Leitsatz:
Gebrochene asbesthaltige Floorflex-Bodenplatten stellen immer eine konkrete Gesundheitsgefahr dar. In einem solchen Fall ist eine 20-prozentige Mietminderung – gegebenenfalls rückwirkend bis zum Beginn der Mietzeit – angemessen.
LG Berlin vom 11.2.2016 – 18 S 133/15 –
Mitgeteilt von RA Sven Leistikow
Siehe hierzu den Bericht in MieterMagazin 5/2016, Seite 10:
Asbest: Allgemeine Gefahr rechtfertigt Mietminderung
Urteilstext
Gründe
I.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils Bezug genommen. Die Berufungsklägerin macht geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht eine Mietminderung für asbesthaltige, beschädigte PVC-Fliesen in der streitgegenständlichen Mietwohnung gewährt. Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen, §§ 313a, 540 ZPO.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.
Sie hat in der Sache jedoch nur insoweit Erfolg, als die Beklagte zu einer Zahlung in Höhe von 215,16 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist. Im Übrigen hat das Amtsgericht den Klägern in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den mit der Berufung angegriffenen Anspruch auf Rückzahlung von Mietzins zugesprochen:
Die Kläger haben einen Anspruch auf Rückzahlung zu viel entrichteter Miete wie austenoriert aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Die Kläger waren für den gesamten Mietzeitraum von der Zahlung von 20% der Bruttowarmmiete nach § 536 Abs. 1 BGB befreit.
Zutreffend hat das Amtsgericht angenommen, dass die beschädigten Asbestplatten einen Mangel der Mietsache i.S.d. § 536 BGB darstellen. Nach überwiegender Rechtsprechungsansicht stellen Asbestplatten zwar keinen Sachmangel dar, soweit sie unversehrt sind und ein Austritt von Asbestfasern nicht vorliegt oder zu befürchten ist. Zerstörte oder beschädigte Asbestmaterialien, wie im vorliegenden Fall, führen dagegen regelmäßig zu einer minderungsrelevanten konkreten Gesundheitsgefährdung der Mieter. Da schon der Austritt einzelner Fasern ausreicht, um konkrete Gesundheitsgefahren herbeizuführen, muss eine grenzwertüberschreitende Belastung der Raumluft nicht notwendigerweise dargetan werden, um die konkrete Gesundheitsgefährdung zu belegen (LG Berlin, Urteil vom 16.01.2013 – Az. 65 S 419/10; Urteil vom 27.10.1998 – Az. 65 S 223/98). Der über den beschädigten Platten verlegte Fußboden war, anders als die Berufung meint, nicht geeignet, die konkrete Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Denn die Verlegung von Korkplatten vermag eine luftdichte Versiegelung der Asbestplatten – was insoweit erforderlich wäre – nicht herbeizuführen (vgl. für einen fest verlegten Teppichboden, dort allerdings ohne ausdrückliche Begründung LG Berlin, Urteil vom 16.01.2013 – Az. 65 S 419/10). Das durch die Beklagte zitierte Urteil des Landgerichts Berlin vom 03.12.2014 – Az. 65 S 220/14 – ist insoweit nicht vergleichbar, weil sich in dem dort zugrundeliegenden Fall unstreitig keine Asbestplatten mehr unter dem (wohl vermieterseits verlegten) unbelasteten Laminatboden befanden und allenfalls streitig war, ob sich noch vereinzelte asbestbelastete Kleberreste unter dem Laminatboden befinden könnten. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Vorliegen einer konkreten Gesundheitsgefahr, auch im Hinblick auf eine Überschreitung zulässiger Grenzwerte, bedurfte es daher nicht.
Für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit ist grundsätzlich auf den vertraglich vereinbarten Zustand abzustellen. Dass asbesthaltige Baustoffe zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes zugelassen und weit verbreitet waren, führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dazu, dass ein entsprechender Zustand durch die Vertragsparteien bei Abschluss des Mietvertrages zu Grunde gelegt wurde. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass asbesthaltige Produkte, soweit von ihnen nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen Gefahren ausgehen, bei einem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit der heutigen Verkehrsanschauung als nicht zeitgemäß beurteilt werden.
Aufgrund des vergleichsweise erheblichen Umfangs der Beschädigungen (neun Platten waren beschädigt und weitere sechs Platten fehlten) ist eine Mietminderung in Höhe von 20 % angemessen (vgl. LG Berlin, Urteil vom 16.01.2013 – Az. 65 5 419/10: Mietminderung in Höhe von 10 % wegen einer gerissenen Asbestfliese).
Dass die Mieter Kenntnis von der Kontamination erlangten, stellt dagegen keinen über den Grundmangel hinausgehenden Mangel dar und rechtfertigt keine höhere Minderungsquote. Ob ein Sachmangel vorliegt, ist objektiv anhand des tatsächlichen Zustands der Mietsache zu bewerten. Ob der Mieter den objektiv bestehenden Mangel auch subjektiv als solchen empfindet, hat damit außer Acht zu bleiben, auf die Höhe der tatsächlichen Gebrauchsbeeinträchtigung kommt es nämlich gerade nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 04.05.2005 – Az. XIII ZR 254/01, Rn. 27). Ob unabhängig davon ein Gefahrenverdacht im Einzelfall einen Mietmangel begründen kann – was in dem durch das Amtsgericht zitierten Urteil (AG Dresden, Urteil vom 11.11.2013 – Az. 148 C 5353/13) in der Tat angenommen wurde – kann vorliegend dahinstehen, weil jedenfalls zu einem schon konkret bestehenden Mangel nicht noch der diesbezügliche Mangelverdacht hinzuaddiert werden kann, um daraus eine höhere Minderungsquote für ein und denselben Mangel abzuleiten.
Der Minderungsanspruch ist auch nicht, anders als die Berufung meint, nach §§ 536b, 536c Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten haben die Kläger „Kontakt“ mit der Beklagten aufgenommen, worauf die Beklagte eine Beprobung des Bodenbelages in Auftrag gegeben hat. Kenntnis des anfänglichen Mangels lag daher nicht schon zu Beginn des Mietverhältnisses wegen Kenntnis der Kläger von den defekten Fliesen vor, sondern trat erst ein mit der Kenntnis von der Asbestbelastung. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es im Übrigen weder auf eine Pflichtverletzung ihrerseits noch auf eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung an. Dass die Kläger das Mietverhältnis beenden wollten und kein ausdrückliches Interesse an einer vorherigen Mängelbeseitigung (welche während der Mietzeit auch nur unter erschwerten Bedingungen möglich gewesen wäre) hatten, ist daher unschädlich, solange nicht die Beklagte an der Durchführung der Mängelbeseitigung treuwidrig gehindert wurde. Dieses ist vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Der Minderungsanspruch ist auch nicht durch das vorbehaltlose Weiterzahlen der Miete ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 16.07.2003 – Az. VIII ZR 274/02, Rn. 15ff.), so dass das Minderungsrecht der Kläger auch in Bezug auf die fortgezahlte Miete fortbesteht. Die Voraussetzungen für eine Verwirkung liegen nicht vor.
Ein Fall der Leistung in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) liegt nicht vor. Dafür wäre es erforderlich, dass die Kläger im Zeitpunkt der Mietzahlung aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ positive Kenntnis von der Rechtslage gehabt hätten (vgl. Palandt/Sprau, BGB, § 814 Rn. 3, zitiert nach juris), hier also ihre Berechtigung zu einer Mietminderung i.H.v. 20 %, anstatt der von ihnen angenommenen 10 % kannten. Davon ist – jedenfalls vor Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung – nicht auszugehen.
Das Amtsgericht hat weiter in rechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Anspruch der Kläger auf Aufwendungsersatz in Höhe von 9/10 der Kosten für den nutzlos gewordenen Korkfußboden bejaht (§§ 536 a Fall 1, 284 BGB). Es lag, wie oben ausgeführt, ein anfänglicher Sachmangel vor, anstelle des Schadensersatzes kann auch Aufwendungsersatz nach § 284 BGB verlangt werden (Palandt/Weidenkaff, BGB, 70. Auflage (2011), § 536 Rn. 14). Darauf, ob sich der Beklagte mit der Mangelbeseitigung im Verzug befand, kommt es vorliegend nicht an, weil § 536 a BGB alternative Schadensersatzansprüche mit entsprechend alternativen Anspruchsvoraussetzungen regelt. Die Pflichtverletzung ist in dem Vorliegen des anfänglichen Sachmangels zu sehen, auf ein Verschulden kommt es nicht an, § 536 a Fall 1 BGB.
Die mit Schriftsatz vom 8. Februar 2016 vorgetragenen Rechtsauffassungen der Beklagten geben zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil es sich weder um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt noch die Voraussetzungen von § 543 ZPO Abs. 2 Nr. 2 vorliegen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.508,34 EUR festgesetzt.
09.05.2017