Leitsatz:
Der Mieter hat im Wege der einstweiligen Verfügung einen Anspruch auf Entfernung des Gerüstes, welches ohne jegliche Ankündigung angebracht worden war und die Sicht aus der Wohnung des Mieters behindert.
LG Berlin vom 27.9.2013 – 65 T 158/13 –
Mitgeteilt von RA Marek Schauer
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter begehrte von der Vermieterin die Unterlassung des weiteren Gerüstaufbaus sowie den Abbau des Gerüstes im bisher errichteten Umfang im Wege der einstweiligen Verfügung. Das Gericht gab dem Antrag des Mieters statt.
Der Mieter hatte vorgetragen, dass die Vermieterin die Fassade des Vorderhauses, in welchem die von ihm angemietete Wohnung belegen war, eingerüstet hat, ohne dass ihm dies schriftlich angekündigt worden sei. Er hat dies sowie den Umstand, dass dies die Sicht aus seiner Wohnung erheblich behindere, durch eidesstattliche Versicherung auch glaubhaft gemacht. Veranschaulicht hat der Mieter seinen Vortrag dann durch Fotografien der Einrüstung. Diese ließen erkennen, dass Arbeiter auf dem Gerüst beschäftigt waren, so dass nicht nur die Verschattung der Wohnung, die erhöhte Einbruchsgefahr, sondern auch die Einsichtsmöglichkeit in die Wohnung durch die mit dem Aufbau beschäftigten Arbeiter eine Beeinträchtigung im Mietgebrauch darstellten, die nicht unerheblich war.
Da keine schriftliche Ankündigung erfolgt war, habe der Mieter – so das Landgericht – diese Gebrauchsbeeinträchtigung seiner Wohnung nicht zu dulden. Selbst wenn es sich hier um Erhaltungsmaßnahmen im Sinne von § 555 a Abs. 1 BGB gehandelt haben sollte, seien diese nach dem Absatz 2 der Norm anzukündigen, wenn nicht ihre sofortige Durchführung zwingend erforderlich sei. Für das Vorliegen einer derartigen Notmaßnahme sei aber hier nichts ersichtlich gewesen. Bis zu einer ordnungsgemäßen Ankündigung einer solchen Maßnahme bestehe kein Recht der Vermieterin, eigenmächtig den Mietgebrauch in mehr als unerheblicher Weise zu stören.
Die Ausführungen des Amtsgerichts, dass sich der Besitz im Sinne von § 854 BGB im Wesentlichen auf die Wohnung des Mieters und nicht auf die Fassade des Objekts beziehe, treffe zwar insofern zu, als dem Mieter Alleinbesitz nur an den überlassenen Wohnräumen zustehe. Werde aber dieser Alleinbesitz durch Arbeiten außerhalb der Wohnung beeinträchtigt, greife dennoch der Besitzschutz der §§ 858, 862 BGB ein, unabhängig davon, ob der Mieter Besitzer der Hausfassade sei oder nicht.
Da der Mieter gemäß § 862 Abs. 1 Satz 1 BGB die Beseitigung der Störung verlangen könne, sei das Gerüst entsprechend dem Verfügungsantrag zu demontieren, wobei hierfür eine angemessene Frist von 10 Tagen zu setzen sei, weil insoweit ein einmal erstelltes Gerüst nicht innerhalb von kürzerer Frist abgebaut werden könne.
Urteilstext
Aus dem Beschluss:
… Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Unterlassung des weiteren Gerüstaufbaus sowie den Abbau des Gerüstes im bisher errichteten Umfang im Wege der einstweiligen Verfügung. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat den Antrag durch Beschluss vom 9.9.2012 – 18 C 1004/13 – zurückgewiesen und der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Antragstellers nicht abgeholfen.
… Dem Antragsteller steht gegenüber der Antragsgegnerin gemäß den §§ 862 Abs. 1, § 858 Abs. 1 BGB der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.
Eine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 BGB ist jede gesetzlich nicht gestattete Handlung, die den unmittelbaren Besitzer ohne seinen Willen in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt beeinträchtigt oder ihm diese entzieht, § 858 Abs. 1 BGB. Eine Besitzstörung liegt vor, wenn dem Besitzer Ausschnitte aus den Gebrauchs- und Nutzungsrechten genommen werden, die ihm die Sache gewährt (Gutzeit in Staudinger BGB-Kommentar, Neubearbeitung 2012, zu § 858 Rn 14).
Vorliegend hat der Antragsteller in der Antragsschrift vorgetragen, dass die Antragsgegnerin die Fassade des Vorderhauses, in welchem die von ihm angemietete Wohnung belegen ist, eingerüstet hat, ohne dass ihm dies schriftlich angekündigt worden sei. Er hat dies sowie den Umstand, dass dies die Sicht aus seiner Wohnung erheblich behindert, durch eidesstattliche Versicherung vom 29.8.13 auch glaubhaft gemacht.
Veranschaulicht ist dieser Vortrag durch die zur Akte gereichten Fotografien der Einrüstung. Diese lassen erkennen – da sie offenkundig während des Aufbaus angefertigt wurden – dass Arbeiter auf dem Gerüst beschäftigt sind, so dass nicht nur die Verschattung der Wohnung, die erhöhte Einbruchsgefahr, sondern auch die Einsichtsmöglichkeit in die Wohnung durch die mit dem Aufbau beschäftigten Arbeiter eine Beeinträchtigung im Mietgebrauch darstellen, die nicht unerheblich ist.
Da ferner glaubhaft gemacht ist, dass keine schriftliche Ankündigung erfolgte, ist nicht ersichtlich, dass der antragstellende Mieter diese Gebrauchsbeeinträchtigung seiner Wohnung zu dulden hätte. Selbst wenn es sich hier um Erhaltungsmaßnahmen im Sinne von § 555 a Abs. 1 BGB handeln sollte, sind diese nach dem Absatz 2 der Norm anzukündigen, wenn nicht ihre sofortige Durchführung zwingend erforderlich ist. Für das Vorliegen einer derartigen Notmaßnahme ist hier nichts ersichtlich. Ob hier eine materiellrechtlich zu duldende Modernisierungsmaßnahme geplant ist, ist nicht zu prüfen. Denn bis zu einer ordnungsgemäßen Ankündigung einer solchen Maßnahme besteht kein Recht der Vermieterin, eigenmächtig den Mietgebrauch in mehr als unerheblicher Weise zu stören (vgl. dazu LG Berlin 63 T 71/04 zitiert nach juris, dort Rn 5).
Die Ausführungen des Amtsgerichts, dass sich der Besitz im Sinne von § 854 BGB im Wesentlichen auf die Wohnung des Mieters und nicht auf die Fassade des Objekts beziehe, tritt zwar insofern zu, als dem Mieter Alleinbesitz nur an den überlassenen Wohnräumen zusteht. Wird aber dieser Alleinbesitz durch Arbeiten außerhalb der Wohnung beeinträchtigt, was hier aus den vorstehend dargestellten Gründen der Fall ist, greift dennoch der Besitzschutz der §§ 858, 862 BGB ein unabhängig davon, ob der Mieter Besitzer der Hausfassade ist oder nicht. Zur Begründung verweist das Amtsgericht insoweit auf die Entscheidung des Landgerichts Berlin – 63 S 429/12 – vom 26.2.2013. In dem zitierten Fall hat die Kammer den § 906 BGB herangezogen mit der Begründung, dass die darin enthaltenen eigentumsbeschränkenden Regelungen auch über das Verhältnis zwischen Eigentümer hinaus auch zugunsten des Besitzers anwendbar ist und hat sich hierfür auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.2.2011 – V ZR 389/99 – bezogen. Der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag ein Fall zugrunde, indem ein Mieter eines Grundstücks den Eigentümer eines benachbarten Grundstücks – nach dem aufgrund der von diesem beauftragten Bauarbeiten die Produktionshalle des Mieters eingestürzt war – auf „Ersatz“ in Anspruch genommen hat. Der Bundesgerichtshof hat dem Mieter analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zugebilligt.
Diese Erwägungen lassen sich aber – jedenfalls auf den hiesigen Fall – einer vom Eigentümer und Vermieter vorgenommenen Einrüstung seines Hauses nicht ohne weiteres übertragen. Jedenfalls stellt bei – wie vorstehend ausgeführt – zu bejahender Besitzstörung die Heranziehung der eigentumsbeschränkenden Regelungen hier keine Anwendung zu Gunsten des Besitzers dar.
Der gemäß den §§ 935 ff, 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Verfügungsgrund besteht hier zudem. Dieser folgt schon aus der Rechtsnatur des Unterlassungsanspruchs. Eine verbotene Eigenmacht indiziert den Verfügungsgrund auch ohne gesonderten Vortrag des Antragstellers, wobei eine besondere Dringlichkeit nicht erforderlich ist.
Da der Mieter gemäß § 862 Abs. 1 S. 1 BGB die Beseitigung der Störung verlangen kann, ist das Gerüst entsprechend dem Verfügungsantrag zu 2. zu demontieren, wobei hierfür eine angemessene Frist von 10 Tagen zu setzen ist, weil insoweit ein einmal erstelltes Gerüst nicht innerhalb von so kurzer Frist abgebaut werden kann. Da die Beeinträchtigungen sich nur auf das Vorderhaus beziehen und auch nur insoweit glaubhaft gemacht sind, kann sich sowohl die Unterlassung als auch die Störungsbeseitigung nur auf diesen Gebäudeteil beziehen, weshalb im Übrigen eine Zurückweisung erfolgte.
Soweit der Antrag zu 2. ferner die Beseitigung von Verunreinigungen des Gebäudes verlangt, war dieser zurückzuweisen, weil Verunreinigungen weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht sind. …
27.02.2014