Leitsatz:
Zahlt der Mieter wenige Tage nach Erhalt der wegen unstreitigen Zahlungsverzugs ausgesprochenen ordentlichen Kündigung den ausstehenden Betrag vollständig nach und hat er in den letzten Jahren die Miete immer regelmäßig und vollständig entrichtet, führt dieses Verhalten in der Gesamtschau dazu, dass seine Vertragsverletzung in „milderem Licht“ erscheint und die ordentliche Kündigung deshalb gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist.
LG Berlin vom 4.10.2013 – 63 S 421/12 –
Mitgeteilt von RAin Gabriele Tollkühn
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging um ein relativ neues Phänomen. Immer mehr Vermieter kündigen bei Zahlungsverzug nicht nur fristlos, sondern zugleich auch ordentlich mit der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist. Während der Mieter durch rechtzeitige Nachzahlung des Mietrückstandes die fristlose Kündigung hinfällig machen kann, bleibt die ordentliche Kündigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes trotz Ausgleich des Rückstandes grundsätzlich bestehen. Eine analoge Anwendung des § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB auf die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nummer 1 BGB hält der BGH für ausgeschlossen. Allerdings hat er entschieden, dass eine Nachzahlung die Pflichtverletzung des Mieters im Einzelfall in milderem Licht erscheinen lassen kann und damit auch die ordentliche Kündigung hinfällig werden kann. Das Landgericht hatte in vorliegendem Fall diese Rechtsprechung des BGH angewendet und die Räumungsklage des Vermieters abgewiesen. Entscheidend war hier, dass der Mieter unmittelbar nach Erhalt der Kündigung nachgezahlt hatte und das langjährige Mietverhältnis bisher im Hinblick auf die Mietzahlungen „unbelastet“ war.
Urteilstext
Aus den Gründen:
… Unstreitig ist die im vorbezeichneten Schreiben ausgesprochene fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs gem. § 543 Abs. 2 S.1 Nr. 3 b) BGB jedenfalls nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB aufgrund der noch im Dezember 2011 erfolgten Zahlung des gesamten geltend gemachten Rückstands in Höhe von 1.519,44 EUR unwirksam geworden.
Die im vorgenannten Schreiben zugleich erklärte ordentliche Kündigung ist allerdings ebenfalls nicht begründet; zwar liegt im Verhalten des Beklagten eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung i.S.V. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB, soweit er zumindest den im vor dem Landgericht Berlin geschlossenen Prozessvergleich der Parteien vom 12.08.2011 – 63 S 649/10 – dort in Ziff. 2 vereinbarten Betrag von 564,31 EUR zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht beglichen hatte. Denn im Falle des Zahlungsverzugs genügt zum Vorliegen der objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Mietrückstand von mehr als einer Monatsmiete und eine Verzugsdauer von mehr als einem Monat (BGH. Urt. v. 10 10.2012 – VIII ZR 10/12, WuM 2012, 682), was beides hier gegeben ist.
Dahin stehen kann, ob diese Pflichtverletzung des Beklagten in hinreichendem Maße erheblich schuldhaft verursacht ist.
Soweit der Bundesgerichtshof nämlich einerseits die Auffassung vertritt, bei der ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses wegen schuldhafter nicht unerheblicher Pflichtverletzung des Mieters bestünde für eine vorherige Abmahnung grundsätzlich kein Bedarf, weist er zugleich darauf hin, dass der Abmahnung für die Kündigung nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ausnahmsweise insofern Bedeutung zukommen könne, als erst ihre Missachtung durch den Mieter dessen Pflichtverletzung das erforderliche Gewicht verleiht, etwa weil vorher nur ein schlichtes Versehen des Mieters vorgelegen hat oder eine Duldung des Vermieters zu vermuten war; zwar mache dies die Abmahnung nicht zu einer zusätzlichen Voraussetzung der ordentlichen Kündigung, es sei aber ein Gesichtspunkt bei der Prüfung, ob eine schuldhafte nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Mieters vorliegt (BGH, Urt. v. 28.11.2007 – VIII ZR 145/07, WuM 2008, 31).
Da in vorliegendem Fall zwar der aus dem Wortlaut des Vergleichstextes deutlich ersichtliche Teilbetrag von 564,31 EUR als fällige Summe dem Beklagten unmittelbar als von ihm zu zahlender Rückstand ersichtlich sein musste, entlastet ihn seine Behauptung, der vormalige Prozessbevollmächtigte habe ihn über die Höhe des geschuldeten Betrags nicht informiert, nicht, zumal er bei Abschluss des Vergleichs persönlich anwesend war.
Jedoch setzte sich der gesamte, der Kündigung zugrunde liegende Rückstand aus weiteren Einzelbeträgen zusammen. Ausstehend waren ferner für die Zeit ab Mai 2010 ein monatlicher Modernisierungszuschlag von 40,00 EUR sowie 10,00 EUR monatlich erhöhter Betriebskostenvorschuss, die in Ziff. 1 des Vergleichs dem Grunde nach als von ihm geschuldet geregelt, jedoch nicht berechnet waren. Der sich rechnerisch hieraus ergebende Gesamtrückstand bestand zur Zeit der Kündigung demgemäss aus einer Summe von Einzelbeträgen, so dass im Sinne der zuvor dargestellten Ausführungen des Bundesgerichtshofs bei der Beurteilung des Gewichts der Pflichtverletzung des Beklagten durchaus in die Waagschale zu werfen ist, dass eine vorherige Abmahnung unter Darstellung einer Berechnung der geschuldeten Rückstände im Einzelnen ihn unverzüglich veranlasst hätte, nicht nur das Ausmaß des bereits entstandenen Zahlungsverzugs zu erkennen, sondern diesen auch umgehend auszugleichen und hierdurch sofort zu vertragsgemäßem Verhalten zurückzukehren.
Letztendlich können diese Erwägungen jedoch deshalb dahin stehen, weil der BGH auch im Rahmen der ordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs die Ansicht vertritt, dass die innerhalb der Frist des § 569 BGB erfolgte nachträgliche Zahlung die Pflichtverletzung des Mieters in einem milderen Licht erscheinen lassen und unter diesem Gesichtspunkt von Bedeutung sein könne (vgl. BGH, Urt. v. 16. 2.2005 – VIII ZR 6/04, WuM 2005, 250), wobei er dogmatisch ausdrücklich dahin stehen lässt, ob dies im Rahmen der Wirksamkeit der Kündigung oder – was aus systematischen Gründen näher liegen dürfte – im Rahmen von § 242 BGB zu prüfen ist, weil sich die Berufung auf eine wirksam ausgesprochene Kündigung aufgrund nachträglich eingetretener Umstände im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann (BGH, Urt. v. 10.10,2012 – VIII ZR 107/12, WuM 2012, 682).
So ist es hier.
Zwar überstieg im hiesigen Fall – wie auch in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshof zugrunde liegenden Sachverhalt – der aufgelaufene Rückstand zwei Monatsmieten und rechtfertigte den Ausspruch der fristlosen Kündigung; anders als dort, wo der Ausgleich erst nach fast neun Monaten erfolgte, beglich hier der Beklagte jedoch wenige Tage nach Zugang der Kündigung den rückständigen Betrag vollständig. Überdies besteht das Mietverhältnis der Parteien seit 1989 und hat sich der Beklagte in Hinblick auf seine Zahlungsverpflichtungen stets vertragstreu verhalten, so dass die nachträgliche Zahlung des Beklagten zu seinen Gunsten in der Weise berücksichtigt werden kann, dass sie sein vorheriges Fehlverhalten jedenfalls in einem milderen Licht erscheinen lässt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
14.06.2017