Leitsatz:
Zu den Rechtsfolgen einer nach § 11 Absatz 3 Strom-GVV/GasGVV unzulässigen Verbrauchsschätzung.
BGH vom 16.10.2013 – VIII ZR 243/12 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 12 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Kunde kündigte die Strom- und Gaslieferungsverträge mit dem Versorgungsunternehmen zum 1. Mai 2010 und wechselte zu diesem Zeitpunkt den Lieferanten. Das Versorgungsunternehmen las die Zählerstände nicht selbst ab und forderte den Kunden auch nicht auf, die Zählerstände mitzuteilen. Mit Schlussrechnung vom 16. August 2010 verlangte das Unternehmen für die Monate Januar bis April 2010 – auf der Grundlage von geschätzten Verbrauchswerten – Zahlung von insgesamt 2076,13 Euro.
Der Kunde war der Auffassung, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, weil der Versorger zur Schätzung nicht berechtigt gewesen sei. Der Versorger könne das Versäumnis einer Verbrauchsablesung nicht durch eine Verbrauchsschätzung ungeschehen machen.
Diese Sichtweise des Kunden teilte der BGH nicht. Zwar beruhten die Schlussrechnungen des Versorgers auf einer Verbrauchsschätzung, zu der der Versorger nicht berechtigt war. Denn die Voraussetzungen des § 11 Absatz 3 StromGVV lägen nicht vor, wie sich schon aus dessen Wortlaut ergebe: „Wenn der Netzbetreiber oder der Grundversorger das Grundstück und die Räume des Kunden nicht zum Zwecke der Ablesung betreten kann, darf der Grundversorger den Verbrauch auf der Grundlage der letzten Ablesung oder bei einem Neukunden nach dem Verbrauch vergleichbarer Kunden unter angemessener Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse schätzen. Dasselbe gilt, wenn der Kunde eine vereinbarte Selbstablesung nicht oder verspätet vornimmt.“
Dies führe aber nicht zu einem Forderungsausschluss auf Seiten des Versorgers, sondern habe nur zur Folge, dass er den seinen Schlussrechnungen zugrunde gelegten, bestrittenen Verbrauch des Kunden gemäß §§ 286, 287 ZPO zur Überzeugung des Gerichts nachweisen müsse.
Eine unzulässige Verbrauchsschätzung führe nicht dazu, dass das Versorgungsunternehmen überhaupt nicht mehr abrechnen könne. Im Gegensatz zu der mietrechtlichen Ausschlussvorschrift des § 556 Absatz 3 Satz 3 BGB enthalte die StromGVV/GasGVV keine Sanktionsbestimmung, die es dem Versorgungsunternehmen von vornherein verwehren würde, eine auf einer unzulässigen Schätzung beruhende Forderung gerichtlich geltend zu machen.
Die gerichtliche Schätzung sei nicht mit einer (ordnungsgemäßen) Schätzung nach § 11 Absatz 3 StromGVV/GasGVV identisch. Zum einen könne sie als unparteiische, häufig durch einen Sachverständigen unterstützte Schätzung eine höhere Richtigkeitsgewähr für sich beanspruchen als die vorprozessuale Schätzung des Versorgers. Zum anderen diene sie nur der Beweiserleichterung für den Versorger mit dem Risiko, dass mit ihr unter Umständen nur der Mindestumfang des Anspruchs ermittelt werden könne.
Der BGH hat die Sache deshalb wegen der erforderlichen Feststellungen zur Höhe des geltend gemachten Anspruchs des Versorgers an das Landgericht zurückverwiesen.
06.05.2014