Leitsatz:
Ein Balkon kann wegen starken Verkehrslärms „nicht nutzbar“ im Sinne des Berliner Mietspiegel 2011 sein.
AG Tempelhof-Kreuzberg vom 8.5.2012 – 24 C 208/11 –
Mitgeteilt von Dr. Sabine J. Kryszon
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mietvertragsparteien stritten im Rahmen einer Mieterhöhung auf Grundlage des Berliner Mietspiegels darum, ob der Balkon sich innerhalb der Merkmalsgruppe 3 (Wohnung) negativ auswirke, da er wegen des starken Straßenlärms nicht nutzbar sei. Das Gericht folgte der Argumentation der Mieterin.
Denn durch seine Lage im Vorderhaus des ersten Obergeschosses, gerichtet zum Mariendorfer Damm, welcher ausweislich des Mietspiegels eine hohe Verkehrslärmbelastung ausweise, könne dieser zweckentsprechend, nämlich zum auch längeren Aufenthalt von Menschen in der wärmeren Jahreszeit mit einem gewissen Erholungswert, nicht genutzt werden. Die Lärmbelastung und Luftverschmutzung sei bei einem Balkon an dieser Straße im ersten Stock erheblich, da dort nicht nur zu Stoßzeiten, sondern auch an Wochenenden und abends ein regelmäßiger Verkehr fließe, der einen längeren Aufenthalt zu Erholungszwecken als nahezu unmöglich erscheinen lasse. Der Zweck eines Balkons könne auch nicht darauf reduziert werden, dass dieser als zusätzlicher Lagerraum genutzt werden könne und dies auch bei extremer Lärmbelastung möglich sei. Denn zum einen sei der Balkon als Lagerstätte nur sehr begrenzt tauglich, da die Lagergegenstände den Witterungsverhältnissen ausgesetzt seien, zum anderen solle ein Balkon gerade dem Stadtbewohner die Möglichkeit verschaffen, sich auch ohne Garten gelegentlich im Freien aufzuhalten, und gerade dies werde als besonders wünschenswert und den Wohnwert in der Regel erhöhend empfunden.
Das Gericht ging im Übrigen nicht davon aus, dass stets dann, wenn das Merkmal „Lage an einer Straße mit hoher Verkehrslärmbelastung“ vorliegt, auch ein gegebenenfalls vorhandener Balkon nicht nutzbar wäre, sondern vielmehr der jeweilige Einzelfall, und zwar die genaue Lage des Hauses an der Straße und vor allem die Geschosshöhe des Balkons, in Betracht zu ziehen ist. Da das Gebäude vorliegend direkt an der Straße und nicht etwa nach hinten zurückversetzt stehe und die Wohnung im ersten Stock liege, komme dieses Negativmerkmal hier zur Anwendung. Das Gericht folgte auch nicht der Auffassung der Vermieterin, dass der Nachteil der hohen Verkehrslärmbelastung bereits durch das entsprechende Negativmerkmal in Gruppe 5 (Wohnumfeld) erfasst werde und daher auch nicht doppelt in Ansatz gebracht werden dürfe. Denn da der Mieter bei Vorhandensein eines Balkons für diesen auch anteilig Miete und Betriebskosten entrichte, stelle es auch einen weiteren Nachteil dar, wenn der Balkon dann tatsächlich nicht nutzbar sei.
21.12.2016