Leitsatz:
Zur Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung bei konkreter Gefahr für Leib oder Leben Dritter, die von dem Wohnungsmieter ausgeht, nachdem der Mietvertrag wegen schwerwiegender Störung des Hausfriedens bereits fristlos gekündigt worden war.
AG Hamburg vom 22.6.2010 – 40A C 273/10 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Grundsätzlich darf eine Wohnung nicht durch einstweilige Verfügung geräumt werden. Die einzige Ausnahme enthält § 940 a ZPO, wonach die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei konkreter Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden darf.
Im vorliegenden Fall sah das Amtsgericht die Voraussetzung für eine einstweilige Räumungsverfügung gegeben, weil Mitmieter und Beauftragte des Vermieters vom Mieter oder von mit ihm wohnenden Familienmitgliedern nachhaltig beleidigt, bedroht oder angegriffen wurden, wobei auch der Familienhund gegen diese Personen aufgehetzt und ein Stuhl gegen Mitarbeiter der Hausverwaltung vom Balkon geschleudert wurde.
Aufgrund der weiteren Einzelheiten war davon auszugehen, dass Wiederholungsgefahr bestand.
Urteilstext
Tatbestand
Die Verfügungsbeklagte zu 1) mietete gemäß Dauernutzungsvertrag vom 02.05.1996 von der Verfügungsklägerin eine im … belegene 2 ½ Zimmer-Wohnung. Sie bewohnt die Wohnung gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Verfügungsbeklagten zu 2) und ihren drei minderjährigen Söhnen, den Verfügungsbeklagten zu 3) bis 5).
Mit Schreiben vom 27.05.2010 wegen dessen genauen Inhaltes auf Anlage ASt 4 verwiesen wird, sprach die Verfügungsklägerin gegenüber der Verfügungsbeklagten zu 1) wegen schwerwiegender Störung des Hausfriedens die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus und forderte sie auf, die Wohnung bis spätestens zum 10.06.2010 geräumt herauszugeben.
Die Verfügungsklägerin trägt u.a. vor, am 10.06.2010 gegen 16.30 Uhr sei ein Holzstuhl von dem Balkon der Wohnung der Verfügungsbeklagten gefallen, als zwei Mitarbeiter des von ihr beauftragten Sicherheitsdienstes am Haus vorbeigegangen seien. Der Holzstuhl habe die Beiden nur knapp verfehlt. Der Verfügungsbeklagte zu 2), der auf dem Balkon der Wohnung gestanden habe, habe daraufhin lautstark gelacht.
Am 14.06.2010 gegen 20.30 Uhr habe der Verfügungsbeklagte zu 2) vom Balkon der streitgegenständlichen Wohnung auf den Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes … den Mittelfinger gezeigt und Obszöne Gesten gemacht. Sodann habe er sich hinter den Sichtschutz des Balkons geduckt und daraufhin mit einer schwarzen Schusswaffe auf die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes … und … gezielt. Bei einer anschließenden Durchsuchung der Wohnung der Verfügungsbeklagten habe die Polizei zwei Schreckschusswaffen, zwei Spielzeugpistolen und ein Reizsprühgerät sichergestellt.
Die Verfügungsklägerin trägt vor, das geschilderte Verhalten stelle eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes dar.
Auf Antrag der Verfügungsklägerin hat das Amtsgericht am 22.06.2010 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der den Verfügungsbeklagten aufgegeben wurde, die Wohnung …, bestehend aus 2 1/2 Zimmern, Küche, Bad mit WC, Flur, Loggia/Balkon, geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Dagegen haben die Verfügungsbeklagten Widerspruch eingelegt. Die Verfügungsklägerin bezieht sich zur Glaubhaftmachung auf die eidesstattlichen Versicherungen von … und … vom 22. und 23.08.2010.
Die Verfügungsklägerin beantragt, die einstweilige Verfügung vom 22.06.2010 aufrechtzuerhalten.
Die Verfügungsbeklagten beantragen, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagten tragen vor, von ihnen sei keine Gefahr für Leib oder Leben ausgegangen.
Am 10.06.2010 sei kein Stuhl vom Balkon ihrer Wohnung gefallen.
Am 14.06.2010 habe der Verfügungsbeklagte zu 2) weder Gesten vom Balkon gemacht, noch Personen des Sicherheitsdienstes bedroht. Der Verfügungsbeklagte zu 2) sei am 14.06.2010 mehrfach von den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes fotografiert worden. Schließlich habe der Verfügungsbeklagte zu 2) von seinem Balkon aus die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes fotografiert. Diese hätten danach die Polizei und die Presse gerufen. Bei der Durchsuchung der Wohnung seien im Wohnzimmerschrank eine alte, defekte und eine intakte Silvesterpistole gefunden worden. Weiter sei Kinderspielzeug und ein Rest Verteidigungsspray beschlagnahmt worden. Ferner hat der Verfügungsbeklagte zu 2) mithin die sichergestellten Gegenstände seit Silvester nicht mehr in der Hand gehabt.
Das Gericht hat im Termin vom 16.08.2010 den von der Verfügungsklägerin sistierten Zeugen … vernommen. Ferner hat das Gericht den Verfügungsbeklagten zu 2) als Partei angehört.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie den zur Akte gereichten Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies führte zu ihrer Bestätigung.
Gemäß § 940 a ZPO darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei konkreter Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Verfügungsbeklagte zu 2) am Nachmittag des 10.06.2010 von dem Balkon der von ihm und seiner Familie bewohnten Wohnung im 3. Geschoss des Hauses einen Holzstuhl geworfen hat, der die Mitarbeiter des von der Verfügungsklägerin beauftragten Sicherheitsdienstes … und … nur um wenige Meter verfehlte. Dies haben … und … in ihren eidesstattlichen Versicherungen vom 23.08.2010 (Anlagen ASt 23, 25) bestätigt. Zudem hat der im Termin vom 16.08.2010 als Zeuge vernommene … ausgesagt, dass er den Verfügungsbeklagten zu 2) am Nachmittag des 10.06.2010 auf dem Balkon seiner Wohnung gesehen habe und plötzlich ein Holzstuhl in 1 bis 2 Meter Entfernung neben ihm auf dem Boden aufgeprallt sei. Der Zeuge … hat bei seiner Vernehmung ausgesagt, dass er zwar nicht gesehen habe, dass der Verfügungsbeklagte zu 2) den Stuhl vom Balkon geworfen habe, aber davon ausgehe, zumal er keine weiteren Personen auf dem Balkon gesehen habe.
Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes … hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 23.08.2010 erklärt, dass er zuvor den Verfügungsbeklagten zu 2) mit einem Stuhl auf dem Balkon gesehen habe und dieser lautstark gelacht habe, nachdem der Stuhl auf dem Boden aufgeprallt war.
Durch das Herabwerfen eines Stuhles hat der Verfügungsbeklagte zu 2) die Gesundheit und sogar das Leben der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes gefährdet. Hätte der Stuhl einen der beiden Personen getroffen, so hätte sich diese Verletzungen zuziehen können. Ein unglücklicher Aufprall des Holzstuhles auf dem Kopf hätte sogar tödliche Folgen haben können.
Das Gericht ist aufgrund der glaubhaften Aussagen des im Termin vom 16.08.2010 vernommenen … auch davon überzeugt, dass der Verfügungsbeklagte zu 2) am Abend des 24.06.2010 gegen 20.30 Uhr mit einem Gegenstand, der das Aussehen einer Pistole hatte, auf die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes … und … von seinem Balkon aus gezielt hat. Dies hat auch … in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 22.08.2010 (Anlage Ast 24) bestätigt.
Wie sich aus der Pressemitteilung der Polizei vom 14.06.2010 (Anlage ASt 10) ergibt, wurden bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung der Verfügungsbeklagten zwei Schreckschusswaffen, zwei Spielzeugpistolen und ein Reizsprühgerät gefunden und sichergestellt.
Der Verfügungsbeklagte zu 2) hat bei seiner Anhörung im Termin vom 16.08.2010 erklärt, er habe am 14.06.2010 lediglich einen Fotoapparat in der Hand gehalten. Da er sich durch die Sicherheitsleute gestört gefühlt habe, habe er so getan, als fotografiere er sie.
Das Gericht hält aber diese Aussage angesichts der eidesstattlichen Versicherungen von … und … für eine reine Schutzbehauptung. Das Verhalten des Verfügungsbeklagten zu 2) vom 14.06.2010 verwirklicht den Tatbestand einer Bedrohung.
Im Zusammenhang mit seinem Verhalten vom 10.06.2010, dem Herabwerfen eines Stuhles in Richtung der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes mussten diese um weitere Übergriffe auf Leib oder Leben fürchten.
Nachdem das Mietverhältnis bereits durch Schreiben vom 27.05.2010 seitens der Klägerin fristlos gekündigt worden war, war nach Auffassung des Gerichtes aufgrund des Verhaltens des Verfügungsbeklagten zu 2) eine Räumung der streitgegenständlichen Wohnung durch einstweilige Verfügung gemäß § 940 a ZPO gerechtfertigt, um weitere Übergriffe abzuwenden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
31.01.2013