Leitsätze:
Den Mieter trifft eine aus § 242 BGB folgende Nebenpflicht, dem Vermieter bei Vorliegen eines hinreichenden und konkreten sachlichen Grundes den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren.
Das Interesse des Vermieters, die Mietsache zwecks Vorbereitung einer Vergleichsmietenerhöhung durch einen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragten öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu besichtigen, stellt einen solchen sachlichen Grund dar; die mit einer solchen Besichtigung verbundenen geringfügigen Beeinträchtigungen der von Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Mieters treten hinter die ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Vermieters, eine am örtlichen Markt orientierte Miete zu erzielen, zurück.
BGH vom 28.11.2023 – VIII ZR 77/23 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 10 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Vermieterin beabsichtigte, die Miete für die vom örtlichen Mietspiegel nicht erfasste Doppelhaushälfte bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete zu erhöhen, und hatte zu deren Ermittlung einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Den von der Vermieterin mehrfach erbetenen Zutritt zum Mietobjekt in Begleitung des Sachverständigen verweigerte der Mieter mit der Begründung, das Gutachten zur Vorbereitung des Mieterhöhungsverlangens könne auch ohne eine Besichtigung des Mietobjekts angefertigt werden.
Die auf Duldung des Betretens der Doppelhaushälfte durch die Vermieterin und einen von ihr beauftragten Sachverständigen nach schriftlicher Vorankündigung von mindestens einer Woche sowie auf die Ermöglichung des Zutritts durch den Mieter zu bestimmten Zeiten an Werktagen gerichtete Klage hatte vor dem Amtsgericht und dem Landgericht im Wesentlichen Erfolg gehabt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Mieter sein Klageabweisungsbegehren weiter. Der BGH jedoch sah für die Revision keine Aussicht auf Erfolg.
Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Vermieterin ein Anspruch auf Gewährung des Zutritts zu der vom Mieter angemieteten Doppelhaushälfte – gemeinsam mit dem von ihr mit der Erstellung eines Gutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete beauftragten öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen – gemäß § 242 BGB in Verbindung mit dem streitgegenständlichen Mietvertrag zustehe.
Den Mieter treffe eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gebe.
Bei der Prüfung, ob ein solcher konkreter sachlicher Grund vorliege, sei einerseits dem Eigentumsrecht des Vermieters (Art. 14 Abs. 1 GG), andererseits auch dem Recht des Mieters, in den Mieträumen „in Ruhe gelassen“ zu werden (Art. 13 Abs. 1 GG), und seinem ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Recht am Besitz der Mietwohnung Rechnung zu tragen. Die Tatgerichte seien insofern gehalten, die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.
Das Berufungsgericht habe zutreffend angenommen, dass das Interesse der Vermieterin, die Mietsache zwecks Vorbereitung einer Vergleichsmietenerhöhung (§ 558 Abs. 1 BGB) durch einen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragten öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen (§ 558 a Abs. 2 Nr. 3 BGB) zu besichtigen, einen sachlichen Grund im vorgenannten Sinne darstelle und dass die mit dieser Besichtigung einhergehenden lediglich geringfügigen Beeinträchtigungen der von Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen des beklagten Mieters hinter die ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Vermieterin, als Eigentümerin eine am örtlichen Markt orientierte, die Wirtschaftlichkeit der Mietsache regelmäßig sicherstellende Miete zu erzielen, zurückträten.
Zutreffend sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zur Beschaffenheit der Mietsache im Sinne des § 558 Abs. 2 BGB auch deren Erhaltungszustand gehöre, welcher grundsätzlich nur im Rahmen einer Besichtigung auch des Inneren der Wohnräume festgestellt werden könne. Damit bestehe im Hinblick auf das Interesse der Vermieterin, dem mit der Gutachtenerstellung beauftragten Sachverständigen (§ 558 a Abs. 2 Nr. 3 BGB) eine Besichtigung der Doppelhaushälfte zu ermöglichen, damit dieser die ortsübliche Vergleichsmiete möglichst rechtssicher ermitteln und die Vermieterin hierauf gestützt ein Mieterhöhungsverlangen erklären könne, ein sachlicher Grund für den erstrebten Zutritt zur Wohnung.
Auch der Umstand, dass die Vermieterin zur Wahrung der formellen Anforderungen eines Mieterhöhungsverlangens nicht zwingend darauf angewiesen sei, dass der mit der Erstellung eines Miethöhegutachtens beauftragte Sachverständige die Mieträumlichkeiten zuvor besichtigt habe, ändere nichts daran, dass ein Interesse der Vermieterin daran bestehe, eine Mieterhöhungserklärung, die im Falle einer fehlenden Zustimmung des Mieters die Grundlage eines prozessualen Klagebegehrens bilden kann, unter Beachtung sämtlicher Einzelfallumstände auch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtssicher zu erklären. Dies bedinge, dass die Beschaffenheit der Wohnung im Sinne des § 558 Abs. 2 BGB aufgrund einer – regelmäßig gebotenen – Besichtigung möglichst realitätsnah in die Begutachtung und damit in die durch den Sachverständigen ermittelte ortsübliche Vergleichsmiete einfließe.
Zudem seien die Quellen der Sachkunde des Sachverständigen für die Beurteilung der Qualität des Gutachtens bedeutsam und handele es sich bei der Besichtigung der Wohnung vor Gutachtenerstellung auch deshalb um eine im Interesse des Vermieters liegende Maßnahme, weil sie aufgrund der Berücksichtigung etwaiger besonderer Eigenheiten des konkreten Mietobjekts geeignet sei, überflüssige Prozesse zu vermeiden, indem sie die Bereitschaft des Mieters zu einer außergerichtlichen Einigung fördere.
28.04.2024