Leitsatz:
Bei fehlender Identität zwischen Vermieter und Veräußerer ist § 566 Abs. 1 BGB entsprechend anwendbar, wenn die Vermietung des veräußerten Grundstücks mit Zustimmung und im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers erfolgt und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat (Abgrenzung zu Senatsurteil vom 22.10.2003 – XII ZR 119/02 –, NJW-RR 2004, 657).
BGH vom 12.7.2017 – XII ZR 26/16 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 19 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Gewerbemieter hatte 2008 die Räume von der E.-Handels GmbH gemietet. Eigentümer war seinerzeit aber die E.-Grundstücksgesellschaft GmbH. Die Handels GmbH war aus „strategischen“ Gründen ins Leben gerufen worden und hatte den Mietvertrag auf Anweisung der Grundstücks GmbH abgeschlossen. Die Grundstücks GmbH hatte die Gewerbeimmobilie verwaltet und die Miete eingezogen.
Im April 2011 verkaufte die Grundstücks GmbH die Immobilie. Dem Kaufvertrag war eine Mieterliste beigefügt. Zudem übertrug die Grundstücks GmbH sämtliche Rechte und Pflichten aus den Mietverträgen ab Übergabe auf den Erwerber.
Im September 2013 verlangte der Erwerber des Grundstücks gemäß § 985 BGB vom Mieter die Räumung und Herausgabe der Gewerberäume.
Die Räumungsklage des Erwerbers hatte jedoch nach der Entscheidung des BGH keinen Erfolg.
Der BGH stellt nun mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung (zuletzt BGH vom 19.2.2013 – VIII ZR 178/12 –) zur anlogen Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB klar.
Ein Erwerber tritt danach unter bestimmten – hier vorliegenden – Voraussetzungen in entsprechender Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB als Vermieter in das Mietverhältnis ein.
Eine direkte Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB scheidet hier aus, weil es an der hierfür notwendigen Identität von Veräußerer und Vermieter fehlt. Vermieter war die Handels GmbH, während Grundstückseigentümer die Grundstücks GmbH war.
Die analoge Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB setzt nach Ansicht des BGH dreierlei voraus, nämlich, dass:
– die Vermietung mit Zustimmung des Eigentümers erfolgt ist,
– im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers liegt und
– der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat.
Diese Sachverhaltskonstellation habe der Gesetzgeber des § 566 BGB beziehungsweise § 571 a.F. BGB – so der BGH – nicht gesehen, so dass eine Regelungslücke vorliege, die durch Analogie geschlossen werden müsse.
Denn hier sei die Situation mit derjenigen vergleichbar, die der Gesetzgeber in § 566 Abs. 1 BGB geregelt habe. Durch den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ wolle der Gesetzgeber hauptsächlich Mieter von Gewerberäumen davor schützen, bei einer Veräußerung des Grundstücks ihren Besitz am Mietobjekt zu verlieren. Dieser Gesetzeszweck greife nicht nur, wenn der Mieter das Mietobjekt direkt von dessen Eigentümer miete, sondern auch, wenn ein Nichteigentümer den Mietvertrag in eigenem Namen, aber mit Zustimmung des Eigentümers abschließe. Anderenfalls könnte der von § 566 Abs. 1 BGB gewährte Mieterschutz dadurch umgangen werden, dass der Eigentümer nicht selbst den Mietvertrag abschließe, sondern eine dritte Person einschalte, die formal als Vermieter auftrete, letztlich aber allein im Interesse des Eigentümers handele.
Der Vermieter erfahre keine Nachteile durch die entsprechende Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB. Denn bliebe der Vermieter bei einer Veräußerung des Mietobjekts durch den Eigentümer weiterhin gegenüber dem Mieter nach § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet, obwohl er nach der Übertragung des Eigentums auf den Erwerber in der Regel diese Verpflichtung nicht mehr erfüllen könnte, wäre er Schadensersatzansprüchen des Mieters ausgesetzt. Deshalb werde die Rechtsstellung des Vermieters bei einer analogen Anwendung des § 566 BGB und der damit verbundenen bürgengleichen Haftung nach § 566 Abs. 2 BGB nicht verschlechtert.
Durch die Beschränkung der analogen Anwendung von § 566 BGB auf die Fälle, in denen der Vermieter nicht nur mit Zustimmung des Eigentümers, sondern auch in dessen wirtschaftlichem Interesse handele, sei gewährleistet, dass die Vorschrift bei einer bloßen Untervermietung nicht entsprechend anwendbar sei. Bei der Untervermietung gestatte der Eigentümer zwar dem Hauptmieter auch, das Mietobjekt weiterzuvermieten. Der Untermietvertrag werde aber nicht im Interesse des Eigentümers geschlossen, sondern sei eine besondere Art der Nutzung der Mietsache durch den Hauptmieter. Im konkreten Fall seien die genannten drei Voraussetzungen erfüllt. Folglich sei der Erwerber in die bestehenden Mietverträge eingetreten, womit der Mieter seinem auf § 985 BGB gestützten Herausgabeanspruch ein Recht zum Besitz gemäß § 986 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne.
28.12.2017