Leitsatz:
Erweist sich eine vom Mieter erwirkte einstweilige Verfügung, mit der dem Vermieter beabsichtigte Sanierungs- und Energieeinsparmaßnahmen untersagt werden, als von Anfang an ungerechtfertigt, so ist der Mieter dem Grunde nach dem Vermieter für den aus der Verzögerung entstehenden Schaden gemäß § 945 ZPO unabhängig von Verschulden oder Rechtswidrigkeit ersatzpflichtig.
BGH vom 13.10.2016 – IX ZR 149/15 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 14 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging hier um einen Schadensersatzanspruch des Vermieters wegen Modernisierungsstopp durch einstweilige Verfügung des Mieters.
Der Vermieter kündigte umfassende Instandsetzungs- und energetische Modernisierungsarbeiten an. Ein Mieter beantragte ein sogenanntes Beweissicherungsverfahren hinsichtlich der Instandsetzungsarbeiten und daneben per einstweiliger Verfügung einen Baustopp. Die Bauarbeiten wurden eingestellt, die Kosten des Vermieters liefen weiter. Monate später stellte sich heraus, dass die einstweilige Verfügung zumindest teilweise unbegründet war, der Mieter zog seinen Antrag zurück. Der Vermieter forderte nun Ersatz für die durch die Verzögerung des Baubeginns entstandenen Schäden. Er führte als Schadenspositionen die Vertragsstrafenzahlung an die Baufirma, einen Mietausfall und gezahlte Bereitstellungszinsen auf. Das Landgericht Berlin wies die Klage ab. Der Bundesgerichtshof entschied aber anders, hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit wieder zurück an das Landgericht.
Leider wird aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des BGH nicht ersichtlich, aus welchen Gründen genau die einstweilige Verfügung des Mieters unwirksam war. Die Entscheidung verdeutlicht aber, mit welchen Risiken ein Mieter nach Beantragung einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich rechnen muss. Im vorliegenden Fall machte der Vermieter einen Schadensersatz – verteilt auf mehrere Schadenpositionen – von insgesamt rund 74.000 Euro geltend.
§ 945 ZPO begründet – wie der BGH erneut betont – eine weder Rechtswidrigkeit noch Schuld voraussetzende Risikohaftung des Gläubigers, hier also des Mieters. Wer aus einem noch nicht endgültigen Titel die Vollstreckung betreibt, soll das Risiko tragen, dass sich sein Vorgehen nachträglich als unberechtigt erweist. Das Risiko eines Schadensersatzanspruchs bei Beantragung der einstweiligen Verfügung ist also nicht von vornherein zu vernachlässigen. Mieter beratende Anwälte sollten hierauf in jedem Falle hinweisen.
Ungerechtfertigt kann ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowohl bei Fehlen des Verfügungsanspruches wie auch bei Fehlen des Verfügungsgrundes sein. Auch mangelnde Dringlichkeit kann daher einen Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO auslösen.
Der Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung adäquat kausal verursachten unmittelbaren oder mittelbaren Schaden einschließlich des infolge des Vollzugs von Verbotsverfügungen entgangenen Gewinns des Schuldners.
Ein kausaler und ersatzfähiger Schaden kann schon dann gegeben sein, wenn eine selbstschädigende Handlung des Gläubigers (hier des Vermieters) durch den Schädiger (hier: durch den Mieter) herausgefordert worden ist.
Die Zahlung der Vertragsstrafe durch den Vermieter an das Bauunternehmen sei letztlich – so der BGH – durch den Mieter herausgefordert worden. Es komme jetzt darauf an, ob der Vermieter nach den bei der Zahlung erkennbaren Umständen davon ausgehen musste, dass die Baufirma entsprechende Ansprüche habe, dass die Zahlung vernünftig und zweckmäßig gewesen sei. Dies habe das Landgericht noch festzustellen.
Weiterhin seien Bereitstellungszinsen aus Darlehensverträgen, die erst nach Baustopp geschlossen wurden, als Vollziehungsschaden grundsätzlich ersatzfähig, wenn zwischen ihrer Entstehung und der durch die einstweilige Verfügung verursachten Verzögerung ein Zurechnungszusammenhang bestünde. Dieser fehle, wenn der Vermieter durch das Eingehen der in dem Darlehensvertrag vorgesehenen Verpflichtungen ein unverhältnismäßiges Risiko auf sich genommen habe.
Der BGH erkannte auch grundsätzlich die Möglichkeit eines Mietausfallschadens als entgangenen Gewinn im Sinne des § 252 BGB an. Das Landgericht müsse aber noch klären, ob der Vermieter einen ersatzfähigen Mietausfallschaden in Form des entgangenen Gewinns tatsächlich erlitten habe, weil die Wohnungen nicht beziehungsweise erst später vermietet werden konnten. Ein Mietausfallschaden sei hinreichend dargelegt, wenn nach dem Vortrag des Vermieters angesichts des Mietobjektes und der Marktlage üblicherweise ein neuer Mieter innerhalb einer bestimmten Frist nach Beendigung der Baumaßnahmen gefunden worden wäre.
Schließlich sei auch noch ein Mitverschulden des Vermieters gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen, wenn dieser durch sein schuldhaftes Verhalten Anlass zur Erwirkung der einstweiligen Verfügung durch den Mieter gegeben habe.
Ein mitwirkendes Verschulden könne auch bei Unterlassen eines aussichtsreichen Widerspruchs in Betracht kommen. Insoweit habe das Landgericht in Rechnung zu stellen, dass der Vermieter gegen die ihm bereits am 16. September 2009 zugestellte einstweilige Verfügung erst am 16. November 2009 Widerspruch eingelegt und später einem Ruhen des Verfahrens zugestimmt und erst am 19. Februar 2010 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt habe.
20.03.2017