Leitsätze:
a) Ein Vorkaufsrecht des Mieters entsteht nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, wenn nach der Überlassung der vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist und dieses dann an einen Dritten verkauft wird (Senatsurteil vom 29.3.2006 – VIII ZR 250/05, NJW 2006, 1869 Rn. 10; BGH, Urteil vom 22.11.2013 – V ZR 96/12, BGHZ 199, 136 Rn. 5). Dass vor der Überlassung der Mietsache an den Mieter die für die Aufteilung in Wohnungseigentum erforderliche Teilungserklärung (§ 8 WEG) bereits notariell beurkundet worden ist, hindert das Entstehen des Vorkaufsrechts nach dieser Alternative nicht, weil die Teilung erst mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher wirksam wird.
b) Die Entstehung eines Vorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB ist davon abhängig, dass nach der Überlassung der vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet werden soll und das zukünftige Wohnungseigentum an einen Dritten verkauft wird. Ein Vorkaufsrecht besteht daher nach dieser Alternative nicht, wenn die Absicht, Wohnungseigentum zu begründen, schon vor der Überlassung der vermieteten Wohnräume an den Mieter gefasst worden und sich nach außen hinreichend manifestiert hat, etwa durch die notarielle Beurkundung einer Teilungserklärung (§ 8 WEG).
BGH vom 6.4.2016 – VIII ZR 143/15 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 21 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging in diesem Fall um die Anwendbarkeit der beiden Alternativen des gesetzlichen Vorkaufsrechts bei Umwandlung einer Mietwohnung in Wohneigentum. § 577 lautet: Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist [= 1. Alternative] oder begründet werden soll [= 2. Alternative], an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt.
Beim Sachverhalt gab es sieben wichtige Termine in dieser Reihenfolge:
29.9.2010: Notarielle Beurkundung der Teilungserklärung,
17.11.2010: Mietvertragsabschluss,
15.12.2010: Übergabe der Wohnung,
16.12.2010: notarieller Verkauf der Wohnung an einen Erwerber,
23.12.2010: Eintragung der Teilungserklärung im Grundbuch und Anlage der Wohnungsgrundbuchblätter, also Begründung des Wohnungseigentums,
1.10.2011: Grundbucheintragung des Erwerbers,
1.05.2013: Mieter erfahren erstmalig vom Verkauf der Wohnung und wollen wegen Vereitelung des Vorkaufsrechts Schadensersatz.
Unstrittig war vorliegend, dass einem Mieter nicht nur bei Vereitelung eines bereits ausgeübten Vorkaufsrechts, sondern auch dann ein Schadensersatz zustehen kann, wenn der Mieter infolge einer Verletzung der den Vermieter treffenden Mitteilungspflichten aus § 577 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2, § 469 Abs. 1 Satz 1 BGB vom Inhalt des Kaufvertrages mit einem Dritten und dem Bestehen eines Vorkaufsrechts des Mieters erst nach Übereignung der Wohnung an den Dritten Kenntnis erlangt hat und aus diesen Gründen von der Ausübung des Vorkaufsrechts absieht. Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch ist aber, dass überhaupt ein Vorkaufsrecht entstanden ist. Dies hat der BGH verneint, weil keine der beiden in § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Alternativen erfüllt sei.
Voraussetzung der ersten Alternative sei, dass nach der Überlassung der vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet werde und dieses dann an einen Dritten verkauft werde. Es sei also erforderlich, dass der Abschluss des notariellen Kaufvertrags mit dem Dritten der Begründung von Wohnungseigentum zeitlich nachfolge. Werde dieses erst – wie vorliegend – nach dem Verkauf begründet, scheide ein Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB aus. Während es sonst im Mietrecht zumeist auf die „Veräußerung“, also die Grundbucheintragung ankommt (vgl. § 566 BGB), spricht § 577 BGB hier von Verkauf und meint damit das schuldrechtliche Geschäft.
Nach der zweiten Alternative sei die Entstehung eines Vorkaufsrechts davon abhängig, dass das Tatbestandsmerkmal „Wohnungseigentum soll begründet werden“ zeitlich erst nach der Überlassung der Mietsache an den Mieter erfüllt werde. Denn das Gesetz spreche ausdrücklich von „vermieteten Wohnräumen, an denen nach Überlassung an den Mieter […] Wohnungseigentum begründet werden soll“. Das Gesetz legt damit eine bestimmte zeitliche Reihenfolge der einzelnen Vorgänge fest.
§ 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB unterscheide sich von der ersten Alternative dieser Vorschrift allein dadurch, dass nicht an ein bereits entstandenes Wohnungseigentum, sondern an die Absicht angeknüpft werde, Wohnungseigentum zu begründen. Hieraus ergebe sich, dass dann, wenn die Überlassung der Mieträume an den Mieter erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem das Tatbestandsmerkmal „Wohnungseigentum soll begründet werden“ bereits vorlag, ein Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB nicht entstehen könne.
Für eine Begründungsabsicht im Sinne des § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB reiche eine rein innerlich bestehende Absicht nicht aus. Vielmehr müsse sich die Absicht, die vermieteten Wohnräume in Wohnungseigentum umzuwandeln, nach außen hinreichend manifestieren. Denn ansonsten ließe sich nicht mit der für die Beteiligten erforderlichen Gewissheit feststellen, ob und ab welchem Zeitpunkt die gemäß § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB erforderliche Voraussetzung „Wohnungseigentum soll begründet werden“ erfüllt sei. Mit einer notariellen Beurkundung der Teilungserklärung nach § 8 WEG bringe der Vermieter/Eigentümer allerdings unzweifelhaft zum Ausdruck, dass die Absicht bestehe, Wohnungseigentum zu begründen.
Gemessen an den vorbezeichneten Maßstäben bestand im Streitfall die Absicht, Wohnungseigentum zu begründen, schon vor Überlassung der Mieträume an die Mieter. Denn der Vermieter habe bereits am 29.9.2010, also mehrere Monate vor der am 15.12.2010 erfolgten Besitzerlangung der Mieter, eine Teilungserklärung nach § 8 WEG notariell beurkunden lassen und damit die Absicht dokumentiert, die Mieträume in Wohnungseigentum umzuwandeln. Damit fehle es an einer notwendigen Voraussetzung für das Entstehen eines Vorkaufsrechts nach § 577 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB.
31.12.2017