Leitsätze:
Die Frage, ob von einem Haushaltskunden erhobene Einwendungen gegen eine Stromrechnung die „ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers“ belegen und den Kunden deshalb zur Zahlungsverweigerung nach § 17 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV berechtigen, ist unter Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls zu beantworten (hier: angebliche Verzehnfachung des Verbrauchs bei moderatem Haushaltszuschnitt). Danach berechtigte Einwendungen des Kunden hat der Versorger bereits im Zahlungsprozess zu widerlegen.
§ 17 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 StromGVV stellt keine abschließende Regelung sämtlicher Fälle von Verbrauchssteigerungen dar.
BGH vom 7.2.2018 – VIII ZR 148/17 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 14 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
§ 17 Absatz 1 Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) lautet:
Rechnungen und Abschläge werden zu dem vom Grundversorger angegebenen Zeitpunkt, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der Zahlungsaufforderung fällig. Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen gegenüber dem Grundversorger zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur,
1. soweit die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers besteht, oder
2. sofern
a) der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum ist und
b) der Kunde eine Nachprüfung der Messeinrichtung verlangt und solange durch die Nachprüfung nicht die ordnungsgemäße Funktion des Messgeräts festgestellt ist.
§ 315 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt von Satz 2 unberührt.
Ein Energieversorgungsunternehmen aus Oldenburg berechnete seinem Kundenhaushalt, einem älteren Ehepaar mit Enkel, für die zwölfmonatige Abrechnungsperiode Stromkosten in Höhe von 9073,40 Euro. Dabei wurde der Abrechnung ein abgelesener Verbrauch von 31 814 kWh zugrunde gelegt, zehnmal mehr als im Vorjahr. Die Kunden zahlten nicht, der Stromzähler wurde ausgebaut und überprüft. Mängel wurden nicht festgestellt, der Stromzähler wurde entsorgt. Die Zahlungsklage des Energieversorgers wies der Bundesgerichtshof allerdings ab.
§ 17 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV beruhe auf der Erwägung des Verordnungsgebers, dass die grundsätzlich zur Vorleistung verpflichteten Grundversorger nicht unvertretbare Verzögerungen bei der Realisierung ihrer Preisforderungen hinnehmen müssen, die sich daraus ergeben, dass Kunden Einwände geltend machen, die sich letztlich als unberechtigt erweisen. Um Liquiditätsengpässe und daraus folgende Versorgungseinschränkungen zu vermeiden, wollte der Verordnungsgeber es den Versorgungsunternehmen ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig kleinen Forderungen mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen.
Der Kunde werde deshalb nach § 17 StromGVV im Regelfall mit seinen Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung (insbesondere Mess- und Ablesefehler) im Zahlungsprozess des Versorgers ausgeschlossen. Dadurch werde der Kunde aber nicht rechtlos gestellt. Denn die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers für die Richtigkeit der Abrechnung ändere diese Regelung nicht. Vielmehr werde die Beweisaufnahme in den Fällen, in denen der Kunde nach § 17 StromGVV mit seinen Einwendungen ausgeschlossen sei, lediglich auf den Rückforderungsprozess des Kunden verlagert.
Sofern der Kunde allerdings (wie vorliegend angesichts des abgelesenen angeblichen enormen Verbrauchs) bereits die „ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers“ aufzeigen könne, sei er mit seinem Einwand nicht auf einen späteren Rückforderungsprozess verwiesen. Vielmehr sei sein Einwand, die berechnete Strommenge nicht bezogen zu haben, schon im Rahmen der Zahlungsklage des Versorgers zu prüfen. Das Energieversorgungsunternehmen müsse dann nach allgemeinen Grundsätzen die Voraussetzungen seines Anspruchs, also auch den tatsächlichen Bezug der in Rechnung gestellten Energiemenge beweisen. Insoweit hatte das Versorgungsunternehmen in den Tatsacheninstanzen jedoch keinen tauglichen Beweis angetreten und den streitigen Zähler zudem entsorgt.
17.06.2018