Leitsätze:
a) Dem für einen Mietzahlungsverzug des Mieters gemäß § 286 Absatz 4 BGB erforderlichen Vertretenmüssen steht nicht entgegen, dass der Mieter, um die Miete entrichten zu können, auf Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle angewiesen ist und diese Leistungen rechtzeitig beantragt hat.
b) Kündigt der Vermieter in solch einem Fall gemäß § 543 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 BGB aus wichtigem Grund, findet eine Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen grundsätzlich nicht statt. Vielmehr sind die nach dieser Vorschrift allein auf den Umstand des Zahlungsverzugs abstellenden Kündigungsgründe vom Gesetzgeber so konzipiert worden, dass bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 543 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 BGB bereits ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gegeben ist und die in § 543 Absatz 1 BGB genannten Abwägungsvoraussetzungen nicht noch zusätzlich erfüllt sein müssen (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 – VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781 Rn. 26).
BGH vom 4.2.2015 – VIII ZR 175/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 14 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Ab Oktober 2011 bezog der Mieter vom zuständigen Jobcenter Arbeitslosengeld nach dem SGB II („Hartz IV“). Seit Januar 2013 leitete er die für seine Wohnung erhaltenen Zahlungen des Jobcenters nicht mehr an den Vermieter weiter. Der Vermieter erklärte daraufhin wegen der hierdurch entstandenen Mietrückstände am 17. April 2013 die fristlose Kündigung und erhob im Juni 2013 Räumungsklage. Das Jobcenter gab in der Folge aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts eine Verpflichtungserklärung gemäß § 569 Absatz 3 Nr. 2 BGB auf Übernahme der aufgelaufenen Mietschulden ab.
Nachdem seit Juli 2013 das Sozialamt seines Wohnorts für den Mieter zuständig geworden worden war, beantragte er bei diesem Sozialhilfe einschließlich der Übernahme der Wohnungskosten. Gegen die Ablehnung der Wohnungskostenübernahme erhob er Widerspruch und beantragte einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht. Dieses verpflichtete den Sozialhilfeträger schließlich im Wege einstweiliger Anordnung vom 30. April 2014 zur Zahlung der Mieten von September 2013 bis Juni 2014. In der Zwischenzeit hatte der Vermieter, gestützt auf die rückständigen Mieten für die Monate Oktober 2013 bis März 2014, am 12. März 2014 erneut die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses erklärt.
Der BGH gibt dem Vermieter Recht. Der Mieter muss die Wohnung räumen. Das Mietverhältnis sei durch die Kündigung vom 12. März 2014 wirksam beendet worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Mieter mit der Mietzahlung für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug gewesen. Der für die fristlose Kündigung erforderliche wichtige Grund im Sinne von § 543 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a BGB läge daher vor.
Dem Verzugseintritt stehe nicht entgegen, dass der Mieter, um die Miete entrichten zu können, auf Sozialleistungen angewiesen war und diese Leistungen rechtzeitig beantragt habe. Zwar komme der Schuldner nur in Verzug, wenn er das Ausbleiben der Leistung im Sinne von § 276 BGB zu vertreten habe. Bei Geldschulden befreiten jedoch wirtschaftliche Schwierigkeiten den Schuldner auch dann nicht von den Folgen verspäteter Zahlung, wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruhten. Vielmehr habe jedermann nach dem Prinzip der einer Geldschuld zugrunde liegenden unbeschränkten Vermögenshaftung („Geld hat man zu haben“) ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen. Dieses Prinzip gelte auch für Mietschulden. Bei einer fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzuges finde auch keine Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieter statt. Vielmehr gehe das Gesetz davon aus, dass dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar sei, sobald Verzug in der in § 543 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 BGB genannten Höhe vorliege.
Der Schutz des Mieters vor dem Verlust der Wohnung werde ausschließlich durch die einmalig innerhalb von zwei Jahren gewährte Schonfrist (§ 569 Absatz 3 BGB) sichergestellt.
Vorliegend war aber bereits die Kündigung vom April 2013 durch die Verpflichtungserklärung des Jobcenters unwirksam geworden, sodass die Kündigung vom 12.3. 2014 nicht mehr durch Zahlung beseitigt werden konnte.
29.06.2017