Leitsatz:
Bei Beurteilung eines Mieterhöhungsverlangens ist der Tatrichter in Fällen, in denen zwischen dem Erhebungsstichtag eines Mietspiegels und dem Zugang des Zustimmungsverlangens nachträglich ungewöhnliche Steigerungen der ortsüblichen Vergleichsmiete festzustellen sind, im Rahmen des ihm dabei zukommenden weiten Beurteilungsspielraums befugt, einen Stichtagszuschlag vorzunehmen, wenn ihm dies zur Bildung einer sachgerechten Einzelvergleichsmiete angemessen erscheint.
BGH vom 15.3.2017 – VIII ZR 295/15 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 17 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter einer in Reutlingen gelegenen Wohnung verlangte im November 2013 die Zustimmung zu einer Mieterhöhung, wobei er sich auf den Reutlinger Mietspiegel bezog, dessen Daten im Mai 2013 erhoben worden waren. Der Mieter erteilte lediglich eine Teilzustimmung. Der Zustimmungsprozess vor dem Landgericht fand im Jahre 2015 statt. Bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ging das Gericht von den Werten aus dem Mietspiegel 2013 aus und nahm hierauf einen Zuschlag vor. Der zwischenzeitlich erschienene Mietspiegel 2015 zeige gegenüber dem Mietspiegel 2013 eine deutliche Mietsteigerung, die nicht ignoriert werden könne.
Das einschlägige Mietspiegelfeld des Mietspiegels 2013 wies nämlich eine ortsübliche Vergleichsmiete von 6,28 Euro pro Quadratmeter aus. Der Mietspiegel 2015, dessen Daten im Dezember 2014 erhoben worden waren, wies hingegen schon eine ortsübliche Vergleichsmiete von 7,05 Euro pro Quadratmeter aus. Dies entsprach einer Steigerung von 12,35 Prozent innerhalb von 19 Monaten beziehungsweise einer monatlichen Steigerung von 0,65 Prozent. Bezogen auf die 7 Monate zwischen Mai 2013 und November 2013, also zwischen der Datenerhebung für den Mietspiegel und dem Zugang der Mieterhöhung beim Mieter, bedeutete dies einen Anstieg von 4,55 Prozent. In dieser Höhe hat das Landgericht dann auch den Stichtagszuschlag auf den Mietspiegelwert aufgeschlagen.
Der BGH billigte das Vorgehen des Landgerichts und entschied wie aus dem Leitsatz ersichtlich. Die Gerichte seien nicht gehindert, bei Prüfung der materiell-rechtlichen Begründetheit eines ordnungsgemäßen Mieterhöhungsverlangens wegen einer Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die in der Zeit zwischen der Datenerhebung zum Mietspiegel und dem Zugang des Mieterhöhungsverlangens eingetreten ist (sogenannte Stichtagsdifferenz), einen Zuschlag zum Mietspiegelwert vorzunehmen. Der Umstand, dass ein Mietspiegel alle zwei Jahre aktualisiert werden soll, bedeute nicht, dass das Gericht, das seine Erkenntnisse zur Miethöhe (auch) auf einen Mietspiegel stützt, unter keinen Umständen aktuellere Werte zugrunde legen dürfe.
Liege im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein neuer Mietspiegel vor, könne die maßgebliche Differenz durch Interpolation zwischen den Werten des alten und des neuen Mietspiegels ermittelt werden. Liege ein neuer Mietspiegel noch nicht vor, komme eine Fortschreibung der Mieten unter Berücksichtigung der Entwicklung zwischen den beiden vorangegangenen Mietspiegeln in Betracht. Zwar müsse die Mietpreisentwicklung zwischen zwei Erhebungsstichtagen nicht notwendig linear verlaufen. Gleichwohl sei diese Schätzmethode der als Alternative sonst nur in Betracht kommenden Einholung eines Sachverständigengutachtens vorzuziehen, weil dieser Weg den Mietspiegel entwerten würde und angesichts der üblicherweise relativ geringen streitigen Beträge auch unverhältnismäßig wäre.
25.06.2017