Leitsätze:
a) Die Kündigungssperre des § 112 InsO gilt nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO weder im Insolvenzverfahren noch in dem sich daran anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren (§§ 286 ff. InsO). Nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO sind rückständige Mieten, mit deren Zahlung der Mieter bereits vor Insolvenzantragstellung in Verzug geraten war, bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer (auch) hierauf gestützten fristlosen Kündigung des Vermieters nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b BGB zu berücksichtigen.
b) Der Verzug (§§ 286 ff. BGB) des Mieters mit der Entrichtung der Miete endet nicht mit der Insolvenzeröffnung.
BGH vom 17.6.2015 – VIII ZR 19/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 31 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mietvertrag datierte aus dem Jahre 1988. Am 17.6. 2010 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters eröffnet. Die Treuhänderin erklärte am 1.7.2010 die „Freigabe“ des Mietverhältnisses nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO. Der Mieter zahlte in den Monaten März 2009 bis Oktober 2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis im Oktober 2012 unter Berufung auf seit März 2009 aufgelaufene Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14 806,36 Euro fristlos nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b BGB. Der BGH gab dem Vermieter recht. Er entschied, dass die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung (auch Freigabeerklärung genannt) nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt und eine außerordentliche Kündigung auch auf Mietrückstände gestützt werden kann, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind.
Die Enthaftungserklärung bewirke, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen sei, sondern in die Verfügungsbefugnis der Vertragsparteien zurückfalle, so dass eine Kündigung grundsätzlich möglich sei. Sinn und Zweck der in § 112 Nr. 1 InsO geregelten Kündigungssperre stünden dem nicht entgegen, denn die Norm diene dem Schutz der Insolvenzmasse und einer möglichen Fortführung des Schuldnerunternehmens und gerade nicht dem persönlichen Schutz des bei Insolvenzantragsstellung im Zahlungsverzug befindlichen Mieters/ Schuldners vor dem Verlust der Wohnung. Auch § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO solle lediglich verhindern, dass der Mieter ein Verbraucherinsolvenzverfahren nur um den Preis des Verlusts der Wohnung durch die Kündigung seitens des Treuhänders einleiten könne. Der soziale Mieterschutz werde auch im Insolvenzfall dadurch gewährleistet, dass der Mieter die Kündigungsfolgen durch Zahlung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB aus seinem pfändungsfreien Vermögen abwenden könne; auch sei eine Befriedigung der Mietschulden von dritter Seite, insbesondere öffentlicher Stellen, trotz des laufenden Insolvenzverfahrens möglich.
18.10.2015