.
Zwar sei gemäß § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB die Kündigung, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag bestehe, erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gelte nach § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB aber nicht, wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt sei. Hiernach bedurfte es keiner Abmahnung, wenn der Vermieter zum Zeitpunkt der Kündigung bereits einen zumindest bedingten Vorsatz gefasst hatte, seine falsche Abrechnung gegebenenfalls mit wahrheitswidrigen Angaben zu verteidigen.
Nach den vom Kammergericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts habe der Vermieter in einem Vorprozess eine gerichtliche Bestätigung der zu seinen Gunsten ergangenen einstweiligen Verfügung damit erwirkt, dass er im Schriftsatz vom 24. April 2018 bewusst wahrheitswidrig vortrug, die zusätzlichen Kosten für die Brandwachen beruhten schlicht auf der Auflage, zusätzliche Personen für die Brandmeldung zur Verfügung zu stellen, nicht aber darauf, dass die Brandmeldeanlage defekt gewesen sei. Weiterhin habe der Vermieter in demselben Schriftsatz wahrheitswidrig vorgetragen, die Kosten für Bestuhlung und Tische auf dem Food-Court seien nicht doppelt abgerechnet worden.
Bestand ein entsprechender Täuschungs- und Schädigungsvorsatz des Vermieters aber bereits zum Kündigungszeitpunkt, wozu das Kammergericht nunmehr erneut Feststellungen zu treffen habe, stelle diese innere Tatsache einen besonderen Grund dar, der die sofortige Kündigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen rechtfertigte.
Sollten die notwendigen Feststellungen über eine bereits im Kündigungszeitpunkt am 10. März 2018 bestehende Vertuschungsabsicht nicht bereits aus dem späteren Prozessverhalten des Vermieters geschlossen werden können, wären die Zeugen zu vernehmen, die der Mieter dafür benannt hatte, der Vermieter habe zu dem Zeitpunkt bereits aus Gesprächen sichere Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei dem Aufwand für die Brandwachen um einen von ihm selbst zu tragenden Mangelfolgeschaden handelte.
25.01.2022