Leitsatz:
Zur Bedeutung einer Vollständigkeitsklausel (hier: „Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“) in einem Mietvertrag über Geschäftsräume.
BGH vom 3.3.2021 – XII ZR 92/19 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 13 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die hier zu einem Gewerbemietverhältnis ergangene Entscheidung ist auch für das Wohnraumietrecht von Bedeutung.
Vorliegend war im Mietvertrag unter anderem Folgendes vereinbart: „Die Vermietung erfolgt zum Betrieb einer Tagespflegeeinrichtung.“ „Die Räume werden durch den Vermieter vor Mietbeginn frisch renoviert wie abgesprochen (…).“ Unter „Sonstiges“ hieß es: „Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.“
Die Parteien streiten darum, ob die Miete deshalb gemindert sei, weil der Vermieter die mündlich versprochene Doppelverglasung der Räume bislang noch nicht vorgenommen habe.
Das Gericht der Vorinstanz war der Auffassung, dass diese mündliche Zusage keinen Eingang in den Mietvertrag gefunden habe. Vielmehr hätten die Parteien im Mietvertrag bestätigt, dass mündliche Nebenabreden zum Vertrag nicht bestünden. Selbst wenn es eine solche Zusage gegeben hätte, wäre sie deswegen nicht Vertragsbestandteil geworden und würde den Vermieter nicht binden.
Der BGH war da ganz anderer Auffassung. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung könne eine Mietminderung wegen der Einfachverglasung der gesamten Mieträume nicht verneint werden. Mit Recht wende sich der Mieter gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich aus der Mietvertragsklausel „Die Räume werden durch den Vermieter vor Mietbeginn frisch renoviert wie abgesprochen“ selbst unter Berücksichtigung von mündlichen Absprachen vor Vertragsschluss keine Verpflichtung des Vermieters ergeben könne, die Fenster in den Mieträumen vor Mietbeginn mit einer zusätzlichen Verglasung auszustatten.
Zu den auslegungsrelevanten Gesamtumständen, die einen Rückschluss auf den Inhalt einer Erklärung ermöglichten, gehörten insbesondere die Absprachen der Vertragsparteien im Rahmen der vertragsanbahnenden Verhandlungen. Vor diesem Hintergrund konnte das als wahr zu unterstellende Vorbringen des Mieters, der Vermieter habe ihm vor Vertragsschluss zugesagt, dass sämtliche Fenster mit einer zusätzlichen Verglasung ausgestaltet und im Übrigen vollständig aufgearbeitet werden sollten, bei der Auslegung des Mietvertrags grundsätzlich nicht außer Betracht gelassen werden.
Freilich könnten die außerhalb der Urkunde liegenden Begleitumstände in der Zeit bis zum Vertragsschluss ihre Auslegungsrelevanz wieder verlieren. Dies gelte grundsätzlich auch für vorvertragliche Absprachen, wenn festgestellt werden könne, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags nicht mehr an ihnen festhalten wollten. Eine solche Annahme lasse sich hier jedoch nicht aus der Klausel des Mietvertrags herleiten, nach der mündliche Nebenabreden nicht bestünden.
Sogenannte Vollständigkeitsklauseln („Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“, „Mündliche Nebenabreden wurden nicht getroffen“, „Mündliche Nebenabreden existieren nicht“) richteten sich, gleich ob sie als AGB in den Vertrag einbezogen oder individuell ausgehandelt seien, auf die Bestätigung der Tatsache, dass der schriftliche Vertrag alle zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen bezüglich des Vertragsgegenstands enthalte. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei geklärt, dass solche Klauseln lediglich die ohnehin eingreifende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der schriftlichen Vertragsurkunde wiedergeben, jedoch dem Vertragspartner, der sich auf eine abweichende mündliche Vereinbarung berufen wolle, die Führung des Gegenbeweises offenließen. Einer Vollständigkeitsklausel wie hier könne demgegenüber keine unwiderlegbare Vermutung für das Nichtbestehen mündlicher Abreden und auch sonst nicht entnommen werden, dass die Absprachen der Parteien aus dem Stadium der vertragsanbahnenden Verhandlungen keine Geltung mehr beanspruchen dürften. Als AGB wäre eine dies bezweckende Formularklausel mit Blick auf §§ 305 b, 307, 309 Nr. 12 BGB ohnehin unwirksam.
Ob ausnahmsweise etwas Anderes gelten könne, wenn der Regelungsgegenstand der vorvertraglichen Absprache im schriftlichen Vertragstext überhaupt nicht behandelt werde und dies nach den besonderen Umständen des Einzelfalls durch den von der vorvertraglichen Zusage begünstigten Vertragspartner nur so verstanden werden könne, dass sich der andere Teil mit Abschluss des Vertrags von dieser Zusage wieder lösen wolle, brauche nicht weiter erörtert zu werden. Denn so liege der Fall hier schon deshalb nicht, weil der Mietvertrag durch die Wendung „frisch renoviert wie abgesprochen“ bereits eine Andeutung dahingehend enthalte, dass sich die Parteien bei Abschluss des schriftlichen Vertrags von vorvertraglichen mündlichen Absprachen zur Beschaffenheit der Mietsache nicht distanzieren wollten.
Der BGH hat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun der Frage nachgehen, ob der Vermieter im Vorfeld des Vertragsschlusses tatsächlich zugesagt hat, die Einfachverglasung durch eine Doppelverglasung zu ersetzen.
27.07.2021