Leitsatz:
Der nach Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB gegebene Anspruch des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses ist nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Vermieter die außerordentliche Kündigung erklärt hat; es genügt, wenn dem Vermieter bei Zugang der ordentlichen Kündigung (auch) ein Recht zur fristlosen Kündigung zusteht. Eine fristgerechte Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ändert an dem Ausschluss des Fortsetzungsanspruchs des Mieters nichts, da sie einer ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung im Wege der gesetzlichen Fiktion lediglich rückwirkend deren Gestaltungswirkung nimmt, nicht aber dazu führt, dass ein Grund für die fristlose Kündigung von vornherein nicht bestand. Für eine teleologische Reduktion von § 574 Abs. 1 BGB dahin, dass das Widerspruchsrecht des Mieters mit fristgerechter Schonfristzahlung neu entsteht oder wiederauflebt, ist kein Raum, da es an einer hierfür notwendigen planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes – verdeckten Regelungslücke – fehlt.
BGH vom 1.7.2020 – VIII ZR 323/18 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 17 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Ein Mieter kann einer ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist (Härteeinwand). Der Widerspruch ist aber nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zu einer fristlosen Kündigung berechtigt.
Hier hatte der Vermieter den Mietvertrag fristlos, hilfsweise ordentlich, gekündigt, nachdem ein Zahlungsrückstand von 1.630 Euro aufgelaufen war. Nach Einreichung der Räumungsklage zahlte das Jobcenter innerhalb der Schonfrist die kompletten Mietrückstände.
Die Mieterin wandte im Prozess im Hinblick auf die ordentliche Kündigung aus verschiedenen, im Einzelnen aufgeführten Gründen eine unzumutbare Härte ein. Das Landgericht erkannte eine nicht zu rechtfertigende Härte und wies die Räumungsklage ab, da sich das Mietverhältnis nach §§ 574, 574 a BGB infolge der Härte auf unbestimmte Zeit verlängere.
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück. Der Räumungsanspruch könne nicht wegen des Härteeinwands der Mieterin verneint werden. Das Widerspruchsrecht der Mieterin sei gemäß § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
Rechtsirrtümlich sei die Auffassung des Berufungsgerichts, die Zahlung des Sozialhilfeträgers innerhalb der Schonfrist führe dazu, dass für den Mieter gegenüber der vom Vermieter hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung nunmehr die Möglichkeit des Widerspruchs gemäß § 574 Abs. 1
Satz 1 BGB wegen einer von ihm geltend gemachten unzumutbaren Härte eröffnet sei, weil der Ausnahmetatbestand des § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB dann nicht eingreife.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bestehe auch kein Grund zu der Annahme, dass das Widerspruchsrecht des Mieters nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB mit der Schonfristzahlung „neu entstehen“ oder „wiederaufleben“ könnte, etwa im Wege einer vom Berufungsgericht angenommenen teleologischen Reduktion des § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setze eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. An einer solchen planwidrigen Unvollständigkeit der Regelung zum Widerspruchsrecht fehle es aber. Mit dem Widerspruchsrecht des Mieters in § 574 BGB sollte zugunsten des Mieters aus sozialen Gründen unter bestimmten Voraussetzungen (in Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien) die Möglichkeit geschaffen werden, nach einer an sich berechtigten Kündigung des Vermieters die Fortsetzung des Mietverhältnisses – gegebenenfalls auch auf unbestimmte Zeit – beanspruchen zu können. Ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses sollte dem Mieter indes nicht eingeräumt werden, wenn gravierende (den Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigende) Vertragsstörungen eingetreten waren.
27.10.2020