Leitsatz:
Zur Frage, wann ein Wohnungsmieter gegen den Vermieter einen Anspruch auf Beseitigung von Farbschmierereien an der Fassade des Hauses hat.
AG Charlottenburg, Urteil vom 22.6.06 – 233 C 47/06 –
Mitgeteilt von RA Hans-Joachim Gellwitzki
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
„… Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beseitigung der Graffiti auf der Außenfassade des Eckhauses T.-Str/B.-Str in Berlin gemäß §§ 535, 536 BGB. Bei den Grafitti handelt es sich im vorliegenden Fall um einen Mangel der Mietsache.
Der vertragsgemäße Zustand umfasst auch die Grundstücks- und Gebäudeteile, die zur gemeinschaftlichen Benutzug durch die Mieter und zum Zugang zur Mietsache bestimmt sind (Palandt-Weidenkaff, BGB, 65. Aufl., § 535 RN 34, 41; KG WuM 1984, 43) und damit auch die Außenfassade sowie den Hauseingang (vgl. AG Hamburg WuM 2006, 244; Schmidt-Futterer-Eisenschmid, Mietrecht, 8.Aufl., § 536 RN 185).
Der für den vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand ist im einzelnen Fall nach den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Ortssitte, dem Zweck und dem Preis der Mieträume sowie dem Zustand bei der Anmietung zu beurteilen (KG WuM 1984, 42, AG Hamburg, WuM 2006, 244).
Unstreitig befand sich die Außenfassade sowie der Hauseingang bei Anmietung in einem optisch einwandfreien Zustand. Bei der Ortssitte ist insbesondere zu berücksichtigen, dass in Berlin gemäß § 9 Abs. 3 BauO Farbschmierereien, die von Verkehrswegen oder allgemein zugänglichen Stätten aus wahrnehmbar sind, verunstaltend sind und entfernt werden müssen. Der Umfang der nunmehr unstreitig vorhandenen Graffiti ist erheblich. Nahezu die gesamte Fläche der Außenwand ist im Bereich des Erdgeschosses großflächig mit Graffiti versehen. Insgesamt macht das Haus dadurch einen verunstalteten und verwahrlosten Eindruck. Der Umfang der Graffiti überschreitet das Maß des Ortsüblichen, wovon sich das Gericht bei der informellen Augenscheinnahme überzeugt hat. Hierauf wurde in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Dieser schlechte Gesamteindruck des Hauses stellt eine Beeinträchtigung des Mietgebrauchs dar, da die Mieter, die sich in ihrer Wohnung und in ihrem Haus wohlfühlen wollen, diesem negativen Anblick jeden Tag ausgesetzt sind. Die Grenze einer hinzunehmenden Beeinträchtigung ist überschritten.
Die Auffassung, es liege kein Mangel vor, wenn der Vermieter die Entstehung nicht verhindern könne (AG Leipzig WuM 2001, 237), wird nicht geteilt. Ein Mangel liegt unabhängig vom Verschulden des Vermieters vor, wenn der tatsächliche Zustand nachteilig vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Äußere Einwirkungen begründen einen Mangel, wenn sie nicht vertraglich vorausgesetzt sind und zwar unabhängig davon, ob sie vom Vermieter als Eigentümer geduldet werden müssen (Palandt-Weidenkaff, BGB, 65. Aufl., §536 RN 16, 20). …“
Anmerkung:
§ 9 Absatz 3 der Berliner Bauordnung lautet:
Farbschmierereien, unzulässige Beschriftungen, Beklebungen, Plakatierungen und Ähnliches an Außenflächen von Anlagen im Sinne des §1, die von Verkehrswegen oder allgemein zugänglichen Stätten aus wahrnehmbar sind, sind verunstaltend und müssen entfernt werden. Hierzu kann die für das Bauwesen zuständige Senatsverwaltung auch durch Allgemeinverfügung anordnen, dass Eigentümerinnen oder Eigentümer und Nutzungsberechtigte Maßnahmen zur Beseitigung der Verunstaltungen nach Satz 1 zu dulden haben. Die Duldungsanordnung muss Art und Umfang der zu duldenden Maßnahmen umschreiben und angeben, von wem und in welcher Zeit die Maßnahmen durchgeführt werden. Auf Antrag kann eine Abweichung von der Pflicht nach Satz 1 gestattet werden, soweit diese für die Verpflichtete oder den Verpflichteten eine besondere Härte darstellt und öffentliche Belange nicht entgegenstehen.
Vgl. VG Berlin (vom 8. Mai 2002 – VG 19 A 191/99 -, GE 02, 936): Die Verunstaltungsfiktion bei Farbschmierereien in § 77 Abs. 2 Satz 1 BauO Bln ist verfassungsmäßig. [ab 2006: § 9 Abs. 3 BauO] Eine Beseitigungsverfügung wegen Farbschmierereien ist auch dann verhältnismäßig, wenn mit erneuten Graffiti gerechnet werden muss.
24.02.2013