Leitsatz:
Stellt der Vermieter die Betriebskostenabrechnung per Einschreiben dem abwesenden Mieter zu, reicht es für die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 556 Absatz 3 BGB nicht aus, wenn zwar der Benachrichtigungsschein über die Niederlegung bei der Post vor Ablauf der Ausschlussfrist in den Briefkasten des Mieters gelangt, der Mieter das Einschreiben aber nicht von der Post abholt.
LG Berlin vom 27.7.2010 – 63 S 681/09 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter macht aus der Nebenkostenabrechnung für 2007 eine Nachforderung in Höhe von gut 800 Euro geltend. Diese Abrechnung hatte er dem Mieter durch Einschreiben mit Rückschein zustellen lassen. Der Postbote hatte den Mieter am 4. 12. 2008 jedoch nicht angetroffen und ihm deshalb einen Benachrichtigungsschein in den Briefkasten gelegt. Nachdem der Mieter die Postsendung nicht abgeholt hatte, wurde sie am 29. 12. 2008 wieder an den Vermieter zurückgeschickt. Die erneute Zustellung erfolgte erst am 3. 1. 2009. Zu spät, wie das Landgericht – der herrschenden Meinung folgend – entschied. Denn der Zugang der Benachrichtigung ersetzt nicht den Zugang des (nicht abgeholten) Einschreibens. Der Mieter war auch nicht verpflichtet, das Einschreiben abzuholen. Eine solche Pflicht kann nur bei besonderen Umständen angenommen werden. Allein das Bestehen eines Mietvertrages reicht nicht aus. Das Landgericht weist ausdrücklich darauf hin, dass sich der Mieter über eine möglicherweise ablaufende Frist keine Gedanken machen muss. Es ist Sache des Vermieters, dafür Sorge zu tragen, dass fristgebundene Erklärungen rechtzeitig ankommen.
Urteilstext
Gründe:
I.
Gegenstand der Klage ist ein Anspruch der Klägerin auf Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2007 vom 13.11.2008 in Höhe von 815,45 Euro.
Das Amtsgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil vom 3.9.2009 abgewiesen und das Versäumnisurteil durch das hier angegriffene Urteil vom 23.11.2009 aufrechterhalten, weil die Betriebskostenabrechnung der Beklagten erst am 3.1.2009 zugegangen war.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung und behauptet,
die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein im Dezember 2007 rechtzeitig veranlasst zu haben. Der Postbote habe die Beklagte am 4.12.2008 nicht angetroffen und eine Benachrichtigungsschein in ihren Briefkasten eingelegt. Da die Beklagte das Schreiben dennoch nicht abgeholt habe, sei es am 29.12.2008 an die Klägerin zurückgesandt worden.
Die Klägerin ist der Ansicht, nach Treu und Glauben sei der Zugang für den 5.12.2008 zu unterstellen, weil die Beklagte im laufenden Mietverhältnisses und angesichts des bevorstehenden Ablaufs der Abrechnungsfrist für 2007 mit der Betriebskostenabrechnung habe rechnen und das Schreiben abholen müssen. Jedenfalls treffe die Klägerin kein Verschulden für die Zustellung erst im Januar 2008, da sie die Abrechnung rechtzeitig abgesandt habe und sich auf die Zustellung habe verlassen dürfen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen; im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2007 vom 13.11.2008 in Höhe von 815,45 Euro aus § 535 BGB, weil die Abrechnung der Beklagten erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 BGB zugegangen ist.
Die Betriebskostenabrechnung 2007 ist entsprechend den zutreffenden Ausführungen des angegriffenen Urteils erst am 3.1.2010 zugegangen, sodass die Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 S. 2 BGB nicht gewahrt wurde und die Beklagte nicht zur Nachzahlung verpflichtet ist. Der Zugang kann auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) für einen früheren Zeitpunkt im Dezember 2008 unterstellt werden. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin als wahr unterstellt werden, dass am 4.12.2008 eine Benachrichtigung über die Niederlegung eines Schreibens bei der Post in den Briefkasten der Beklagten eingelegt worden ist. Zugegangen im Sinne des § 130 BGB ist eine Willenserklärung, sobald sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis erlangen. Danach ist der Beklagten fristgerecht allein der von der Postzustellerin gefertigte Benachrichtigungsschein zugegangen. Dieser Zettel unterrichtet den Empfänger, dass für ihn eine Einschreibesendung bei der Post zur Abholung bereit liegt. Er enthält aber keinen Hinweis auf den Absender des Einschreibebriefs und lässt den Empfänger im Ungewissen darüber, welche Angelegenheit die Einschreibesendung zum Gegenstand hat. Zu Recht hat deshalb das Amtsgericht angenommen, der Zugang des Benachrichtigungsscheins habe nicht den Zugang des Einschreibebriefes ersetzt (vgl. BGH Urt. v. 26.11.2007, VIII ZR 22/97 = NJW 1998, 976). Der Zugang eines Schriftstücks trotz unterlassener Abholung kann nur dann fingiert werden, wenn sich aus dem Bestehen von besonderen Rechtsbeziehungen zwischen Absender und Empfänger ergibt, dass der Empfänger Schriftstücke, über deren Niederlegung er unterrichtet wird, abholen muss. Dazu reicht allein das Bestehen eines Mietvertrages nicht aus (Landgericht Berlin Urt. v. 30.11.1999, 64 S 299/99 = ZMR 2000, 295). Der bevorstehende Ablauf der Abrechnungsfrist zum 31.12.2008 genügt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht, denn darüber musste sich die Beklagte keine Gedanken machen und sich dieser Frist nicht bewusst sein (anders AG Köpenick vom 31.7.2007, 9 C 88/07 = MM 2007, 299). Es kann schon nicht unterstellt werden, dass der durchschnittliche Mieter überhaupt Kenntnis von der Abrechnungsfrist und den Folgen ihrer Versäumung hat; selbst bei Kenntnis müsste er sich des bevorstehenden Ablaufs aber nicht bewusst sein. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH a.a.O.) muss derjenige, der aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat, geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen; tut er dies nicht, so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch Vertrag begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen. Eine andere Frage ist, ob dieser Sorgfaltsverstoß innerhalb der vertraglichen oder vorvertraglichen Beziehungen so schwer wiegt, dass es gerechtfertigt ist, den Adressaten nach Treu und Glauben so zu behandeln, als habe ihn die infolge seiner Sorgfaltsverletzung nicht zugegangene Willenserklärung doch erreicht. Unzweifelhaft besteht eine solche Obliegenheit des Mieters ohne besondere Umstände grundsätzlich nicht; derartige Umstände, die für eine andere Bewertung im konkreten Fall sprechen, liegen hier nicht vor, wie etwa vorangegangene Korrespondenz über die bevorstehende Abrechnung oder ähnliches. Eine treuwidrige Vereitelung des Zugangs, mit der Folge, dass dieser fingiert werde, besteht daher nicht.
Schließlich liegen auch nicht die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands nach § 556 Abs. 3 S. 3 BGB vor. Danach ist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den Vermieter nach Ablauf der Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 S. 2 BGB dann nicht ausgeschlossen, wenn er die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten hat. Soweit die Klägerin sich auf die rechtzeitige Absendung auf dem Postwege beruft und meint, die Verzögerungen nicht zu vertreten zu haben, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere stünde eine einschränkende Anwendung des § 278 S. 1 BGB im Widerspruch zur Regelungsabsicht des Gesetzgebers (BGH Urt. v. 21.1.2009, VIII ZR 107/08 = GE 2009, 509). Nach der Begründung zum Regierungsentwurf soll eine rechtzeitige Absendung der Abrechnung zur Wahrung der Abrechnungsfrist gem. § 556 Abs. 3 S. 2 BGB nicht genügen, sondern der Zugang der Abrechnung beim Mieter erforderlich sein. Dies dient ebenso wie der in § 556 Abs. 3 S. 3 BGB angeordnete Ausschluss von Nachforderungen der Abrechnungssicherheit für den Mieter (BGH a.a.O. mit Hinweis auf BT-Dr. 14/4553, S. 37 = NZM 2000, NZM 2000, 415). Die Vorschriften sollen eine zeitnahe Abrechnung gewährleisten, damit der Mieter in einem überschaubaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Abrechnungszeitraum entweder über ein sich zu seinen Gunsten ergebendes Guthaben verfügen kann oder Gewissheit darüber erlangt, ob und in welcher Höhe er mit einer Nachforderung des Vermieters rechnen muss. Damit wäre nicht vereinbar, den in § 556 Abs. 3 S. 3 BGB geregelten Ausnahmefall, dass der Vermieter die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten hat, generell dann anzunehmen, wenn auf dem Postweg für ihn unerwartete und nicht vorhersehbare Verzögerungen oder Postverluste aufgetreten sind. Denn Verzögerungen oder Verluste auf dem Postweg sind in der Regel für den Vermieter nicht vorhersehbar, so dass eine einschränkende Anwendung des §278 S. 1 BGB im Ergebnis darauf hinaus liefe, dass im Hinblick auf den Ausschluss von Nachforderungen in allen Fällen des Postversands – abgesehen von Ausnahmesituationen (z.B. Poststreik) – entgegen der ausdrücklichen Regelungsabsicht des Gesetzgebers doch die rechtzeitige Absendung der Abrechnung zur Fristwahrung genügen würde.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
26.10.2017