Leitsätze:
1. Ein Mieter muss sich bei der Kündigung wegen Zahlungsverzugs das Verschulden des Sozialamts wie eigenes Verschulden anrechnen lassen, weil das Sozialamt insofern sein Erfüllungsgehilfe ist.
2. Es ist aber vom Gericht zu berücksichtigen, ob besondere Umstände vorliegen, denen zu Folge die Durchsetzung des auf den Mietrückstand gestützten Räumungsanspruches gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt.
3. Ein solcher Umstand kann darin liegen, dass das Sozialamt es versäumt hat, den Mieter von der Einstellung der Mietzahlungen rechtzeitig zu unterrichten.
[Leitsätze der Redaktion]
VerfGH Berlin, Beschluss vom 27.9.02 – VerfGH 63/02, 63 A/02 –
Mitgeteilt von RAin Cornelia Möller
Urteilstext
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein Teilurteil des Landgerichts, durch das ihre Berufung gegen ein amtsgerichtliches Räumungsurteil zurückgewiesen wurde.
Im Jahr 1983 mietete die Beschwerdeführerin von der Kommunalen Wohnungsverwaltung als Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 eine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Die monatliche Nettokaltmiete betrug ab Januar 1998 310,46 DM. Der Betriebskostenvorschuss war mit Wirkung vom 1.4.1996 von 137,58 DM um 40,31 DM auf 177,89 DM erhöht worden; die Beschwerdeführerin teilte der Beteiligten zu 2 mit Schreiben vom 27.12.1997 mit, dass sie den Erhöhungsbetrag ab Januar 1998 einbehalten werde, da die vorliegenden Betriebskostenabrechnungen bis auf eine Ausnahme stets ein Guthaben ausgewiesen hätten. Ab Dezember 1998 erfolgten Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten an dem Gebäude und in der Wohnung der Beschwerdeführerin. Ab Januar 1999 minderte diese die Miete – zunächst wegen der Arbeiten, ab November 1999 auch unter Geltendmachung von Mängeln nach Durchführung der Modernisierung und Instandsetzung um Beträge zwischen 20 und 50 % der monatlichen Nettokaltmieten, teilweise auch des Betriebskostenvorschusses. In den Monaten April und Mai 1999 nutzte die Beschwerdeführerin, die die Miete für diesen Zeitraum um 100 % minderte, ein teilmöbliertes Ausweichquartier in einem „Mieterhotel“, dessen Kosten – mit Ausnahme von Warmwasser und Strom – die Beteiligte zu 2 trug. Ab November 1999 erhob diese nach Herstellung der Heizungsanlage einen monatlichen Heizkostenvorschuss von 105,80 DM. Mit Schreiben vom 28.10.1999 erklärte sie gegenüber der Beschwerdeführerin eine Erhöhung der Nettokaltmiete wegen durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen um monatlich 136,53 DM auf 446,99 DM und forderte ab dem 1.12.1999 eine neue Gesamtmiete von 730,68 DM einschließlich Betriebs- und Heizkostenvorschuss; die Beschwerdeführerin erachtet die Mieterhöhung als unwirksam.
Mit Schreiben vom 27.3.2000 sprach die Beteiligte zu 2 gegenüber der Beschwerdeführerin unter Angabe eines Mietrückstands von 4286,58 DM die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs aus. Nachdem das Sozialamt im Februar 2000 1140,27 DM – u.a. zur Deckung der Miete für den Monat März – an die Beteiligte zu 2 gezahlt hatte, erfolgten in den Monaten April bis Juni Mietzahlungen weder durch das Amt noch durch die Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin teilte der Beteiligten zu 2 mit Schreiben vom 29.7.2000 u.a. mit, erst durch ein am 19.7.2000 bei ihren Rechtsanwälten eingegangenes Schreiben vom 20.6.2000 erfahren zu haben, dass das Sozialamt ab April die Mietzahlungen eingestellt und sie selbst zur Mietzahlung für diesen Zeitraum aufgefordert habe; allerdings habe das Amt nicht mitgeteilt, wie man die Miete bezahlen solle, wenn man monatlich nur 632,01 DM Sozialhilfe und weder Mietzuschuss noch Wohngeld erhalte. Die Rechtsanwälte hätten Widerspruch gegen diese Mitteilung erhoben, zudem habe man nochmals ausdrücklich eine Aufstellung bereits getätigter Zahlungen verlangt, um Überzahlungen festzustellen; insofern könnten erst nach Klärung dieser Angelegenheit die Mieten für April bis Juni 2000 überwiesen werden.
Mit der der Beschwerdeführerin am 22.8.2000 zugestellten, unter Bezugnahme auf die Kündigung vom 27.3.2000 erhobenen Räumungsklage vom 26.7.2000 kündigte die Beteiligte zu 2 mit der Begründung, die Beschwerdeführerin habe nach Ausspruch der fristlosen Kündigung keine Zahlungen geleistet, das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs vorsorglich erneut fristlos, hilfsweise fristgerecht. Die Beschwerdeführerin begehrte widerklagend die Zahlung von 12141 DM nebst Zinsen wegen verschiedener Aufwendungs- und Schadensersatzforderungen gegen die Beteiligte zu 2 im Zusammenhang mit dem Mietverhältnis. Das Amtsgericht Mitte verurteilte die Beschwerdeführerin mit am 25.7.2001 verkündetem Urteil – 15 C 339/00 – zur Räumung der Wohnung; ferner verurteilte es auf die Widerklage der Beschwerdeführerin die Beteiligte zu 2 zur Zahlung von 1887,91 DM nebst Zinsen an die Beschwerdeführerin und wies die Widerklage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, die Beteiligte zu 2 sei wegen des Zahlungsverzuges der Beschwerdeführerin für zwei aufeinander folgende Termine (April und Mai 1999) in voller Höhe gemäß § 554 Abs. 1 Nr. 1 BGB (a.F.) zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt gewesen. Die Beschwerdeführerin habe diese Rückstände entgegen ihrer Auffassung auch im Sinne von § 285 BGB zumindest wegen Fahrlässigkeit zu vertreten. Grundsätzlich trage der Mieter, der die Miete unberechtigt mindere, das Risiko der fristlosen Kündigung. Zwar werde eine maßvolle Verkennung der Minderungsquote als nicht fahrlässig angesehen; bei einer höchstens begründeten Minderung von 15 % der Nettokaltmiete im vorgenannten Zeitraum fehle es hier bei einer Minderung um 100 % aber an einer maßvollen Einschätzung. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 554 Abs. 1 Satz 3 BGB (a.F.) durch Aufrechnung mit Gegenforderungen der Beschwerdeführerin unwirksam geworden; die von ihr mit Schriftsatz vom 21.9.2000 angedeutete Aufrechnungslage greife nicht, da es an einer unverzüglichen konkreten Aufrechnungserklärung fehle. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB (a.F.) geheilt worden, da bis zum 22.9.2000 nicht sämtliche fälligen Mietzins- und Nutzungsentschädigungsansprüche befriedigt worden seien.
Nachdem die Beschwerdeführerin und die Beteiligte zu 2 jeweils Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt hatten, wies das Landgericht die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den die Räumung betreffenden Ausspruch in diesem Urteil durch Teilurteil vom 21.3.2002 zurück, erklärte das Teilurteil für vorläufig vollstreckbar und gewährte der Beschwerdeführerin eine Räumungsfrist bis zum 31.7.2002. Zur Begründung führt es u.a. aus: Die Beteiligte zu 2 habe einen Anspruch auf Räumung der Wohnung gegen die Beschwerdeführerin, der sich sowohl aus § 556 Abs. 1 BGB a.F. als auch aus § 985 BGB ergebe. Das Mietverhältnis sei durch die mit Schriftsatz vom 26.7.2000 ausgesprochene fristlose Kündigung beendet. Die Beschwerdeführerin habe sich zum Zeitpunkt der Abgabe und des Zugangs der Kündigungserklärung mit einem die fristlose Kündigung rechtfertigenden Mietzins im Rückstand befunden.
Die Beschwerdeführerin sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum teilweise – allerdings in einem geringeren Maße als von ihr geltend gemacht – berechtigt gewesen, den Mietzins gemäß § 537 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. zu mindern. Auf Grund der kostenlosen Versorgung mit Ersatzwohnraum unter Berücksichtigung der mit dem Umzug in ein Hotel verbundenen Unannehmlichkeiten sowie der angezeigten baulichen Mängel im Ersatzquartier dürfte eine Minderung von höchstens 50 % der Nettokaltmiete berechtigt gewesen sein; ein Minderungsrecht um 100 % werde auch nicht durch die von der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin angeführten Gerichtsentscheidungen belegt.
Zwar hätten die ausgebliebenen Zahlungen in den Monaten April und Mai 1999 nicht dazu geführt, dass der rückständige Mietzins gemäß § 554 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB a.F. den Betrag der Gesamtmiete für einen Monat überstiegen hätte. Jedoch habe sich der rückständige Mietzins im Zeitraum zwischen 4.3.1999 und 26.7.2000 auf einen Gesamtbetrag von 3445,29 DM addiert, wobei der geschuldete Modernisierungszuschlag entsprechend § 9 Abs. 2 MHG für die Frage nach dem Entstehen eines kündigungsfähigen Rückstandes nach § 554 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. nicht berücksichtigt werden dürfe. Indes verbleibe es auch nach Abzug des Betrags von 975,20. DM (8 x 121,90 DM) bei einem rückständigen Mietzins in Höhe von 2470,09 DM, der den kündigungsfähigen Rückstand von 1432,10 DM (zwei Monatsmieten in Höhe von 716,05 DM) deutlich übersteige.
Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin unverschuldet über den Umfang ihrer Berechtigung zur Minderung des geschuldeten Mietzinses während der Bauphase geirrt habe. Gegen einen unverschuldeten Irrtum spreche der Umstand, dass ihr bekannt gewesen sei, dass nach Auffassung der Beteiligten zu 2 für die Dauer von Sanierungsmaßnahmen in der streitgegenständlichen Wohnung eine Minderungsquote von 50 % der Nettokaltmiete und für die Dauer von Sanierungsmaßnahmen „am und im Haus“ eine Minderungsquote von 10 % der Nettokaltmiete gerechtfertigt sein könnte. Im Übrigen sei das Übersteigen des kündigungsfähigen Rückstandes vor allem darauf zurückzuführen, dass die Zahlungen der Beschwerdeführerin in den Monaten April bis Juni 2000 zunächst völlig ausgeblieben seien. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin staatliche Hilfe zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts bezogen habe, genüge für sich allein nicht, um eine unverschuldete Leistungsunfähigkeit zu begründen. – Die Revision sei nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben seien.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung „ihrer Grundrechte“, insbesondere des Rechts auf rechtliches Gehör. Es liege eine Verletzung der richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht vor. Nachdem das Amtsgericht das Räumungsurteil im Wesentlichen damit begründet habe, dass die Mietminderung um 100 % in den Monaten April und Mai 1999 nicht berechtigt gewesen sei, sei es um so überraschender, dass das Landgericht das Übersteigen des kündigungsfähigen Rückstandes im Wesentlichen mit dem zunächst völligen Ausbleiben von Zahlungen für die Monate April bis Juni 2000 begründe. Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Berufungsverhandlung den Einwand erhoben, dass das Sozialamt in jenen Monaten die Miete nicht an den Vermieter überwiesen habe; zu weiteren tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen sei sie nicht mehr gekommen, da das Gericht ihre Einwendungen mit der Bemerkung abgebrochen habe, man könne das dem Vermieter nicht anlasten. Die Ausführungen im Urteil des Landgerichts zur Verschuldensfrage seien willkürlich und widersprächen dem Rechtsentscheid des Kammergerichts vom 11.12.1997 – 8 RE-Miet 1354/96 -, dem zu Folge ein Mieter seine Verpflichtung zur pünktlichen Mietzahlung nicht im Sinne von § 554 a BGB verletze, wenn Mietzahlungen allein auf Grund eines Verschuldens des Sozialamtes nicht fristgemäß bei dem Vermieter eingingen. Das Landgericht sei hier von der verbreiteten Rechtsauffassung und dem Rechtsentscheid des Kammergerichts abgewichen und habe darüber hinaus anderslautende Argumente der Beschwerdeführerin nicht einmal angehört. Die Beschwerdeführerin habe bereits beim Amtsgericht Beweise in Form des Schriftverkehrs mit dem Sozialamt und der von ihr beauftragten Rechtsanwältin eingereicht. Sie habe Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen, in der auch die Miete unter Anrechnung des Wohngeldes eingeschlossen gewesen sei. Von April 1998 bis Februar 2000 sei ihr die gesamte Sozialhilfe ausgezahlt worden, von der sie die Miete stets pünktlich überwiesen habe. Ab März 2000 habe sie nur noch Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Miete erhalten. Sie habe ab März 2000 keine Möglichkeit mehr gehabt zu überprüfen, in welcher Höhe Mietzahlungen von Seiten des Sozialamtes an den Vermieter erfolgt seien; das Sozialamt sei diesbezüglich wiederholt um Auskunft gebeten worden. Es sei nicht das Verschulden der Beschwerdeführerin gewesen, dass die Mieten nicht rechtzeitig bei der Vermieterin eingegangen seien, sondern die Notlage der Beschwerdeführerin sei durch die schleppende Arbeitsweise von Arbeits- und Sozialamt verursacht worden. Möglicherweise liege auch eine Mitverantwortlichkeit des Vermieters vor, der weder auf die Widerspruchsschreiben der Beschwerdeführerin reagiert noch ihr durch Mahnschreiben von Zahlungsrückständen Kenntnis gegeben, sondern die fristlose Kündigung ausgesprochen habe.
Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liege auch in der Behandlung der Mietminderungen, der Betriebskosten und der Mieterhöhung nach Modernisierung durch das Landgericht.
Die Beteiligten zu 1 und 2 haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II. Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB) rügt.
Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig.
Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 49 Abs. 2 VerfGHG). Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision war gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2 ist eine Erschöpfung des Rechtswegs hinsichtlich der Gehörsrüge auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beschwerdeführerin keine Gegenvorstellung erhoben hat. Der Verfassungsgerichtshof hat die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, mit der die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird, in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht von der vorherigen Erhebung einer dem Rechtsweg im Sinne von § 49 Abs. 1 VerfGHG nicht zuzuordnenden Gegenvorstellung abhängig gemacht (Beschluss vom 31.7.1998 – VerfGH 39/97 – LVerfGE 9, 29). Hiervon abzurücken besteht auch nach der Reform der Zivilprozessordnung bisher kein Anlass, da ein Abhilfeverfahren bei einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör lediglich für nicht berufungsfähige Urteile vor dem Gericht des ersten Rechtszugs gesetzlich geregelt wurde (vgl. § 321 a ZPO n.F.).
Auch aus dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität ergibt sich jedenfalls insoweit keine Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, als die Beschwerdeführerin sich auf einen Gehörsverstoß durch das die Instanz abschließende Urteil beruft; die hinsichtlich der ausgebliebenen Zahlungen des Sozialamts für maßgeblich gehaltenen Umstände, auf deren Nichtberücksichtigung die Rüge des Gehörsverstoßes gestützt wird, hatte sie – wie unten näher dargelegt – im fachgerichtlichen Verfahren hinreichend vorgetragen.
Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt hinsichtlich der Rüge, das Landgericht habe durch die Behandlung der Frage der ausgebliebenen Zahlungen des Sozialamtes das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt, auch noch den gesetzlichen Anforderungen. Gemäß § 50 VerfGHG sind in der Begründung der Verfassungsbeschwerde das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs setzt das Begründungserfordernis des § 50 VerfGHG für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde voraus, dass der Beschwerdeführer den Sachverhalt darstellt und eine ursächliche Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten der öffentlichen Gewalt und der geltend gemachten Rechtsverletzung nachvollziehbar darlegt. Dazu muss der Lebenssachverhalt, aus dem die vermeintliche Verletzung eines subjektiven Rechts hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich wiedergegeben werden. Der für die vorstehend genannte Gehörsrüge für maßgeblich gehaltene Sachverhalt einschließlich der Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten der öffentlichen Gewalt und der geltend gemachten Rechtsverletzung lässt sich dem Vortrag der Beschwerdeführerin mit noch hinreichender Deutlichkeit entnehmen.
Die Verfassungsbeschwerde ist insofern auch begründet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der in Art. 15 Abs. 1 VvB in Übereinstimmung mit Art. 103 GG gewährleistet wird, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluss vom 16.11.1995 – VerfGH 48/94 – LVerfGE 3, 113m.w.N., st. Rspr.). Er gewährt zwar keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Das Gericht muss sich in den Entscheidungsgründen auch nicht mit jedem Einzelvorbringen auseinandersetzen; vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegen genommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat. Eine Verletzung dieses Prozessgrundrechts ist jedoch dann feststellbar, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sind; ein solcher Umstand ist gegeben, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt (vgl. Beschlüsse vom 16.11.1995, a.a.O., S. 116 f., vom 22.5.1997 – VerfGH 34/97 – LVerfGE 6, 80und vom 24.8.2000 – VerfGH 73/99 – NZM 2001, 87, 88 m.w.N.).
Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Das Landgericht, dem zu Folge das Übersteigen eines kündigungsfähigen Rückstandes vor allem auf das zunächst vollständige Ausbleiben der Zahlungen in den Monaten April bis Juni 2000 zurückzuführen ist, stellt entscheidungstragend darauf ab, dass der Umstand, dass die Beschwerdeführerin staatliche Hilfen zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts bezogen habe, „für sich allein“ nicht genüge, um eine unverschuldete Leistungsunfähigkeit zu begründen. Diese apodiktische Begründung lässt nicht erkennen, dass das Gericht die von der Beschwerdeführerin detailliert dargelegten besonderen Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung erwogen hat. Das Landgericht ist auch ohne entsprechende ausdrückliche Darlegungen erkennbar von der in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur im Zusammenhang mit § 554 Abs. 1 BGB a.F. vorherrschenden Rechtsauffassung ausgegangen, dass ein Mieter sich das Verschulden des Sozialamts wie eigenes Verschulden anrechnen lassen müsse, weil das Sozialamt insofern sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) sei (vgl. nur LG Karlsruhe, ZMR 1989, 421; LG Mönchengladbach, ZMR 1993, 571; implizit auch vorgenannten Rechtsentscheid des Kammergerichts vom 11.12.1997 – 8 RE-Miet 1354/96 – NJW 1998, 2455). Es hat – obwohl dies nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nahe lag und die entscheidungstragende Argumentation betraf – aber nicht erwogen, ob besondere Umstände vorliegen, denen zu Folge die Durchsetzung des auf den Mietrückstand gestützten Räumungsanspruchs gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt (vgl. hierzu LG Karlsruhe und LG Mönchengladbach, jeweils a.a.O.). Auf den diesbezüglichen substanziierten Sachvortrag der Beschwerdeführerin ist das Gericht weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht eingegangen. Die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hatte schon vor dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 7.12.2000 geltend gemacht, erst im Monat Juli 2000 vom Sozialamt erfahren zu haben, dass dieses bereits seit April 2000 keine Miete mehr an die Beteiligte zu 2 zahle und die Miete von ihr selbst zu zahlen sei. Sowohl das Sozialamt als auch die Beteiligte zu 2 seien von der Beschwerdeführerin jeden Monat über die Höhe der nach ihrer Auffassung zu zahlenden Miete informiert und gleichzeitig aufgefordert worden, den Sachverhalt zu klären; beide hätten hierauf nicht reagiert. Aus den als Anlagen 12 und 13 zur Klageerwiderung (Schriftsatz vom 21.9.2000) in Kopie vorgelegten entsprechenden Schreiben der Beschwerdeführerin für die Monate April bis Juni 2000 an die Beteiligte zu 2 lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin von einer Fortsetzung der Mietzahlungen durch das Sozialamt für diesen Zeitraum ausgegangen ist (,,… sehe ich weiterhin die Mietüberweisungen durch das Bezirksamt … unter Vorbehalt an“). Ferner hat die Beschwerdeführerin ein Schreiben vom 29.7.2000 vorgelegt, in welchem sie der Beteiligten zu 2 u.a. mitteilt, erst durch ein am 19.7.2000 eingegangenes Schreiben des Sozialamts den wahren Sachverhalt erfahren zu haben. Dieses Vorbringen hat das Landgericht erkennbar bei seiner Entscheidung nicht erwogen und gewürdigt. Damit ist das Gericht auf die im Hinblick auf die vorgetragenen besonderen Umstände des Einzelfalls sich aufdrängenden entscheidungserheblichen Fragen nicht eingegangen, ob und ggf. welche Anforderungen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hinsichtlich der Rechtswirksamkeit fristloser Kündigungen gemäß § 554 Abs. 1 BGB a.F. im Zusammenhang mit ausbleibenden Zahlungen eines Sozialamtes herzuleiten sind und ob sich auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwerdeführerin hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die mit der Begründung, nach Ausspruch der (ersten) fristlosen Kündigung seien von der Beschwerdeführerin keine Zahlungen geleistet worden, erklärte (erneute) fristlose Kündigung durch die Beteiligte zu 2 treuwidrig ist. Dass das Gericht auf der Grundlage seiner Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Bestimmungen eine die Würdigung der Umstände des Einfalls von vornherein ausschließende Rechtsauffassung vertritt, lässt sich den Entscheidungsgründen des Urteils nicht entnehmen, da dort lediglich darauf abgestellt wird, dass der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt „für sich allein“ nicht genüge, um eine unverschuldete Leistungsunfähigkeit zu begründen.
Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer Berücksichtigung des Vortrags der Beschwerdeführerin zu einer für diese günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Nach § 54 Abs. 3 VerfGHG ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 Halbsatz 2 BVerfGG an das Landgericht zurückzuverweisen. Ob die Verfassungsbeschwerde auch im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin erhobenen weiteren Rügen zulässig und begründet ist, bedarf im Hinblick darauf keiner Entscheidung. …
15.03.2013