Leitsätze:
a) Sogenannte Schriftformheilungsklauseln sind mit der nicht abdingbaren Vorschrift des § 550 BGB unvereinbar und daher unwirksam. Sie können deshalb für sich genommen eine Vertragspartei nicht daran hindern, einen Mietvertrag unter Berufung auf einen Schriftformmangel ordentlich zu kündigen.
b) Es verstößt gegen Treu und Glauben, wenn eine Mietvertragspartei eine nachträglich getroffene Abrede, die lediglich ihr vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem ihr inzwischen lästig gewordenen langfristigen Mietvertrag zu lösen.
BGH vom 27.9.2017 – XII ZR 114/16 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 20 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mietvertrag enthielt eine Wertsicherungsklausel, nach der sich die Miete ändert, sobald sich der Verbraucherpreisindex für Deutschland um mindestens 10 Punkte verändert. Zudem wurde eine feste Mietzeit bis zum 31.5.2020 mit einer einmaligen Verlängerungsoption für den Mieter vereinbart.
Darüber hinaus enthielt der Mietvertrag folgende Schriftformheilungsklausel: „Die Parteien verpflichten sich gegenseitig, … jederzeit alle Handlungen vorzunehmen und Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem gesetzlichen Schriftformerfordernis gemäß § 550 BGB, insbesondere im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Nachtrages sowie weiteren Nachträgen, Genüge zu tun und bis dahin den Mietvertrag nicht unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Schriftform vorzeitig zu kündigen.“
Im Januar 2011 teilte die Vermieterin dem Mieter schriftlich mit, die Wertsicherungsklausel dahingehend ändern zu wollen, dass bei einer Veränderung des Verbraucherpreisindex um 5 Prozent eine entsprechende Änderung der Miete eintreten solle. Der Mieter vermerkte auf dem Schreiben handschriftlich „6 Prozent einverstanden“, unterschrieb den Vermerk und sandte das Schreiben an die Vermieterin zurück. Im Jahr 2014 kündigte der Vermieter die Gewerberäume mit Berufung auf einen Schriftformverstoß.
Der BGH erkannte in der Nachtragsvereinbarung zur Wertsicherungsklausel einen Verstoß gegen die Schriftform: Dem Schreiben des Vermieters mit dem handschriftlichen Zusatz des Mieters fehle es an einer ausreichenden Bezugnahme auf den Ursprungsvertrag und die Nachträge.
Folge des Verstoßes gegen die Schriftform ist, dass der Mietvertrag gemäß § 550 BGB als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt und grundsätzlich jederzeit eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist möglich ist. Gleichwohl hielt der BGH die Berufung auf den Schriftformmangel vorliegend für ausgeschlossen. Der Ausschluss ergebe sich aber nicht schon aus der Schriftformheilungsklausel, nach der die Vertragsparteien zur Nachholung der Schriftform verpflichtet seien.
Schriftformheilungsklauseln, die eine generelle Verpflichtung der Vertragsparteien enthalten, Schriftformverstöße jeglicher Art nachträglich zu beseitigen, um so eine „vorzeitige“ Vertragsbeendigung durch ordentliche Kündigung zu unterbinden, seien stets unwirksam. Das gelte unabhängig davon, ob sie durch Individualvertrag oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart würden. § 550 BGB enthalte zwingendes Recht. Das Schriftformerfordernis bei langfristigen Mietverträgen solle nicht nur sicherstellen, dass ein Grundstückserwerber, der als Vermieter in ein langfristiges Mietverhältnis eintritt, dessen Bedingungen aus dem schriftlichen Mietvertrag ersehen könne. Es diene auch dazu, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden zwischen den ursprünglichen Mietvertragsparteien zu gewährleisten und diese vor der unbedachten Eingehung langfristiger Bindungen zu schützen.
Mit Blick auf diesen Schutzzweck seien Schriftformheilungsklauseln nicht mit § 550 BGB vereinbar. Dies gilt unabhängig davon, ob sie wie hier zusätzlich eine Verpflichtung enthielten, von einer Kündigung wegen des Schriftformfehlers abzusehen.
Der Vermieter konnte sich aber deshalb nicht auf den Schriftformmangel berufen, weil die Vertragsänderung, die zum Wegfall der Schriftform geführt hat, auf sein Drängen erfolgt sei und ausschließlich seinen Interessen gedient habe. Durch die geänderte Indexklausel war es dem Vermieter wesentlich früher möglich, eine Mieterhöhung durchzusetzen, als dies bei der ursprünglichen Klausel der Fall gewesen wäre. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn eine Mietvertragspartei eine nachträglich getroffene Abrede, die lediglich ihr vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nehme, sich von einem ihr inzwischen lästig gewordenen langfristigen Mietvertrag zu lösen.
25.01.2018