Leitsätze:
a) Ein innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB erfolgter Ausgleich des Mietrückstands beziehungsweise eine entsprechende Verpflichtung einer öffentlichen Stelle hat lediglich Folgen für die auf § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte fristlose, nicht jedoch für eine aufgrund desselben Mietrückstands hilfsweise auf § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung.
b) Diese (beschränkte) Wirkung des Nachholrechts des Mieters entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, so dass der an Gesetz und Recht gebundene Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) diese Entscheidung nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen darf, die so im Gesetzgebungsverfahren (bisher) nicht erreichbar war.
BGH vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 34 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter zahlte im Zeitraum von Juli 2018 bis April 2019 statt der insgesamt geschuldeten 1000 Euro nur jeweils eine geminderte Miete in Höhe von 840 Euro monatlich; im Mai 2019 leistete er keine Zahlung. Wegen des aufgelaufenen Mietrückstands in Höhe von 2600 Euro erklärte die Vermieterin mit Schreiben vom 7. Mai 2019 die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Nach Zustellung der auf Räumung und Herausgabe gerichteten Klage (am 8. Juni 2019) hat der Mieter die rückständige Miete durch Zahlungen am 21. Juni 2019 (1000 Euro) und am 22. Juni 2019 (1600 Euro) beglichen.
Das Berufungsgericht – die Zivilkammer 66 des Landgerichts Berlin – wies die Klage ab. Der Vermieterin stehe ein Räumungs- und Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht zu.
Die fristlose und die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Vermieterin vom 7. Mai 2019 wegen Zahlungsverzugs des Mieters hätten das Mietverhältnis nicht beendet. Denn sämtliche Wirkungen der Kündigung vom 7. Mai 2019 seien durch die Schonfristzahlungen des Mieters im Juni 2019 nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB geheilt.
Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs in seiner bisherigen Rechtsprechung erstrecke sich die Wirkung einer Schonfristzahlung auch auf die (hilfsweise erklärte) ordentliche Kündigung. Dies ergebe sich bereits aus einer unmittelbaren Anwendung des in § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB enthaltenen Normbefehls; einer (bloßen) Analogie bedürfe es nicht. Denn die Anwendung der Schonfristregelung auf die ordentliche Kündigung sei nach der Gesetzessystematik geboten, vom Wortlaut nicht ausgeschlossen und vom Sinn und Zweck gedeckt.
Dem wollte der BGH nicht folgen. Er hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei die (ebenfalls) auf die ausgebliebenen Mietzahlungen des Mieters gestützte ordentliche Kündigung nicht infolge der Schonfristzahlung (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) unwirksam geworden. Eine solche Zahlung habe (lediglich) Folgen für die fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB); eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB bleibe von der Schonfristzahlung unberührt. Die entsprechende Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB sei hierauf nicht unmittelbar – und auch nicht analog – anwendbar. Von der bisherigen ständigen und gefestigten Rechtsprechung des BGH abzuweichen, böten die Ausführungen des Berufungsgerichts keine Veranlassung.
In den ausführlichen Entscheidungsgründen setzt der BGH sich mit den Argumenten des Landgerichts im Einzelnen auseinander und kommt zu dem Gesamtergebnis, dass das Gericht „die anerkannten Grundsätze der Gesetzesauslegung missachtet“ und die „Anforderungen an ein den anerkannten Methoden entsprechendes Vorgehen zur Ermittlung der Regelungskonzeption des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB grundlegend verkannt“ habe.
Allerdings gibt es einen „Wink mit dem Zaunpfahl“ an den Gesetzgeber. Der BGH legt nämlich ausführlich dar, dass der Gesetzgeber eine Erstreckung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung (bisher) abgelehnt habe. Ein durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Jahr 2016 vorgelegter Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Novellierung mietrechtlicher Vorschriften – Zweites Mietrechtsnovellierungsgesetz – habe vorgesehen, die Schonfristzahlung auf eine ordentliche Kündigung zu übertragen, um den Mieter im Fall des Mietrückstands besser vor dem Verlust der Wohnung zu schützen und dadurch wertungsmäßige Unstimmigkeiten zu beseitigen.
Der Entwurf sei aber nicht Gesetz und sein vorgenannter Inhalt auch bei folgenden Gesetzgebungsvorhaben nicht aktiv wieder aufgegriffen worden. Damit habe der Gesetzgeber (erneut) eine eindeutige Entscheidung getroffen. Diese dürfe der an Gesetz und Recht gebundene Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war. Vor diesem Hintergrund sei die Beseitigung gewisser, insoweit vom Berufungsgericht zutreffend gesehener Wertungswidersprüche nicht Aufgabe der Rechtsprechung.
Mit anderen Worten: Wenn sich die Rechtslage ändern soll, muss der Gesetzgeber ran.
Im Ende 2021 geschlossenen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es dazu: „Um die Ursachen drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen, werden wir das Mietrecht, insbesondere dort wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen, evaluieren und entgegensteuern.“
25.01.2022