Leitsatz:
Lärm, der aus einer Wohnung dringt, deren Mieter Kleinkinder haben, ist nicht in jedem Fall als sozialadäquater Kinderlärm von den Nachbarn hinzunehmen.
(nicht amtlicher Leitsatz)
BGH vom 22.6.2021 – VIII ZR 134/20 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 16 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Mit Schreiben vom 20.9.2017 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis fristlos. In der Kündigungserklärung führte sie unter anderem aus, am 2.9.2017 sei in der Zeit von 20.30 Uhr bis nach Mitternacht aus der Wohnung der Mieter erheblicher Lärm gedrungen, „der überwiegend aus lautem Schreien, Stampfen, Türenschlagen und Poltern“ bestanden habe. Zwei Nachbarinnen hätten vergeblich versucht, die Mieter zur Einhaltung der Nachtruhe zu bewegen. Am 3.9.2017 habe gegen 13 Uhr erheblicher, durch die Mieter verursachter Lärm die Mittagsruhe nachhaltig gestört. Es sei zu einer heftigen Auseinandersetzung mit einem Nachbarn gekommen, welcher hiernach Strafanzeige erstattet habe.
Im Räumungsrechtsstreit hatte das Berufungsgericht die Räumungsklage abgewiesen, weil es sich bei dem Lärm um sozialadäquaten – hinzunehmenden – Kinderlärm gehandelt habe: In der (fristlosen) Kündigung vom 20.9.2017 seien zwar zwei konkrete Ruhestörungen genannt. Aus dem durch die Vermieterin vorgelegten Lärmprotokoll sei ersichtlich, dass zu diesen Zeiten – aus der Wohnung der Mieter dringendes „lautes Trampeln“ (durch einen Nachbarn) moniert worden sei. Jedoch sei nicht behauptet worden, dass die in der Wohnung der Mieter lebenden Erwachsenen getrampelt hätten. Was genau zu den genannten Zeiten in der Wohnung der Mieter passiert sei, habe die Vermieterin nicht vorgetragen, so dass aufgrund der Anwesenheit der Kinder und der Vortragslast der Vermieterin zugunsten der Mieter davon auszugehen sei, dass es sich um als sozialadäquat hinzunehmendes, bei Anwesenheit von Kindern nicht zu vermeidendes „lautes Trampeln“ gehandelt habe.
Die Revision gegen sein Urteil lies das Landgericht nicht zu. Die Vermieterin erhob daraufhin Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH. Dieser hob das Berufungsurteil wegen Rechtsfehlern auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Das Berufungsgericht habe die seitens der Vermieterin behaupteten Lärmstörungen durch die Mieter, welche den Grund für die fristlose Kündigung vom 20.9.2017 bildeten, in wesentlichen Teilen nicht berücksichtigt. Auf den in der Kündigung geschilderten Sachverhalt sei das Berufungsgericht nicht eingegangen. Es habe sich vielmehr allein mit einem „lauten Trampeln“ befasst, das im Lärmprotokoll für die in der Kündigung angegebenen Zeiten vermerkt war. Mit den in der Kündigungserklärung (weiter) angeführten Lärmemissionen in Form von Schreien, Türenschlagen und Poltern habe sich das Berufungsgericht nicht befasst und habe auch nicht berücksichtigt, dass verschiedene als Zeugen benannte Nachbarn – auch aus dem Nachbarhaus – das ruhestörende Verhalten moniert hätten, wobei einer dieser Nachbarn das Lärmprotokoll erstellt habe. Durch die alleinige Heranziehung des in diesem Lärmprotokoll verzeichneten Eintrags und die Nichtbeachtung der anderen, sich hiervon qualitativ unterscheidenden sowie den Kern des Vorbringens der Vermieterin darstellenden Lärmerscheinungen habe das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der Vermieterin verletzt.
Des Weiteren sei das Berufungsgericht gehalten gewesen, die seitens der Vermieterin benannten Zeugen zu vernehmen.
Denn die Vermieterin habe die Lärmbelastungen, die – nach ihrer Behauptung – von der Wohnung der Mieter ausgingen, nach Zeitpunkt, Art, Intensität, Dauer und Häufigkeit mit ausreichender Substanz beschrieben und überdies durch ein detailliertes, über einen längeren Zeitraum erstelltes „Lärmprotokoll“ konkretisiert. Zur genauen Ursache des beanstandeten Lärms sowie zur Person der Verursacher (Kinder und/oder Erwachsene) hätte die Vermieterin mangels Einblicks in die Wohnung nicht detailliert vortragen können. Anders als das Berufungsgericht meinte, war sie daher nicht gehalten, Ausführungen dazu zu machen, „was genau“ in der Wohnung der Mieter passiert sei.
Zudem habe das Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen, dass die Vermieterin in der Klageschrift ihr mögliche nähere Angaben gemacht und aus der Art des Lärms Rückschlüsse auf die Person der Verursacher gezogen habe. Anknüpfend an den Vortrag etwa zum „Rücken von Möbeln“ und „Geschreie“ habe sie ausgeführt, dass es sich bei den Lärmbelästigungen um solche gehandelt habe, die angesichts ihrer Intensität mit normalem Verhalten, „insbesondere durch spielende Kinder“ nicht zu erklären seien.
Somit sei es dem Berufungsgericht verwehrt gewesen, ausschließlich von (sozialadäquatem) Kinderlärm auszugehen. Vielmehr hätte es angesichts des hinreichend substanziierten Vortrags der Vermieterin die von dieser angebotenen Zeugenbeweise bezüglich der einzelnen (behaupteten) Lärmbelästigungen erheben müssen.
Abschließend weist der BGH darauf hin, dass das Berufungsgericht – sollte es nach Erhebung der Beweise zu der Überzeugung gelangen, es habe (auch) Kinderlärm vorgelegen –, zu beachten habe, dass Geräuschemissionen, die ihren Ursprung in einem altersgerecht üblichen kindlichen Verhalten haben, gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme erhöhter Grenzwerte für Lärm und entsprechender Begleiterscheinungen kindlichen Verhaltens zwar grundsätzlich hinzunehmen sind, auf der anderen Seite jedoch die insoweit zu fordernde erhöhte Toleranz auch Grenzen habe. Diese seien hierbei jeweils im Einzelfall zu bestimmen unter Berücksichtigung namentlich von Art, Qualität, Dauer und Zeit der verursachten Geräuschemissionen, des Alters und des Gesundheitszustands des Kindes sowie der Vermeidbarkeit der Emissionen etwa durch objektiv gebotene erzieherische Einwirkungen.
28.11.2021