Leitsatz:
Die Vorschrift des § 174 Satz 1 BGB ist auf die Erhebung einer Rüge nach § 556 g Absatz 2 BGB nicht – auch nicht analog – anwendbar.
BGH vom 30.3.2022 – VIII ZR 283/21 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 28 Seiten]
Ein Rechtsdienstleister hatte für den Mieter einen Verstoß gegen die Mietpreisbremse nach § 556 g Absatz 2 BGB gerügt. Der Anwalt des Vermieters wies die Rüge unter Hinweis auf die – unbestritten – fehlende Vorlage einer Vollmacht nach § 174 Satz 1 BGB zurück. Folge einer Zurückweisung nach § 174 BGB ist, dass die jeweilige Erklärung nichtig wird, also als rechtlich nicht vorhanden anzusehen ist. Ohne Rüge kann ein Mieter jedoch Mietbeträge, die gegen die Mietpreisbremse verstoßen, nicht zurückverlangen. Im Rechtsstreit kam es also darauf an zu klären, ob eine durch Vertreter des Mieters ausgesprochene Rüge auch ohne Vorlage einer Vollmacht Wirkung entfaltet.
Der BGH hat dies bejaht. Ein Recht zur Zurückweisung der Rüge habe hier nicht bestanden, weil § 174 BGB auf die Rüge eines Verstoßes gegen die Mietpreisbremse keine (entsprechende) Anwendung finde. § 174 BGB sei nicht unmittelbar anwendbar, denn bei der Rüge handele es sich nicht um eine von dem Mieter abzugebende Willenserklärung, sondern um eine geschäftsähnliche Handlung.
Allerdings könne § 174 BGB auf geschäftsähnliche Handlungen entsprechend Anwendung finden. Bei der Frage, in welchem Umfang die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften auf geschäftsähnliche Handlungen anzuwenden seien, sei jedoch jeweils den spezifischen Eigenarten und der Interessenlage bei der in Frage stehenden Handlung Rechnung zu tragen. Nach dieser Maßgabe bedürfe es keiner Vorlage einer von dem Mieter unterzeichneten Originalvollmacht, wenn ein Bevollmächtigter des Mieters die Rüge nach § 556 g Absatz 2 BGB erhebe.
Der Vorschrift des § 174 BGB liege zugrunde, dass bei einem einseitigen Rechtsgeschäft eine Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig sei und es daher im dringenden Interesse des Erklärungsempfängers liege, zu wissen, ob der als Vertreter Auftretende bevollmächtigt sei oder nicht. Ein solches Bedürfnis sei bei der Erhebung einer Rüge nach § 556 g Absatz 2 BGB nicht zu erkennen. Das Rügeerfordernis sei zwar als Tatbestandsvoraussetzung ausgestaltet. Die von dem Mieter zu erhebende Rüge diene nach dem mit der Vorschrift des
§ 556 g Absatz 2 BGB verfolgten Regelungszweck jedoch nicht dazu, das Mietverhältnis teilweise umzugestalten, sondern allein dazu, die sich bereits aus dem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen (§ 556 g Absatz 1 BGB) im Interesse des Vermieters abzumildern. Sie solle den Vermieter lediglich darüber in Kenntnis setzen, aus welchen Gründen, in welcher Höhe und ab welchem Zeitpunkt eine Rückerstattung verlangt werde. Damit bestehe nicht das gleiche Klarstellungsbedürfnis wie bei einem von einem Bevollmächtigten vorgenommenen einseitigen Rechtsgeschäft, denn diese Kenntnis vermittele auch eine Rüge, der eine Originalvollmacht des Mieters nicht beigefügt sei. In der gegebenen Fallgestaltung sei auch nicht zu erwarten, dass einer der Beteiligten oder ein Dritter ein ernsthaftes Interesse an einer Fälschung der Erklärung haben könne.
Diese anders gelagerte Interessenlage komme auch darin zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber für die Erhebung der Rüge nach § 556 g Absatz 2 BGB nicht die Einhaltung der Schriftform verlange, sondern die Textform (§ 126 b BGB) für ausreichend erachtet habe. Die darin liegende Formerleichterung diene dem Zweck, den Rechtsverkehr in den Fällen zu vereinfachen, in denen eine Erklärung zwar – etwa aus Informations- oder Dokumentationsgründen – einer textlichen Niederlegung bedürfe, aber die Einhaltung der strengeren Schriftform wegen des Erfordernisses einer eigenhändigen Unterschrift unangemessen verkehrserschwerend sei. Die Zielsetzung der Erleichterung des Rechtsverkehrs durch die Textform des § 556 g Absatz 4 BGB würde jedoch unterlaufen, wenn gleichwohl durch den Vertreter gemäß § 174 BGB eine eigenhändig unterzeichnete Vollmachtsurkunde vorzulegen wäre.
28.06.2022