Leitsätze:
Eine fristlose Kündigung wegen eines wichtigen Grundes erfordert dessen spezifizierte Angabe im Kündigungsschreiben. Bei einer Kündigung wegen Lärmbelästigungen ist es daher erforderlich, dass diese in quantitativer und zeitlicher Hinsicht konkretisiert werden.
LG Berlin, Urteil vom 10.2.03 – 67 S 240/02 –
Mitgeteilt von RA Hans-Joachim Gellwitzki
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
Für das Berufungsverfahren ist gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO die Zivilprozessordnung in der seit 1.1.2002 geltenden Fassung anzuwenden, da die mündliche Verhandlung, auf der die angefochtene Entscheidung beruht, nach dem 1.1.2002 geschlossen worden ist.
I. Die Berufung ist gemäß § 511 ZPO n.F. statthaft und die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F. erforderliche Mindestbeschwer ist erreicht. Die Form- und Fristvorschriften der §§ 517, 519 und 520 ZPO n.F. sind erfüllt. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig.
II. Die Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin hat auf Grund ihrer fristlosen Kündigung vom 28.11.2001 gemäß § 546 Abs. 1 BGB n.F. in Verbindung mit dem Mietvertrag vom 15.6.1992 keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Räumung und Rückgabe der streitgegenständlichen Mieträume in der T.-Straße, in Berlin.
Mit Vertrag vom 15.6.1992 mieteten die Beklagten die streitgegenständliche Wohnung. Das Mietverhältnis wurde jedoch nicht durch fristlose Kündigung der Klägerin vom 28.11. 2001 wirksam beendet.
Die Unwirksamkeit der Kündigung ergibt sich aus den am 1.9.2001 in das BGB inkorporierten Vorschriften des Mietrechtsreformgesetzes vom 19.6.2001 (BGBl. I S. 1149). Nach den Übergangsvorschriften in Artikel 229 § 3 EGBGB ergibt sich im vorliegenden Fall, in dem die fristlose Kündigung am 28.11.2001 erfolgt ist, keine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ab Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes das neue Recht gilt.
Jede Vertragspartei kann nach § 543 Abs. 1 BGB n.F. das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Nach § 569 Abs. 2 BGB n.F. liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB auch vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
In diesem gesetzlichen Tatbestand kommt zum Ausdruck, dass das Zusammenleben einer Mehrzahl von Menschen, die im Einzelfall von unterschiedlicher Herkunft und möglicherweise sogar Kultur sein können, Probleme mit sich bringen kann, wenn nicht alle Beteiligten ein Mindestmaß an Rücksicht gegenüber den anderen aufbringen (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 543 Rdnr. 16). Betroffen von einer Störung des Hausfriedens sind nicht nur die Vertragspartner, sondern auch sämtliche Mitbewohner des Hauses. Zwar kann nur der Vertragspartner kündigen; jedoch kann er dies auch aus Gründen, die unmittelbar die gestörten Hausbewohner betreffen, weil er diesen gegenüber zur Aufrechterhaltung des Hausfriedens verpflichtet ist (AG Brühl, NJW-RR 1996, 1100; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 543 Rdnr. 17). Das Zusammenleben in einem Haus unterliegt dem Spannungsfeld von der Zulässigkeit sozialüblicher Tätigkeiten und dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 543 Rdnr. 19).
Unter Berücksichtigung dieser der Vorschrift des § 569 Abs. 2 BGB n.F. zu Grunde liegenden Motive ergeben sich aus dem klägerischen Vortrag im vorliegenden Fall Anhaltspunkte für eine Störung des Hausfriedens und für Verstöße seitens der Beklagten gegen ihre Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme, wie sie durch die Hausordnung inhaltlich konkretisiert wird. Die Störung des häuslichen Zusammenlebens ergibt sich aus den Schreiben der Klägerin vom 28.10.1997 und 21.9.01, dem Schreiben des Mieters F. vom 13.9.01, den Schreiben der Mieter T. vom 24.6.01, den Schreiben des Mieters G. vom 20.11.01, 8.11.01, 15.1.02 und 24.1.02. Der Hinweis auf ein hellhöriges Haus entschuldigt nicht grundsätzlich, vielmehr muss das Wohnverhalten entsprechend angepasst werden (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 543 Rdnr. 21).
Die fristlose Kündigung der Klägerin vom 28.11.2001 genügt jedoch nicht den vom Gesetz vorgesehenen formalen Voraussetzungen. Besteht der wichtige Grund für die Kündigung in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, dann ist eine Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig, § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB n.F. Nach § 569 Abs. 4 BGB n.F. ist der zur Kündigung führende wichtige Grund in dem Kündigungsschreiben anzugeben.
Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass nur solche Gründe überhaupt für eine fristlose Kündigung herangezogen werden können, die sich nach der letzten Abmahnung ereignet haben. Letztlich liegt der kündigungsrelevante Umstand nicht in der Vertragsverletzung, sondern in deren Aufrechterhaltung trotz entsprechenden Beseitigungsverlangens des Vertragspartners (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 543 Rdnr. 137). Maßgeblich sind im vorliegenden Fall also Vorkommnisse nach dem 21.9.2001, an dem die Klägerin die Abmahnung verfasst hat, auf die sie die fristlose Kündigung stützt.
Die Abmahnung vom 28.10.1997 spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil sie sehr lange zurückliegt und es drei Jahre danach keine Störungen gegeben hat. Solche werden jedenfalls nicht vorgetragen. Da die Kündigung darauf gestützt wird, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist, muss der Ausspruch der Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit der Vertragsstörung stehen (LG Berlin, GE 1997, 1033; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 543 Rdnr. 176). Dieser zeitliche Zusammenhang ist zumindest hinsichtlich der Abmahnung vom 28.10.1997 nicht mehr gegeben.
Die Klägerin hat die Beklagten mit Schreiben vom 21.9.2001 unter anderem wegen des Zuschlagens beziehungsweise Zuwerfens des Garagentores abgemahnt. Entsprechende Vorkommnisse werden in den klägerischen Schriftsätzen für mehrere Tage in der Zeit vom 2. Oktober bis 4. November geschildert. Der entsprechende Vorwurf findet sich ohne konkrete Bezugnahme auf einzelne Tage in dem Kündigungsschreiben vom 28.11.2001.
Weiterhin wirft die Klägerin den Beklagten vor, an mehreren Tagen das Licht im Keller nicht ausgeschaltet zu haben. Eine entsprechende Abmahnung ist jedoch in dem Schreiben vom 21.9.2001 nicht enthalten. Der entsprechende Vorwurf findet sich auch in dem Kündigungsschreiben vom 28.11.2001. Weiterhin schildert die Klägerin in ihren Schriftsätzen für die Zeit vom 20.11. bis 28.11. „lauten Streit, Springen und Hopsen, Rollschuhlaufen, Springen und Murmeln, sehr lauten Streit, Türen schmeißen, Schreien, Murmeln, Rennen, Möbel hin- und herschieben und Schreien“. In dem Abmahnungsschreiben vom 21.9.2001 wird nur das „Schlagen mit Haus-, Wohnungs- und Zimmertüren“ beanstandet.
Bei der Konkretisierung des Umfangs des neu in das Gesetz eingefügten generellen Begründungszwanges fristloser Kündigungen zieht die Literatur die Rechtsprechung zum Begründungszwang nach altem Recht analog heran (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 569 Rdnr. 54). Danach müssen die Kündigungsgründe so ausführlich angegeben werden, dass der damit geltend gemachte Sachverhalt ausreichend von vergleichbaren anderen Sachverhalten abgegrenzt werden könne (RE BayObLG, NJW 1981, 2197; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 569 Rdnr. 54). Das erfordere auf der einen Seite eine im Tatsächlichen konkretisierte Darstellung, verpflichte aber andererseits noch nicht zu einer derart vollständigen Sachverhaltsangabe, wie sie im Prozess gefordert wird (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 569 Rdnr. 54). Für den notwendigen Umfang der vorprozessual anzugebenden Kündigungsgründe sei auf den Zweck dieser Vorschrift abzustellen, nämlich beim Kündigungsempfänger Klarheit über die Rechtslage und über seine Verteidigungsmöglichkeiten zu schaffen (RE BayObLG, WM 1985, 50; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl. 2002, § 569 Rdnr. 54). Gerade unter Berücksichtigung dieses Rechtsentscheides des BayObLG ist im vorliegenden Fall die notwendige Begründungstiefe nicht erreicht.
Dieser Ansicht steht auch die Begründung der Änderungen in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Mietrechtsreformgesetz vom 27.3.2001 (BT-Drs. 14/5663) nicht entgegen: „In einem neuen Absatz 4 wird ferner, …, festgelegt, dass der zur Kündigung führende wichtige Grund in dem Kündigungsschreiben anzugeben ist. Schon die ordentliche Kündigung muss der Vermieter grundsätzlich mit Gründen versehen. Deshalb hält der Ausschuss erst recht bei der fristlosen Kündigung, die für den Mieter mit wesentlich einschneidenderen Folgen verbunden ist, eine Begründung für erforderlich. An diese Begründung dürfen jedoch keine zu hohen und übertriebenen formalistischen Anforderungen gestellt werden. Es soll dadurch lediglich sichergestellt sein, dass der Mieter erkennen kann, welcher Umstand zur fristlosen Kündigung geführt hat. Dies soll ihm der Vermieter mitteilen, wie dies auch schon bislang praktisch die Regel sein wird. …“
Diese Ausführungen sind für die Anwendung im konkreten Einzelfall wenig ergiebig. Die Anforderungen, die an eine Begründung des Kündigungsschreibens gestellt werden, lassen sich nämlich nicht allgemein bestimmen, sondern sind unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu ermitteln.
Umstand im Sinne dieser Begründung ist das einzelne Ereignis, aus dem der Vermieter einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung ableitet. Handelt es sich um mehrere Vorkommnisse, die für sich genommen noch keine schwerwiegende Verletzung der Hausordnung darstellen, die aber erst wegen ihrer Häufigkeit diese Annahme rechtfertigen, dann müssen sie im Einzelnen in dem Kündigungsschreiben angegeben werden, damit der Mieter erkennen kann, was ihm im Einzelnen vorgeworfen wird und ob er sich gegen diesen Vorwurf mit Erfolg verteidigen kann. Dazu reicht es nicht aus, dass ihm vorgeworfen wird, er schlage die „Haus-, Wohnungs- und Zimmertüren derartig laut zu, dass sich die Nachbarn nachhaltig beeinträchtigt fühlten“. Hier wird den Beklagten nicht mitgeteilt, an welchen Tagen dies der Fall gewesen sein sollte. Dadurch wird ihnen die Möglichkeit genommen, sich mit dem erhobenen Vorwurf sachgerecht auseinanderzusetzen. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil Geräuschbelästigungen, die mit dem Schließen von Türen verbunden sein können, sehr von der jeweiligen Vorgehensweise beim Schließen der Türen abhängig sein können. Dasselbe gilt für den Vorwurf, „die Keller und Garagentore derart laut zuzuschlagen, dass der Lärm für die Mitmieter nicht mehr zu ertragen sei.“ Ebenso wenig konkret ist für die Beklagten der Vorwurf, sie weigerten sich nachdrücklich, das Hoftor zu schließen und das Licht in den Kellergängen auszuschalten. Gerade weil sich der Vorwurf eines schwerwiegenden Verstoßes vorliegend aus einer Fülle von einzelnen Vorkommnissen ergibt, muss der Vermieter dem Mieter diese in dem Kündigungsschreiben konkreter als geschehen mitteilen.
Die erneute fristlose Kündigung vom 11.11. 2002 wird von der Klägerin nicht zum Anlass genommen, den Räumungsanspruch auf diese Kündigung zu stützen. …
Anmerkung der Redaktion:
Die vorinstanzliche Entscheidung des AG Wedding ist veröffentlicht in MM 02, 430. Siehe auch LG Berlin – ZK 65 – in GE 03, 458.
11.11.2015