Leitsatz:
Eine Vertragsbestimmung, wonach sämtliche Zahlungen des Mieters zunächst auf Zinsen und Kosten zu verrechnen sind und eine anderweitige Leistungsbestimmung durch den Mieter ausgeschlossen ist, verstößt gegen § 554 b BGB und § 9 AGBG.
LG Berlin, Urteil vom 20.10.00 – 65 S 237/99 –
Mitgeteilt von VRiLG Rainer Bulling
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg. Die Klage auf Zahlung von Mietzins ist gemäß § 535 Satz 2 BGB in Höhe von 618,20 DM begründet.
1. Die Klägerin hat ausweislich ihrer Aufstellung im Schriftsatz vom 29.1.1999 mit der Klage Mietzins in Höhe von 168,64 DM für Februar 1996, den vollen Mietzins für Mai 1996 in Höhe von 1030,07 DM, weitere 550,60 DM für Juni 1996 und für September 1996 einen Betrag von 852,92 DM sowie einen offenbar aus einer Betriebskostenabrechnung stammenden Betrag von 249,78 DM verlangt. Die übrigen Beträge, um die zwischen den Parteien Streit besteht, sind nicht Streitgegenstand des vorliegenden Prozesses, denn die Beklagten rechnen weder mit angeblichen Überzahlungen auf, noch machen sie Rückzahlungsansprüche geltend. Zu prüfen sind daher lediglich die vom Klageantrag umfassten Ansprüche, die von der Klägerin nach vorherigen abweichenden Aufstellungen im oben genannten Schriftsatz eindeutig bestimmt wurden.
2. Für den Monat Februar 1996 schulden die Beklagten noch 154,55 DM. Der von ihnen am 31.1.1996 bezahlte Betrag von 862,75 DM reichte bei einer wie vom Amtsgericht zutreffend angenommenen Miethöhe von 1017,30 DM nicht aus, den gesamten Mietzins zu decken.
a) Der von den Beklagten am 31.1.1996 bezahlte Betrag war für die Februar-Miete bestimmt. Das ergibt sich auch ohne ausdrückliche Tilgungsbestimmung aus dem Datum der Zahlung und der Tatsache, dass aus Sicht der Beklagten bei einem geminderten Mietzins keine Rückstände bestanden, auf die eine Zahlung verrechnet werden könnte. Insoweit geht aus den Umständen, nämlich der Zahlung des von den Beklagten als geschuldeter Mietzins betrachteten Betrages zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Februar-Mietzinses, eine Tilgungsbestimmung mit ausreichender Deutlichkeit hervor (vgl. LG Köln, WM 1991, 98; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 7. Aufl., § 554 Rn. 25).
b) Es stand den Beklagten frei, mittels einer (konkludenten) Tilgungsbestimmung gemäß § 366 Abs. 1 BGB auf die Februar-Miete zu zahlen. Denn die Bestimmung in Nr. 4 Abs. 3 Satz 2, 3 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Klägerin war als gegen § 554 b BGB verstoßend und wegen unangemessener Benachteiligung gemäß § 9 Abs. 1, 2 Nr.1 AGBG unwirksam (ebenso OLG Celle, WM 1990, 103, 109; LG München I, WM 1994, 370, 371; Bub/Treier – Bub, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., Rn. II 428).
Gemäß § 366 Abs. 1 BGB steht das Bestimmungsrecht, auf welche Schuld seine Leistung zu verrechnen ist, grundsätzlich dem Schuldner zu. Der Ausschluss des Bestimmungsrechts in Verbindung mit der formularmäßigen Bestimmung, dass sämtliche Zahlungen zunächst auf Zinsen und Kosten zu verrechnen sind, benachteiligt den Mieter unangemessen, da hierdurch der Eintritt einer Kündigungslage gemäß § 554 BGB gefördert wird. Gemäß § 554 BGB kann der Vermieter die Kündigung des Mietverhältnisses nur aussprechen, wenn der Mieter sich mit der Zahlung von Mietzins in der gesetzlich bestimmten Höhe in Verzug befindet. Zinsen auf verspätet geleisteten Mietzins und Kosten sind keine laufenden Leistungen des Mieters und daher kein Mietzins im Sinne dieser Bestimmung; Rückstände mit Zinsen und Kosten begründen somit kein fristloses Kündigungsrecht nach § 554 BGB. Mietzinsforderungen sind für den Mieter somit die lästigeren Verbindlichkeiten, da sie den Bestand des Mietverhältnisses gefährden können, die Klausel, wonach Zahlungen des Mieters erst nach der Tilgung der Zinsen und Kosten zuletzt auf den Mietzins verrechnet werden können, widerspricht damit der Tilgungsreihenfolge, die gesetzlich nach § 366 Abs. 2 BGB zu beachten wäre.
Entgegen der Ansicht der Klägerin führt die Tatsache, dass sich Verzugszinsen und Kosten – und damit der Rückstand bei den reinen Mietzahlungen – selten zu einem Gesamtrückstand von zwei Monatsmieten aufsummieren werden, der gemäß § 554 Abs.1 Ziff. 2 BGB zur Kündigung berechtigt, nicht dazu, dass es sich nicht um einen lediglich geringfügigen und damit einen nicht unangemessenen Nachteil handelt. Denn die Gefährdung des Mietverhältnisses beruht nicht stets darauf, dass allein die Rückstände wegen der Zinsen und Kosten zu einer Kündigungslage führen können; vielmehr kann bei einem schon bestehenden Rückstand mit den laufenden Mietzahlungen, der zwei Monatsmieten nicht vollständig erreicht, die auf Grund der durch die Klägerin vorgeschriebene Verrechnung der Zahlungen zu einem weiteren Rückstand führen, mit dem zusammen ihr die Kündigung ermöglicht wird. Zudem trifft es bereits nicht zu, dass die Klausel sich regelmäßig nur in sehr geringem Umfang auswirken kann, denn zu den Kosten zählen nicht nur geringfügige Mahnkosten, sondern sämtliche Prozesskosten, Vollstreckungskosten und sonstige Aufwenden, die der Gläubiger zur Durchsetzung eines Anspruches macht; deren vorrangige Tilgung kann somit einen erheblichen Rückstand bei den Mietzinsforderungen bewirken.
Wirksam ist die Klausel auch nicht auf Grund der Tatsache, dass Leistungen des Schuldners gemäß § 367 Abs. 1 BGB bereits von Gesetzes wegen vorrangig auf die Zinsen und Kosten zu verrechnen sind. Denn § 367 BGB ist lediglich anzuwenden, wenn der Mieter weder ausdrücklich noch konkludent eine Verrechnungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB trifft; diese Möglichkeit wird dem Mieter durch die Klausel genommen. Dass der Vermieter gemäß § 367 Abs. 2 BGB berechtigt ist, die Annahme der Leistung abzulehnen, wenn der Mieter eine andere als die in § 367 Abs.1 BGB vorgesehene Leistungsbestimmung trifft, rechtfertigt keine andere Auffassung. § 367 Abs. 2 BGB verlangt dem Vermieter ein aktives Verhalten ab, wenn er der Leistungsbestimmung des Schuldners entgegentreten will; will der Vermieter somit eine Kündigungslage herbeiführen oder aufrechterhalten, so gelingt ihm dies nur, wenn er dem Mieter gegenüber klarstellt, dass er die geleisteten Zahlungen nicht als Erfüllung der zur Kündigung berechtigenden Rückstände akzeptiert. Damit ist den Interessen des Vermieters Genüge getan; es benachteiligt den Mieter jedoch unangemessen, wenn das gleiche Ergebnis bereits formularmäßig und für den Regelfall herbeigeführt wird.
Zudem ist es für den Mieter regelmäßig nicht ohne weiteres ersichtlich, in welcher Höhe Ansprüche wegen Kosten gegen ihn bestehen, und auch die Errechnung der jeweiligen Zinsverbindlichkeiten wegen des zu spät gezahlten Mietzinses kann zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Dies gilt um so mehr, da vorliegend der Mietzins auf Grund der – wie auszuführen ist, wirksamen – Klausel in Nr. 4 Abs. 2 Satz 1 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Klägerin mit jeweils 3 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen war. Der Beklagte wäre somit nur über eine regelmäßig eingeholte Bankauskunft in der Lage, die Höhe des Zinssatzes, auf Grund dessen der jeweilige Rückstand und damit die Anrechnung der geleisteten Zahlungen zu errechnen wäre, selbst zu bestimmen. Welche Zahlungen zur Vermeidung einer Kündigung notwendig zu leisten wären, ist für den durchschnittlichen Mieter auf Grund der Klausel nicht mehr in zumutbarer Weise ersichtlich.
Es ist kein weitergehendes schutzwürdiges Interesse der Klägerin ersichtlich, das in der Abwägung nach § 9 AGBG den Nachteil für den Mieter zu rechtfertigen imstande wäre. Aus den vorstehenden Gründen ist sie, sofern es darauf ankommt, eine Kündigung durchzusetzen, durch ihr Ablehnungsrecht gemäß § 367 Abs. 2 BGB ausreichend geschützt; die stetige unpünktliche Zahlung des Mietzinses kann überdies den Vermieter nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 554 a BGB zur fristlosen Kündigung berechtigen, so dass kein Grund ersichtlich ist, die Kündigungsmöglichkeiten formularmäßig noch zu erweitern.
Auf die unangemessene Benachteiligung kommt es überdies lediglich gemäß § 9 AGBG an; die Klausel verstößt jedoch auch gegen §554 b BGB und wäre daher selbst dann unwirksam, wenn sie zu einer lediglich geringfügigen Ausweitung der Kündigungsrechte des Vermieters führte.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Klausel auch nicht deshalb wirksam, weil für den Fall ihrer Wirksamkeit jedenfalls das Verschulden des Mieters an seinem Leistungsverzug ausgeschlossen und daher eine auf §554 BGB gestützte Kündigung des Vermieters regelmäßig unwirksam wäre. Der Mieter ist verpflichtet, sich über die Grundlagen des Vertrages durch die Lektüre des von ihm unterzeichneten Formulars zu unterrichten; im Falle der Wirksamkeit der Klausel wäre es ihm daher nicht schon grundsätzlich zugute zu halten, dass er davon, dass seine Zahlungen nicht in voller Höhe auf den laufenden Mietzins verrechnet werden können, keine Kenntnis haben könnte. Zumindest für den Regelfall hätte es daher dabei zu bleiben, dass gemäß § 285 BGB das Verschulden des Schuldners zu Grunde zu legen ist und die Beweislast dafür, dass er von dem Umfang seiner Zahlungsrückstände auch bei Anstrengung der gebotenen Sorgfalt keine Kenntnis haben konnte, beim Mieter verbleibt.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in NJW-RR 1995, 1257. Der BGH hat darin lediglich ausgeführt, dass eine zwischen Parteien – ausdrücklich oder konkludent – vereinbarte Tilgungsbestimmung bindend sei. Die Entscheidung betrifft jedoch eine individualvertraglich bestimmte Tilgung; sie besagt nicht, dass die Tilgungsbestimmung nicht nur für eine einzelne Leistung, sondern für sämtliche Leistungen des Dauerschuldverhältnisses sowie durch eine Formularklausel durch den Vermieter vorgegeben werden kann. Auch aus der Entscheidung des BGH vom 20.6.1984 (Z 91, 375) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Zwar hat der Bundesgerichtshof darin die formularmäßige Abbedingung von § 366 BGB für nicht grundsätzlich unzulässig gehalten. Die Entscheidung ist jedoch zum Gewerbemietrecht ergangen; die Klausel war daher an § 9 AGBG weder unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürfnisse des Mieters in seinen Wohnraumbelangen zu prüfen noch an § 554 b BGB, da diese Vorschrift nur auf Wohnraummietverhältnisse Anwendung findet. …
16.03.2013