Der Grundstückseigentümer, der den verstorbenen Nießbraucher nicht als Alleinerbe beerbt hat, ist in Ansehung der von dem Nießbraucher abgeschlossenen Mietverträge nicht schon deshalb nach Treu und Glauben an der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts gemäß § 1056 Abs. 2 BGB gehindert, weil ihm das dienende Grundstück von dem Nießbraucher mit dem Motiv der vorweggenommenen Erbfolge übertragen worden ist.
BGH vom 12.6.2024 – XII ZR 92/22 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 8 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Überschrift des § 1056 BGB lautet: „Miet- und Pachtverhältnisse bei Beendigung des Nießbrauchs“. In Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift heißt es dann: „Der Eigentümer ist berechtigt, das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen.“
Die Vorschrift enthält also ein Sonderkündigungsrecht des Eigentümers gegenüber dem Mieter des Nießbrauchers bei Ende des Nießbrauchs.
Dieses Sonderkündigungsrecht hat bei Wohnraummietverhältnissen nur Bedeutung, wenn die Mietvertragsparteien einen (langjährigen) Kündigungsausschluss vereinbart haben. In solchen Fällen hebelt § 1056 BGB den Kündigungsausschluss aus.
Allerdings unterliegen Sonderkündigungsrechte wie § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB bei Wohnraum dem Erfordernis eines berechtigten Interesses, z.B. Eigenbedarf (vgl. § 573 d Abs. 1 BGB). Bei unbefristeten Wohnraummietverhältnissen erleichtert § 1056 BGB also nicht das Kündigungsrecht des Eigentümers. Lediglich die Kündigungsfrist ist in diesen Fällen immer die dreimonatige (vgl. § 573 d Abs. 2 BGB).
Im entschiedenen Fall bestand ein auf zehn Jahre befristeter Gewerbemietvertrag.
Es ging hier unter anderem um die Rechtsfrage, ob die Rechtsstellung eines Grundstückseigentümers, der Alleinerbe des Nießbrauchsberechtigten wird, und die Rechtsstellung eines Grundstückseigentümers, dem – wie im vorliegen Fall – das dienende Grundstück im Wege vorweggenommener Erbfolge übertragen wurde, in Ansehung des Sonderkündigungsrechts nach § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB zumindest „wertungsmäßig“ vergleichbar seien. Der BGH verneint diese Rechtsfrage.
Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum scheide ein vorzeitiges Kündigungsrecht des Eigentümers nach § 1056 Abs. 2 BGB aus, wenn er persönlich an den Mietvertrag gebunden sei, etwa weil er den Mietvertrag schon selbst vor Bestellung des Nießbrauchs abgeschlossen hatte und der Nießbraucher für die Dauer seines Rechts in den Mietvertrag eingetreten war (§ 567 Satz 1 i.V.m. § 566 Abs. 1 BGB) oder wenn der Eigentümer dem vom Nießbraucher abgeschlossenen Mietvertrag persönlich beigetreten sei. Dasselbe gelte auch, wenn der Grundstückseigentümer den Nießbraucher als Alleinerbe beerbt habe, da er in diesem Fall nach erbrechtlichen Grundsätzen durch Universalsukzession unmittelbarer Vertragspartner des Mieters geworden sei und daher bereits gemäß §§ 1967 Abs. 1, 1922 BGB erbrechtlich für die Erfüllung des Mietvertrages als Nachlassverbindlichkeit hafte (so schon BGH vom 20.10.2010 – XII ZR 25/09 –).
Demgegenüber treffe den durch einen Übertragungsvertrag im Wege vorweggenommener Erbfolge Begünstigten gemäß § 1967 BGB nach allgemeiner Ansicht keine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten des Erblassers. Deshalb hafte auch derjenige, dem das dienende Grundstück mit dem Motiv der vorweggenommenen Erbfolge unter Vorbehalt eines Nießbrauchs übertragen werde, nicht schon kraft Gesetzes für die Erfüllung der von dem Nießbraucher abgeschlossenen Mietverträge. Würde man ihm vielmehr das Sonderkündigungsrecht aus § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB verwehren, würde man ihm dadurch eine im Gesetz nicht vorgesehene Haftung für die Erfüllung der von dem Nießbraucher abgeschlossenen Mietverträge auferlegen.
Der BGH entschied deshalb wie aus dem Leitsatz ersichtlich.
26.09.2024