Leitsätze:
1. Der Mieter kann durch einstweilige Verfügung beantragen, dass der Vermieter die Einziehung der Forderung aus dem bei der Sparkasse verpfändeten Mietkautionskonto unterlässt.
2. Die Zusammenfassung mehrerer Gebäude zu einer Abrechnungseinheit entspricht dann nicht mehr der Billigkeit (§ 315 Abs. 1 BGB), wenn Sinn und Zweck der Abrechnung selbst, nämlich auch dem juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter zu ermöglichen, die Abrechnung gedanklich und rechnerisch nachzuvollziehen, vereitelt werden.
3. Eine formell unwirksame Abrechnung kann nicht nachgebessert werden. Eine nachträgliche Korrektur kommt allenfalls bei einer formell wirksamen Abrechnung, welche den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abrechnung entspricht, in Betracht. Im Falle einer formell unwirksamen Abrechnung kann nur eine neue formell wirksame Abrechnung erteilt werden.
AG Lichtenberg, Urteil vom 1.4.04 – 4 C 1002/04 –
Mitgeteilt von RA Jörg Grützmacher
Urteilstext
Wesentliche Gründe gemäß § 313 a Absatz 1 ZPO:
… Die Verfügungskläger haben einen Verfügungsanspruch auf Unterlassung der Geltendmachung der Auszahlung des verpfändeten Kautionsguthaben von der Berliner Sparkasse gegenüber der Verfügungsbeklagten.
Der Anspruch folgt aus der zwischen den Parteien bezüglich der Verpfändung des Kautionsguthabens getroffenen Sicherungsabrede. Dieser Sicherungsabrede ist es immanent, dass die Verfügungsbeklagte als Sicherungsnehmerin von der Sicherheit nur Gebrauch machen darf, wenn ihr fällige Ansprüche gegen die Verfügungskläger als Sicherungsgeber zustehen. Stehen dem Sicherungsnehmer keinerlei Ansprüche zu, dann hat er die Inanspruchnahme der Sicherheit zu unterlassen. Die Verfügungskläger haben glaubhaft gemacht, dass der Verfügungsbeklagten Ansprüche aus dem beendeten Mietverhältnis gemäß Mietvertrag vom 8.4.2000 nicht zustehen.
Die von der Verfügungsbeklagten zur Inanspruchnahme des Kautionsguthabens geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht.
Die Verfügungsbeklagte kann von den Verfügungsklägern nicht Zahlung von 620,29 Euro verlangen, denn sie hat keinen Anspruch aus den Betriebskostenabrechnungen für 2001 vom 5.9.2002 sowie für 2002 vom 19.9.2003, weil diese Abrechnungen formell unwirksam und die Abrechnungssalden daher nicht fällig sind.
Die Abrechnungen sind nicht prüffähig. Sie erfüllen nicht die Anforderungen der Rechtsprechung (BGH NJW 1982, 573; KG GE 98, 796) an eine ordnungsgemäße Abrechnung, weil der Umlagemaßstab in diesen Abrechnungen weder ausreichend erläutert noch nachvollziehbar ist. Die Verfügungsbeklagte verwendet für ihre Abrechnung eine Vielzahl von Umlagemaßstäben, was dazu führt, dass die Abrechnungen insgesamt nicht mehr klar, übersichtlich und ohne Weiteres verständlich sind. Den Abrechnungen liegt nicht eine Abrechnungseinheit, sondern eine Vielzahl von Abrechnungseinheiten zu Grunde. Auf Seite 2 der Abrechnungen werden als „Berechnungsdaten zur Umlage“ unkommentiert für einzelne Betriebskostengruppen verschiedene Gesamtflächenangaben aufgeführt. Unter der Überschrift „Beteiligte Häuser“ werden schließlich vier bzw. fünf verschiedene Abrechnungseinheiten genannt. Zwar mag sich nach intensivem Studium des Erläuterungsteils zu den Abrechnungen erschließen lassen, welche Abrechnungseinheit sowie welcher Abrechnungsmaßstab, d.h. welche Gesamtfläche, in der jeweiligen Kostengruppe zur Anwendung gekommen ist, dies überfordert jedoch das durchschnittliche Verständnisvermögen eines juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieters. Erst recht muss dies für die in den Kostengruppen Müllentsorgung, Recycling und Biomüllentsorgung vorgenommene Gewichtung gelten.
Die Abrechnungen sind aber auch deshalb unwirksam, weil die Bestimmung der Abrechnungseinheiten nicht mehr der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 1 BGB). Die Verfügungsbeklagte konnte in der mündlichen Verhandlung auch nicht überzeugend darlegen, dass ihr die Bildung kleinerer Abrechnungseinheiten nicht möglich wäre. Die Verfügungsbeklagte kann sich hierbei nicht darauf berufen, es handele sich bei dem Abrechnungsobjekt um „ein Gebäude im bautechnischen Sinn“. Zwar bemisst sich der Umfang der Rechnungslegungspflicht im Einzelfall auch nach Zumutbarkeitserwägungen, d.h. Arbeits- und Zeitaufwand des Vermieters einerseits und die schutzwürdigen Interessen des Mieters andererseits müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen.
Fest steht auch, dass die Anforderungen an die formelle Wirksamkeit einer Betriebskostenabrechnung nicht überspannt werden dürfen, um die Geltendmachung materiellrechtlicher Ansprüche nicht übermäßig zu erschweren (BVerfG GE 1994, 213). Die Größe des Mietobjekts rechtfertigt es jedoch andererseits nicht, den Vermieter von Abrechnungspflichten freizustellen (BGH NJW 1982, 573; OLG Schleswig GE 1991, 819). Die Verfügungsbeklagte hat es in der Hand, durch eine Wahl kleinerer Abrechnungseinheiten für übersichtlichere Betriebskostenabrechnungen zu sorgen. Richtig ist zwar, dass der Vermieter grundsätzlich berechtigt ist, im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 Absatz 1 BGB Abrechnungseinheiten für den Mieter verbindlich festzulegen, wobei die Rechtsprechung dem Vermieter in diesem Zusammenhang ein gewisses Ermessen zubilligt. Danach genügt es für die Zusammenfassung mehrerer Gebäude zu einer Abrechnungseinheit, wenn diese gemeinsam verwaltet werden, sich in unmittelbarem Zusammenhang befinden (wenn diese beispielsweise in einem Wohngebiet liegen), wenn diese Gebäude durch einen gleichen Wohnwert (zum Beispiel durch gleiche Ausstattung und Bauweise) gekennzeichnet sind und wenn eine gleichartige Nutzung stattfindet (OLG Koblenz RE WM 1990, 268). Die Bestimmung des Vermieters entspricht jedoch nicht mehr der Billigkeit (§ 315 Abs. 1 BGB), wenn Sinn und Zweck der Abrechnung selbst, nämlich auch dem juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter zu ermöglichen, die Abrechnung gedanklich und rechnerisch nachzuvollziehen, vereitelt werden.
Soweit die Verfügungsbeklagte in dem Schriftsatz vom 24.3.2004 die in den Abrechnungen verwendeten Umlageschlüssel weiter erläutert, ändert dies nichts daran, dass der Verfügungsbeklagten keine Ansprüche aus den Betriebskostenabrechnungen für 2001 vom 5.9.2002 sowie für 2002 vom 19.9.2003 mehr zustehen. Da diese Abrechnungen unwirksam sind, kann die Verfügungsbeklagte aus diesen Abrechnungen keine Ansprüche herleiten. Eine formell unwirksame Abrechnung kann auch nicht nachgebessert werden. Eine nachträgliche Korrektur kommt allenfalls bei einer formell wirksamen Abrechnung, welche den Anforderungen der Rechtsprechung (BGH NJW 1982, 573; KG GE 98, 796) an eine ordnungsgemäße Abrechnung entspricht, in Betracht. Im Falle einer formell unwirksamen Abrechnung kann nur eine neue formell wirksame Abrechnung erteilt werden. Selbst wenn man in dem Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 24.3.2004 eine neue Abrechnung der Betriebskosten erkennen würde, wären Nachforderungen aus dieser neuen Abrechnung gemäß § 556 Absatz 3 Satz 3 BGB ausgeschlossen.
Den Verfügungsklägern steht auch ein Verfügungsgrund zur Seite.
Gemäß § 935 ZPO kann eine einstweilige Verfügung erlassen werden, wenn zu befürchten ist, dass durch eine Veränderung des Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die Geltendmachung der Auszahlung des verpfändeten Kautionsguthabens von der Berliner Sparkasse durch die Verfügungsbeklagte vereitelt den Anspruch der Verfügungskläger auf Auszahlung des ihnen als Gläubiger gegenüber der Berliner Sparkasse zustehenden Guthabens nach Freigabe durch die Verfügungsbeklagte. …
09.05.2017