Leitsätze:
Der Vermieter einer Vielzahl von Wohnungen, der seinen Mietern einen Anschluss an ein Kabelfernsehnetz zum Empfang von Fernseh- und Hörfunkprogrammen zur Verfügung stellt und die ihm hierfür entstehenden Kosten im Rahmen der Betriebskostenabrechnung auf seine Mieter umlegt, ist ein Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten im Sinne von § 43 b TKG.
Ein solcher Vermieter ist nicht nach § 43 b Satz 1 TKG verpflichtet, seinen Mietern bei fortbestehendem Mietverhältnis eine Kündigung des Anschlusses an das Kabelfernsehnetz zum Ablauf von 24 Monaten zu ermöglichen, wenn der Wohnraummietvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen und nach den gesetzlichen Regelungen vor Ablauf von 24 Monaten kündbar ist.
BGH vom 18.11.2021 – I ZR 106/20 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 30 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
In diesem Musterverfahren ging es um die Grundsatzfrage, ob Vermieter Mietern ein Kündigungsrecht nach § 43 b Telekommunikationsgesetz (TKG) für einen nicht genutzten Breitband-Kabelanschluss einräumen müssen. § 43 b TKG in der bis zum 30. November 2021 geltenden Fassung lautet:
„Die anfängliche Mindestlaufzeit eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten darf 24 Monate nicht überschreiten. Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten sind verpflichtet, einem Teilnehmer zu ermöglichen, einen Vertrag mit einer Höchstlaufzeit von zwölf Monaten abzuschließen.“
Die Beklagte ist eine Wohnungsbaugesellschaft mit mehr als 120.000 Mietwohnungen, von denen etwa 108.000 an ein Kabelfernsehnetz angeschlossen sind, über das Fernseh- und Hörfunkprogramme übertragen werden und das auch für andere Dienste wie Telefonate und Internet genutzt werden kann. Das Entgelt, das die Vermieterin für die Versorgung der Wohnungen mit Fernseh- und Hörfunkprogrammen über das Kabelnetz zahlte, legte sie nach den Mietverträgen als Betriebskosten auf ihre Mieter um. Für die Mieter bestand nach den Mietverträgen keine Möglichkeit, während der Dauer des Mietverhältnisses die Versorgung ihrer Wohnungen mit Fernseh- und Hörfunksignalen zu kündigen.
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Sie sah einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen § 43 b TKG darin, dass die Mietverträge keine Regelung enthielten, nach der die kostenpflichtige Bereitstellung eines Kabelanschlusses wenigstens zum Ablauf einer Laufzeit von 24 Monaten kündbar sei, und die Vermieterin nicht den Abschluss von Mietverträgen anbiete, nach denen die Bereitstellung solcher Anschlüsse auf eine Laufzeit von höchstens 12 Monaten begrenzt sei. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Der BGH entschied hingegen, dass die Vermieterin durch die Bindung ihrer Mieter an den von ihr zur Verfügung gestellten kostenpflichtigen Kabel-TV-Anschluss nicht gegen § 43 b TKG verstoßen habe.
Mit der Bereitstellung der Kabel-TV-Anschlüsse erbringe die Vermieterin allerdings einen Telekommunikationsdienst im Sinne von § 3 Nr. 24 TKG. Sie stelle ihren Mietern damit einen Dienst zur Verfügung, der ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehe. Der von der Vermieterin angebotene Telekommunikationsdienst sei angesichts der großen Anzahl der von ihr vermieteten und mit einem Kabel-TV-Anschluss ausgestatteten Wohnungen auch im Sinne von § 3 Nr. 17 a TKG öffentlich zugänglich.
In den von der Vermieterin mit ihren Mietern geschlossenen Mietverträgen sei jedoch keine 24 Monate überschreitende Mindestlaufzeit vereinbart (§ 43 b Satz 1 TKG). Die Vermieterin verwehre ihren Mietern auch nicht den Abschluss von Mietverträgen mit einer Höchstlaufzeit von zwölf Monaten (§ 43 b Satz 2 TKG). Die Mietverträge würden von der Vermieterin vielmehr auf unbestimmte Zeit geschlossen und könnten von den Mietern – entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 573 c Abs. 1 Satz 1 BGB – bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats gekündigt werden. Eine unmittelbare Anwendung des § 43 b TKG auf die von der Vermieterin geschlossenen Mietverträge scheide daher aus.
Eine entsprechende Anwendung von § 43 b TKG im Verhältnis der Vermieterin zu ihren Mietern komme ebenfalls nicht in Betracht. Aus der Entstehungsgeschichte der maßgeblichen Regelungen gehe hervor, dass der Gesetzgeber große Wohnungsbaugesellschaften, die mit Kabel-TV-Anschlüssen ausgestattete Wohnungen vermieten und die Kosten des Kabelanschlusses als Betriebskosten auf die Mieter umlegen, nicht in den Geltungsbereich des § 43 b TKG einbeziehen wollte. Das ergebe sich auch aus der Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Nach der ab dem 1. Dezember 2021 geltenden Neuregelung in § 71 Abs. 1 Satz 1 und 3 TKG könnten Verbraucher zwar die Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten im Rahmen eines Mietverhältnisses nach 24 Monaten beenden. Diese Neuregelung sei nach der Übergangsvorschrift des § 230 Abs. 4 TKG aber erst ab dem 1. Juli 2024 anwendbar, wenn die Gegenleistung – wie im vorliegenden Fall – ausschließlich als Betriebskosten abgerechnet werde.
Ab dem 1.7.2024 bekommen dann alle Mieter die Wahlfreiheit und das sogenannte Nebenkostenprivileg, auch „Zwangsverkabelung“ genannt, ist endgültig Geschichte.
23.03.2022