Leitsatz:
Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Treuhänders gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO („Freigabeerklärung“) erhält der Mieter die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über seine Wohnung zurück. Eine Kündigung des Vermieters ist ab diesem Zeitpunkt dem Mieter gegenüber auszusprechen.
BGH vom 9.4.2014 – VIII ZR 107/13 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 9 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Seit dem 1. April 2007 bestand ein Mietverhältnis zwischen den Vertragsparteien. Am 5. November 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters eröffnet. Der vom Gericht eingesetzte Treuhänder (Insolvenzverwalter) erklärte mit Schreiben vom 3. Dezember 2009 die „Freigabe“ des Mietverhältnisses gemäß § 109 Absatz 1 Satz 2 InsO. Mit Schreiben vom 16. September 2010 erklärten die Vermieter gegenüber dem Mieter die fristlose Kündigung des Mietvertrags wegen – unstreitiger – Vertragsverletzungen des Mieters. Der Mieter wandte ein, dass die Kündigung unwirksam sei, weil sie nicht dem Treuhänder zugegangen war.
Dieser Ansicht widersprach der BGH. Denn der Vermieter dürfe nach dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung gemäß § 109 Absatz 1 Satz 2 InsO gegenüber dem Mieter kündigen. Zwar gehe die Erklärung des Treuhänders nach dem Wortlaut des § 109 Absatz 1 Satz 2 InsO lediglich dahin, dass die Masse für künftige Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis nicht mehr hafte. Daraus, dass die Erklärung nach § 109 Absatz 1 Satz 2 InsO an die Stelle der Kündigung tritt, ergebe sich indes, dass die Zuständigkeit des Verwalters für die weitere Vertragsdurchführung ab diesem Zeitpunkt wieder dem Mieter zufalle, dieser also die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis zurückerhalte. Für eine derartige Wirkung der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO spreche außerdem die Gesetzesbegründung.
Danach diene die Regelung dem Schutz des Wohnraummieters, der seine Wohnung nicht verlieren solle, wenn der Treuhänder das Mietverhältnis nicht fortsetzen will; das Mietverhältnis solle vielmehr nach Ablauf der Kündigungsfrist mit dem Mieter fortgesetzt werden (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 27). Eine Fortdauer der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erklärung nach § 109 Absatz 1 Satz 2 InsO hinaus wäre im Übrigen für die Parteien des Mietvertrages umständlich und wenig praktikabel und für den Treuhänder mit einem Verwaltungsaufwand verbunden, der sich für die Masse nachteilig auswirken könnte. Denn sämtliche Erklärungen des Vermieters (Abmahnung, Kündigung, Mieterhöhung, Betriebskostenabrechnung) müssten zunächst dem Treuhänder gegenüber erklärt und von diesem an den Mieter weitergeleitet werden. Auch ein Rechtsstreit, etwa eine Klage des Vermieters auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung, müsste gegen den Treuhänder geführt werden, obwohl dieser Prozess allein für die ursprünglichen Mietvertragsparteien von Interesse sei, nicht aber für den Treuhänder oder die Masse.
05.01.2018