Leitsatz:
Zur Abgrenzung eines Mietvertrags von anderen Gebrauchsüberlassungsverhältnissen bei Wohnräumen.
BGH vom 20.9.2017 – VIII ZR 279/16 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 15 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Zwangsverwalter nahm die Nutzerin eines Reihenhauses auf dessen Herausgabe sowie auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Anspruch. Die Nutzerin wohnte seit 1990 in dem Reihenhaus. Ein schriftlicher Vertrag über die Nutzung bestand nicht.
Eigentümer des zwangsverwalteten Reihenhauses war ein persischer Geschäftsmann, der sich seit Jahren im Ausland aufhielt. Der Ehemann der Nutzerin war mit diesem zum Zeitpunkt der Errichtung des Hauses teils geschäftlich und teils privat – beide sind Landsleute – verbunden.
Die Nutzerin machte geltend, zwischen ihr beziehungsweise zwischen ihrem früheren Ehemann und dem Wohnungseigentümer bestehe ein Mietverhältnis. Die Anschaffungskosten für das Reihenhaus in Höhe von etwa 303 852,60 Euro seien seinerzeit wirtschaftlich von ihrem früheren Ehemann getragen worden, indem ihm entsprechende Provisionszahlungen „abgezogen“ worden seien. Im Gegenzug habe er auf Lebenszeit unentgeltlich in dem Haus leben dürfen. Hieraus leite sich auch das lebenslange Wohnrecht für sie selbst ab. Darüber hinaus ergebe sich das Bestehen eines Mietverhältnisses bereits daraus, dass sie und ihr damaliger Ehemann seit Nutzungsbeginn im Jahr 1998 „sämtliche Neben- und Reparaturkosten“ für das Haus bezahlt hätten.
Darauf, dass ein Mietverhältnis bestand, kam es im Hinblick auf § 152 Absatz 2 ZVG an. Die Vorschrift lautet: „Ist das Grundstück vor der Beschlagnahme einem Mieter oder Pächter überlassen, so ist der Miet- oder Pachtvertrag auch dem Verwalter gegenüber wirksam.“ Danach sind weder die Leihe, noch ein sonstiges vereinbartes schuldrechtliches Nutzungsverhältnis sui generis dem Zwangsverwalter gegenüber bestandskräftig. Fehlt es – wie vorliegend – an der grundbuchrechtlichen Eintragung eines dinglichen Wohnrechts gemäß § 1093 BGB, gibt nur ein Mietvertrag das Recht zum Besitz nach § 986 BGB, das dem Zwangsverwalter gemäß § 152 Abs. 2 ZVG entgegengehalten werden kann.
Der BGH hatte daher die Rechtsnatur der Überlassung des Reihenhauses festzustellen.
Zwar könne sich ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, den Gebrauch einer Sache gegen Entrichtung eines Entgelts zu gewähren, rechtlich als Mietvertrag im Sinne des § 535 BGB darstellen. Dies gelte auch dann, wenn das vereinbarte Entgelt sehr niedrig sei, denn die Miete brauche dem Mietwert der Sache nicht zu entsprechen. Vielmehr stelle auch ein weit unter der Marktmiete liegendes Entgelt für den Gebrauch einer Sache eine Miete dar (sogenannte Gefälligkeitsmiete).
Bei einer – wie vorliegend – (nahezu) unentgeltlichen Überlassung von Wohnraum zu Wohnzwecken sei die Differenzierung, ob die Parteien einen Mietvertrag (§ 535 BGB), einen Leihvertrag (§ 598 BGB) oder ein schuldrechtliches Nutzungsverhältnis sui generis (§ 241 BGB) abschließen oder nur ein bloßes Gefälligkeitsgeschäft vornehmen wollten, im Einzelfall schwierig. Zur Abgrenzung der verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten sei nach Anlass und Zweck der Gebrauchsüberlassung und gegebenenfalls sonstigen erkennbar zutage getretenen Interessen der Parteien zu unterscheiden. Dabei könne auch das nachträgliche Verhalten der Vertragsparteien zu berücksichtigen sein.
Der Abschluss eines Wohnraummietvertrags setze voraus, dass sich einerseits der Vermieter verpflichte, Wohnräume dauerhaft und – im Rahmen des sozialen Mietrechts – unter Einschränkung seiner Kündigungsmöglichkeit dem Mieter gegen Zahlung eines Entgelts zu überlassen und dass sich der Mieter im Gegenzug verpflichte, hierfür Miete zu entrichten. An letzterem fehle es, wenn erst nach der Überlassung Kostentragungspflichten entstünden.
Die Übernahme gelegentlicher Reparaturkosten spreche nicht für eine mietvertragliche Vereinbarung. Denn auch bei der Leihe habe der Entleiher gemäß §§ 598, 601 Abs. 1 BGB regelmäßig die der Erhaltung der Sache dienenden Kosten, die den Gebrauch der Sache erst ermöglichen, zu tragen.
Hinsichtlich der Tragung der Betriebskosten habe auch bei der Vereinbarung eines unentgeltliches Wohnungsrechts der Wohnungsberechtigte jedenfalls die verbrauchsabhängigen Kosten wie Strom, Wasser und Heizung zu tragen, ebenso aber auch die anteiligen verbrauchsunabhängigen Kosten der Unterhaltung der Anlagen. Auch dies reiche somit für die Annahme einer mietvertraglichen Vereinbarung nicht aus.
Der BGH kam letztendlich zu dem Ergebnis, dass die Nutzerin den Abschluss eines Mietvertrags gemäß § 535 BGB nicht schlüssig habe darlegen können. Den Räumungs- und Zahlungsansprüchen des Zwangsverwalters könne der Bestand eines wirksam vereinbarten Mietverhältnisses nicht entgegengehalten werden. Daher stehe dem Zwangsverwalter gegen die Nutzerin ein Anspruch auf Herausgabe des Grundstücks gemäß § 985 BGB sowie die geforderte Nutzungsentschädigung nach §§ 988, 990, 987 BGB zu.
25.01.2018