Leitsatz:
Anwohner des Kollwitzplatzes können im Rahmen einer Mieterhöhung nach dem Berliner Mietspiegel die Lärmbelästigungen durch einen Wochenmarkt und durch zahlreiche Gaststätten nicht als wohnwertmindernd geltend machen.
LG Berlin vom 21.2.2012 – 63 S 276/11 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach Auffassung des Landgerichts seien die Geräuschbelästigungen durch Wochenmarkt und Gaststätten nicht wohnwertmindernd zu berücksichtigen. Es handele sich hierbei um ein ortsübliches Erscheinungsbild einer innerstädtischen Wohnlage, die gerade eine Gegend wie den Kollwitzplatz und dessen Umgebung präge und ihr den besonderen Reiz verleihe. Die von der Mieterin vorgebrachten Beanstandungen beruhten nicht unmittelbar auf den gewerblichen Einrichtungen, sondern seien mittelbare Begleiterscheinungen des Lebens in einer Metropole, in der Autos fahren und parken, Leute einkaufen und sich Fußgänger auch in größeren Gruppen aufhalten und bewegen.
Urteilstext
Gründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Die Beklagte ist aufgrund der Mieterhöhungserklärung vom 8. Dezember 2009 gemäß § 558 Abs. 1 BGB verpflichtet, einer Erhöhung der Nettomiete für die von ihr innegehaltene Wohnung von 370,90 Euro um 50,00 Euro auf monatlich 420,90 Euro ab dem 1. März 2010 zuzustimmen. Diese Miete übersteigt die ortsübliche Miete nicht.
Die ortsübliche Miete ist anhand des Berliner Mietspiegels 2009 zu ermitteln, der ein qualifizierter Mietspiegel im Sinne von § 558 d BGB ist. Aufgrund der in § 558 d Abs. 3 BGB enthaltenen gesetzlichen Vermutung ist in Verbindung mit § 292 ZPO davon auszugehen, dass die innerhalb der Spanne liegenden Mietwerte die ortsübliche Miete für die Wohnungen des jeweiligen Mietspiegelfelds widerspiegeln. Einschlägig für die 87,89 qm große Wohnung ist das Rasterfeld I 2, das eine Spanne von 3,77 Euro/qm bis 6,33 Euro/qm und einen Mittelwert von 5,08 Euro/qm ausweist.
Die Bestimmung der konkreten ortsüblichen Miete innerhalb der Spanne kann durch eine Schätzung erfolgen. Die Voraussetzungen gemäß § 287 Abs. 2 ZPO sind gegeben. Bei der Beauftragung eines Sachverständigen fallen Kosten an, die zur Höhe der streitigen Mieterhöhung außer Verhältnis stehen. Diese sind jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn neben dem qualifizierten Mietspiegel eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung zur Verfügung steht. Auch wenn dieser die Vermutungswirkung des § 558 d Abs. 3 BGB nicht zukommt, hindert dies ihre Heranziehung als Schätzgrundlage nach § 287 ZPO nicht. Die Orientierungshilfe wird vom umfassenden Sachverstand der an der Mietspiegelerstellung beteiligten Experten getragen werden und berücksichtigt die bisherigen Erkenntnisse der Praxis und der Rechtsprechung. Ihr liegt wie dem Mietspiegel eine umfassende Datenmenge zugrunde, die den Verhältnissen auf dem Berliner Wohnungsmarkt hinreichend Rechnung trägt (BGH, Urteil vom 20. April 2005 – VIII ZR 110/04, GE 2005, 663).
Zu den einzelnen Merkmalen der Orientierungshilfe hat nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der für sie jeweils günstigen wohnwerterhöhenden bzw. wohnwertmindernden Merkmale vorzutragen und ggf. zu beweisen.
Hinsichtlich der einzelnen Merkmalgruppen gilt hierbei Folgendes:
Gruppe 1 (Bad/WC)
Diese Merkmalgruppe ist negativ.
Das kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden.
Gruppe 2 (Küche)
Diese Merkmalgruppe ist negativ.
Das kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden.
Gruppe 3 (Wohnung)
Diese Merkmalgruppe ist neutral.
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist nach der Rechtssprechung der Kammer seit dem Mietspiegel 2007 ein nicht vorhandener Balkon nicht ein nicht nutzbarer Balkon (Landgericht Berlin, Urteil vom 5. Juni 2009 – 63 S 355/08, GE 2009, 1046).
Soweit die Beklagte eine unzureichende Elektroinstallation unter Hinweis auf eine Beanstandung bereits im Jahr 2004 behauptet, entbehrt ihr Vorbringen einer hinreichenden Konkretisierung. Die pauschale Angabe, zwei leistungsstarke Geräte könnten nicht gleichzeitig betrieben werden, genügt insoweit nicht. Eine Elektroinstallation ist nur dann unzureichend, wenn neben einem Großgerät nicht ein weiteres Gerät betrieben werden kann. Die Beklagte trägt in diesem Zusammenhang nicht vor, welche Geräte nicht gemeinsam betrieben werden können und an welchen Steckdosen bzw. Stromkreisen ein Betrieb versucht worden ist. Jedenfalls hat sie ihre Angaben trotz des Bestreitens der Kläger nicht unter Beweis gestellt. Aus dem von der Beklagten im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung eingereichten Schreiben der Hausverwaltung der Kläger vom 8. November 2007 ergibt sich in diesem Zusammenhang nichts anderes. Es enthält insbesondere keine endgültige und auch für die Zukunft verbindliche Vereinbarung über eine bestimmte Bewertung des Merkmals der Elektroinstallation. Der Einwand der Beklagten ist für das dort genannte Erhöhungsverlangen zwar akzeptiert worden. Allerdings kam es darauf nicht an, weil die dort verlangte Miete von 4,50 Euro/qm auch bei einem sich danach ergebenden Abschlag begründet war. Unter diesen Umständen ist ein Bindungswille der Kläger, diese Bewertung auch für die Zukunft zu akzeptieren, nicht zu erkennen, zumal das Schreiben die grundsätzliche Bereitschaft zu einer vergleichsweisen Einigung vor einer Klage enthielt. Dass und in welchem Umfang eine solche Einigung zustande gekommen ist, die auch eine verbindliche Bewertung des Merkmals der Elektroinstallation umfasste, ist nicht erkennbar.
Weitere wohnwertmindernde Merkmale macht die Beklagte nicht geltend.
Gruppe 4 (Gebäude)
Diese Merkmalgruppe ist positiv.
Ohne Erfolg beanstandet die Beklagte die Berücksichtigung der nach 1994 eingebauten Etagenheizung als wohnwerterhöhend. Der Mietspiegel setzt eine Etagenheizung einer Sammelheizung gleich. Das gilt auch für die Orientierungshilfe. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass etwa in anderen Wohnungen vorhandene nicht moderne Heizungen einen nachteiligen Einfluss auf Energieverbrauch, Bedienungskomfort oder ähnliche Eigenschaften der Heizung in der Wohnung der Beklagten haben, die eine moderne Heizung ausmachen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch dem von ihr im Schriftsatz vom 9. August 2010 errechneten Wärmedämmwert nicht, dass die Wärmedämmung unzureichend ist. Denn Maßstab sind hierbei nicht die Anforderungen, die nach der EEnV an Neubauten zu stellen sind. Entscheidend ist ein Vergleich mit anderen nach Baualter und Ausstattung vergleichbarer Häuser. Hierfür ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nichts. Es ist auch anhand der in der Wohnung erreichbaren Temperaturen nicht erkennbar, dass die Wärmedämmung im Verhältnis zu nach Baualter und Ausstattung vergleichbarer Häuser unzureichend ist. Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Klägerin eingereichten Energieausweis. Danach liegt der Endenergiebedarf jedenfalls nicht über 283 kWh/(qma) (entspricht lt. Orientierungshilfe 190 kWh/(qma) Energieverbrauchskennwert zzgl. 20 %).
Danach kann dahinstehen, ob der Fahrradkeller aufgrund einer nicht ausreichenden Größe wohnwerterhöhend ist. Aus der von den Klägern zitierten Entscheidung der Kammer (Urt. v. 31.8.2010 – 63 S 635/09, GE 2010, 1339) ergibt sich jedenfalls nicht, dass jeder Fahrradkeller unabhängig von dessen Größe als wohnwerterhöhend anzusehen ist. Denn es war in diesem Verfahren nicht vorgetragen, dass der Abstellraum nicht ausreichend wäre.
Gruppe 5 (Wohnumfeld)
Diese Merkmalgruppe ist neutral.
Die Geräuschbelästigungen durch Wochenmarkt und Gaststätten sind nicht wohnwertmindernd zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei um ein ortsübliches Erscheinungsbild, einer innerstädtischen Wohnlage, die gerade eine Gegend wie den Kollwitzplatz und dessen Umgebung prägt und ihr den besonderen Reiz verleiht. Die von der Beklagten vorgebrachten Beanstandungen beruhen nicht unmittelbar auf den gewerblichen Einrichtungen, sondern sind mittelbare Begleiterscheinungen des Lebens in einer Metropole, in der Autos fahren und parken, Leute einkaufen und sich Fußgänger auch in größeren Gruppen aufhalten und bewegen. Dass die hiermit zwangsläufig verbundenen Auswirkungen das in einer zentralen Großstadtlage zu erwartende und hinzunehmende Maß überschreiten, hat die Beklagte nicht anhand konkreter Anhaltspunkte vorgetragen.
Es kann danach dahinstehen, ob die streitgegenständliche Wohnung in einem Bereich bevorzugter Citylage liegt. Denn das Erhöhungsverlangen ist auch bei einer nur neutralen Wertung dieser Merkmalgruppe begründet.
Danach liegen zwei negative, zwei neutrale und eine positive Merkmalgruppe vor, sodass der vom Mietspiegel ausgewiesene Mittelwert um 20 % der Spanne zum Unterwert zu vermindern ist.
Die ortsübliche Nettomiete gemäß § 558 Abs. 1 BGB berechnet sich danach wie folgt:
Mietspiegel 2009
Rasterfeld I 2 (Mittelwert) 5,08 Euro/qm
abzüglich 20 % der Spanne zum Unterwert (3,77 Euro/qm) – 0,26 Euro/qm
324,82 Euro/qm
33× 87,89 qm Wohnungsgröße
ortsübliche Nettomiete 423,63 Euro
Die verlangte Zustimmung übersteigt diese Miete nicht und liegt unter der aufgrund der Kappungsgrenze von 20 % gemäß § 558 Abs. 3 BGB zulässigen Miete, die sich unter Berücksichtigung der am 1. März 2007 in Höhe von 351,56 Euro geschuldeten Miete auf 421,87 Euro beläuft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
15.05.2017