Leitsatz:
Der Mieter kann gemäß § 543 Abs. 1 BGB fristlos kündigen, wenn er von einem anderen Mieter im Hause unzumutbar belästigt wird.
LG Berlin, Urteil vom 8.6.06 – 67 S 465/05 –
Mitgeteilt von RA Dirk Beckmann
Urteilstext
Zum Sachverhalt:
Der Vermieter bestritt die Wirksamkeit der vom Mieter ausgesprochenen fristlosen Kündigung und machte Mieten und Nutzungsentschädigung geltend.
Aus den Entscheidungsgründen:
„… Die von dem Beklagten in seinen Schreiben an die Hausverwaltung E. GmbH geschilderten Vorkommnisse rechtfertigen eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Es stellt eine schwerwiegende Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache dar, wenn ein Mieter sich nicht an die Hausordnung hält und einen anderen Mieter in seiner Lebensführung stört, indem er ihm unberechtigte Vorwürfe macht, ohne erkennbaren Anlass laut zu schreien beginnt, mit Gegenständen gegen die Decke klopft, Drohbriefe schreibt, gegen die Wohnungstür tritt und ihm den Strom abstellt. Eine solche nicht hinnehmbare Störung stellt es auch dar, wenn ein Mieter bei dem anderen Mieter nachts an der Wohnungstür klingelt, ihm unberechtigte Vorwürfe macht und ihn bei der Staatsanwaltschaft anzeigt. Es kann zwar immer zu Streiterein zwischen den Mietern in einem Mehrfamilienhaus kommen. Das von dem betreffenden Mieter an den Tag gelegte Verhalten überschreitet aber eindeutig die Grenzen des Erträglichen. Es findet seine Ursache offenbar in einer seelischen Störung, weil es rational nicht erklärbar ist. Die Person des betreffenden Mieters war dem sozialpsychiatrischen Dienst bekannt. Solche Belästigungen sind keine privaten Auseinandersetzungen zwischen zwei Mietern, die den Vermieter nicht betreffen. Sie haben Bezug zu dem Mietverhältnis, weil sie dem grundlos angegriffenen Mieter das Leben in seiner Wohnung zur „Hölle“ machen können und er sich deshalb nicht mehr in seine Wohnung traut. Die sich für den Beklagten aus den Vorkommnissen ergebende Belastungssituation zeigt sich auch darin, dass er sich in eine psychologische Behandlung begeben musste.
… Die Vorkommnisse waren für den Beklagten derart belastend, dass von ihm die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nicht verlangt werden konnte. Der Umstand, dass das Verhalten des anderen Mieters nicht rational gesteuert war, rechtfertigte die Schlussfolgerung, dass sich Vorkommnisse der geschilderten Art jederzeit wiederholen konnten. Von dem Beklagten konnte nicht verlangt werden, die Verhältnisse bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist weiterhin zu erdulden.
Die Berechtigung einer fristlosen Kündigung wegen einer Störung des vertragsgemäßen Gebrauches der Mietsache setzt voraus, dass der Mieter dem Vermieter zuvor eine angemessene Frist für eine Abhilfe setzt beziehungsweise ihn abmahnt, § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB. Dies hat der Beklagte hier auch getan, indem er die die Klägerinnen vertretende Hausverwaltung E. GmbH mit Schreiben vom 8. April 2004 von den Verhaltensweisen des anderen Mieters in Kenntnis setzte und um Abhilfe bat.
… Der Umstand, dass der Beklagte nach der Anzeige des störenden Verhaltens noch mehr als zwei Monate mit der fristlosen Kündigung wartete, führt nicht zu einer Verwirkung des Kündigungsrechts. Zum einen durfte der Beklagte immer noch hoffen, dass sich die Verhältnisse ändern würden. Zum anderen konnte er von seinem Kündigungsrecht erst dann Gebrauch machen, als er eine andere Wohnung zur Verfügung hatte. Es ist nachvollziehbar, dass ein Mieter eine fristlose Kündigung nicht sofort aussprechen kann, wenn ihm ein Kündigungsgrund zur Seite steht. Denn er muss sich zuerst erfolgreich um eine andere Wohnung bemühen, die seinen Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten entspricht, bevor er eine fristlose Kündigung erklärt. Dies lässt sich in der Regel nicht von heute auf morgen erreichen. Es ist deshalb konsequent, wenn der Beklagte zum Ausdruck gebracht hat, dass er auf der Suche nach einer neuen Wohnung ist.
Die Tatsache, dass der Beklagte zuerst eine ordentliche Kündigung ausgesprochen hat, nämlich mit Schreiben vom 24. Mai 2004 das Mietverhältnis zum 3. August 2004 gekündigt hat, verwehrt ihm nicht das Recht, zu einem späteren Zeitpunkt die fristlose Kündigung zu erklären. Denn es muss beachtet werden, dass es sich bei den Störungen durch das Verhalten des anderen Mieters mehr oder weniger um einen Dauerzustand gehandelt hat, der sich mit fortschreitender Zeit immer mehr zu einer unerträglichen Belastung gesteigert hat, die dazu führte, dass der Beklagte auszog und bei Freunden wohnte. Jede Kündigung ist für sich auf ihre Wirksamkeit hin zu beurteilen. …“
05.01.2018