Leitsätze:
1. Zur Frage, bis wann der Mieter die Miete mit schuldbefreiender Wirkung noch an den bisherigen Eigentümer und Vermieter zahlen kann, wenn dessen Mietgrundstück unter Zwangsverwaltung fällt.
2. Bis 18 Uhr in den Briefkasten eingeworfene Briefe gehen noch am selben Tag zu.
3. Abweichend von § 130 BGB muss die Beschlagnahme des Grundstücks dem Drittschuldner (hier: Mieter) positiv „bekannt“ sein (§ 22 Abs. 2 Satz 2 ZVG). Der Drittschuldner kann den Anscheinsbeweis, dass ein zugegangenes Schreiben auch tatsächlich zur Kenntnis genommen wird, erschüttern.
4. Für die schuldbefreiende Wirkung der Mietzahlung ist maßgeblich die Leistungshandlung (Überweisung), nicht etwa der Leistungserfolg (Gutschrift auf dem Konto des Empfängers).
5. § 566 c BGB findet auch gegenüber dem Zwangsverwalter Anwendung.
LG Berlin, Urteil vom 7.5.07 – 62 S 61/07 –
Mitgeteilt von RA Norbert Wilke
Urteilstext
Aus den Gründen:
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil, welches der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18. Januar 2007 zugestellt worden ist, wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Die Feststellungen werden wie folgt ergänzt:
Mit der am 14. Februar 2007 eingelegten und zugleich begründeten Berufung verfolgt die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Zwangsverwalterin ihren Anspruch auf Zahlung der Restmiete für Juni 2006 in Höhe von 666,32 Euro weiter. Sie meint, der Kautionsrückzahlungsanspruch der Beklagten einschließlich Verzinsung habe infolge erststelliger Verrechnung mit der ihrer Ansicht nach noch offenen Mietforderung für Juli 2005 in Höhe von 666,32 Euro – neben dem Nebenkostenabrechnungssaldo für 2004 und der Miete Mai 2006 – die Miete Juni 2006 lediglich noch in Höhe von 30,42 Euro bedienen können. Sie hält insbesondere an ihrer Auffassung fest, die Beklagte habe, nachdem sie mit Schreiben vom 24. Juni 2005, das wie bei allen übrigen Mietern noch am selben Tag in ihren Hausbriefkasten eingeworfen worden sei, über die Anordnung der Zwangsverwaltung und der Beschlagnahme informiert worden sei, die Miete für Juli 2005 am 27. Juni 2005 nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Eigentümer der Wohnung zahlen können. Die Beschlagnahme der Mietforderung sei auch der Beklagten gegenüber – ungeachtet ihrer vorübergehenden Abwesenheit – bereits am 24. Juni 2005, als sie Kenntnis von dem Schreiben hätte erlangen können, wirksam geworden. Daher handle es sich bei der Überweisung der Miete auch nicht um eine Vorausverfügung i.S.d. § 1124 Abs. 2 BGB.
§ 566 c BGB hält die Klägerin nicht für anwendbar, da der Zwangsverwalter nicht Erwerber i.S. dieser Vorschrift sei. Da der Beklagten gegen den Eigentümer jedenfalls ein Rückerstattungsanspruch zustehe, sei sie durch die Verpflichtung, an sie als Zwangsverwalterin die Miete für Juli 2005 nochmals zu entrichten, auch nicht unangemessen benachteiligt.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Zahlung weiterer 666,32 Euro zu verurteilen.
Die Beklagte dagegen begehrt die Zurückweisung der Berufung.
Sie vertritt auch weiterhin die Ansicht, die Mietzahlung für den Monat Juli 2005 sei mit schuldbefreiender Wirkung erfolgt. Sie weist zudem darauf hin, dass selbst wenn sie bereits am 24. Juni 2005 von der Beschlagnahme erfahren hätte, sie den entsprechenden Dauerauftrag bei der Bank nicht mehr hätte stoppen können.
Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes im Hinblick auf § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die auch im Hinblick auf § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 513, 517, 519, 520 ZPO.
Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der klagenden Zwangsverwalterin steht aus § 535 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 148 Abs. 1, 21 Abs. 2 ZVG gegen die Beklagte keine weitere Mietforderung zu. Da die beklagte Mieterin die Miete Juli 2005 noch mit schuldbefreiender Wirkung an den Eigentümer ihrer Wohnung zahlen konnte, ging die Verrechnung der Klägerin mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch insoweit ins Leere. Die Kaution samt Verzinsung deckte damit – bis auf den erstinstanzlich bereits zugesprochenen Restbetrag von 90,35 Euro – neben dem Nebenkostenabrechnungssaldo für 2004 auch die Mietzinsansprüche für Mai und Juni 2006.
Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 ZVG ist davon auszugehen, dass die Beschlagnahme, die sich – anders als im Fall der Zwangsversteigerung – gemäß §§ 148 Abs. 1, 21 Abs. 2 ZVG hier auch auf die Mietforderungen erstreckte, der Beklagten gegenüber erst am 28. Juni 2005 wirksam wurde. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass das Benachrichtigungsschreiben vom 24. Juni 2005 der Beklagten wie allen übrigen Mietern noch an diesem Tag i.S.d. §130 BGB zugegangen ist, da sie nach dem Einwurf des Schreibens in ihren Briefkasten ohne weiteres noch am 24. Juni 2005, der auf einen Freitag fiel, hätte Kenntnis nehmen können. Auf Hindernisse aus seinem Bereich kann sich der Empfänger bei der Frage des Zugangs nicht berufen, da er diesen durch geeignete Vorkehrungen begegnen kann und muss. Ist der Empfänger wegen Urlaubs oder sonstiger Ortsabwesenheit nicht in der Lage, vom Inhalt der ihm übermittelten Erklärung Kenntnis zu nehmen, so steht das dem Zugang nicht entgegen. Der Einwurf eines Briefes in den Briefkasten bewirkt den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Bis 18 Uhr eingeworfenen Briefe gehen noch am selben Tag zu (zum Vorstehenden: Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl., § 130 BGB, Rz. 6).
Allerdings fordert § 22 Abs. 2 Satz 2 ZVG abweichend von § 130 BGB, dass die Beschlagnahme dem Drittschuldner positiv „bekannt“ wird. Die Beklagte hat das Benachrichtigungsschreiben jedoch unstreitig erst am 28. Juni 2005 bei ihrer Rückkehr von ihrem Wochenendgrundstück im Briefkasten vorgefunden, so dass die Beschlagnahme ihr gegenüber auch erst dann – mit tatsächlicher Kenntnisnahme – wirksam werden konnte. Der Drittschuldnerschutz des § 22 Abs. 2 Satz 2 ZVG gleicht damit dem Schuldnerschutz i.S.d. § 407 BGB, der ebenfalls auf die positive „Kenntnis“ des Schuldners von der Abtretung abstellt.
Die Kammer sieht darin auch keinen Widerspruch zu der Entscheidung der Zivilkammer 61 in GE 2000, 125. Danach ist lediglich prima facie davon auszugehen, dass ein zugegangenes Schreiben auch tatsächlich zur Kenntnis genommen wird, weil der Beweis der tatsächlichen Kenntnisnahme vom Zwangsverwalter kaum zu führen ist. Dem Schuldner bleibt es jedoch ausdrücklich unbenommen, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern. Dies war vorliegend nicht erforderlich, da die verzögerte Kenntnisnahme erst am 28. Juni 2005 zwischen den Parteien unstreitig ist.
Die Beklagte hatte jedoch bereits vor dem 28. Juni 2005 die Überweisung der Miete für Juli 2005 veranlasst, also noch vor dem Wirksamwerden der Beschlagnahme. Zu dieser Zeit konnte sie noch mit schuldbefreiender Wirkung an den Eigentümer der Wohnung leisten. Maßgeblich ist dabei die Leistungshandlung, nicht etwa der Leistungserfolg (BGH NJW 1989, 905 = BGHZ 105, 358 ff.; NJW-RR 2004, 1145). Auch war die Beklagte nicht verpflichtet, nach Kenntnis von der Beschlagnahme Anstrengungen zu unternehmen, die Ausführung des entsprechenden Überweisungs-Dauerauftrages noch zu unterbinden, wobei dahinstehen kann, ob ihr dies – was das Amtsgericht verneint hat – überhaupt möglich gewesen wäre. Nach Ansicht des BGH ist der Drittschuldner, wenn er in Unkenntnis einer Pfändung die zur Erfüllung notwendige Leistungshandlung vorgenommen hat, nach Kenntniserlangung nicht verpflichtet, den Eintritt des Leistungserfolges durch aktives Handeln zu verhindern (BGHZ 105, 360). Im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 2 ZVG kann nichts anderes gelten.
Doch selbst dann, wenn die Beschlagnahme der Wohnung bereits am 24. Juni 2005 gegenüber der Beklagten wirksam geworden wäre, hätte sie gemäß § 566 c BGB, den § 57 b ZVG ausdrücklich für anwendbar erklärt, auch noch danach mit schuldbefreiender Wirkung die Miete für Juli 2005 an den Eigentümer leisten können. Denn unstreitig hat die Beklagte erst nach dem 15. Juni 2005 von der Beschlagnahme Kenntnis erlangt. Gemäß § 566 c Satz 1 und 2 BGB i.V.m. § 57 b ZVG ist dann jedoch die Entrichtung der Miete an den Eigentümer noch für den nachfolgenden Kalendermonat dem Zwangsverwalter gegenüber wirksam. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus § 566 c Satz 3 BGB. Denn dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt der Leistungshandlung positiv von der Beschlagnahme wusste, behauptet auch die Klägerin nicht. Es ist vielmehr unstreitig, dass die Beklagte erst bei ihrer Rückkehr am 28. Juni 2005 Kenntnis von der Beschlagnahme erlangte. …
10.05.2017