Leitsätze:
1. Der Ausschluss aus einer Wohnungsbaugenossenschaft erfordert ein genossenschaftswidriges Verhalten von erheblichem Gewicht. Ein solches liegt nicht in der Überlassung der Wohnung an ein Nichtmitglied, wenn auch dieses mietvertraglich mit der Genossenschaft verbunden ist.
2. Der Ausschluss aus einer Genossenschaft setzt über eine satzungsgemäße Anhörung hinaus eine Abmahnung voraus.
AG Köpenick vom 6.3.2013 – 10 C 244/12 –
Mitgeteilt von RA Berndt Hintzelmann
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter und Wohnungsbaugenosse klagte gegen den Ausschluss aus seiner Wohnungsbaugenossenschaft. Er war seit 1996 Mitglied der Genossenschaft und seit dem 15.3. 1996 gemeinsam mit seiner Ehefrau, die kein Genossenschaftsmitglied war, Mieter der Wohnung.
Der Genossenschaft wurde im Jahre 2011 bekannt, dass der Mieter die Wohnung nicht mehr nutzt. Nach Einholung einer Melderegisterauskunft teilte die Genossenschaft dem Mitglied am 21.11.2011 mit, dass sie beabsichtige, ihn aus der Genossenschaft auszuschließen, weil er die Genossenschaftswohnung nicht mehr selbst nutze und Nichtmitgliedern ohne Zustimmung überlassen habe.
Der Mieter erwiderte, dass er ausgezogen sei, weil er sich von seiner Ehefrau getrennt habe, Ehefrau und Kinder jedoch noch in der Wohnung wohnten. Eine Übertragung der Geschäftsanteile auf die Ehefrau des Mieters scheiterte in der Folgezeit.
Das Amtsgericht gab dem Mieter und Mitglied Recht. Der Ausschluss des Mitglieds sei unter Abwägung aller Umstände rechtswidrig. Es lägen keine Ausschlussgründe gemäß § 68 Absatz 1 GenG in Verbindung mit der Satzung der Genossenschaft vor.
Der Verlust der Mitgliedschaft gegen den Willen eines Mitglieds sei an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Nach Sinn und Zweck des § 68 Genossenschaftsgesetz stehe außer Frage, dass nur ein genossenschaftswidriges Verhalten von erheblichem Gewicht eine Ausschließung rechtfertige.
Zwar mag die dauernde Überlassung der Wohnung an ein Nichtmitglied und damit die Verletzung der genossenschaftlichen Treuepflicht den Ausschlusstatbestand des § 11 Abs. 1 a der Satzung erfüllen, wonach der Ausschluss zulässig ist, wenn das Mitglied durch ein genossenschaftswidriges Verhalten schuldhaft oder unzumutbar das Ansehen oder die wirtschaftlichen Belange der Genossenschaft oder ihrer Mitglieder schädigt oder zu schädigen versucht. Jedoch könne dies nicht gelten, wenn – wie vorliegend – das Nichtmitglied (die Ehefrau) ebenfalls unstreitig mietvertraglich mit der Genossenschaft verbunden sei und damit ebenfalls ein Recht zum Besitz an der Wohnung habe. Die Satzung lasse ausdrücklich die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes auf Nichtmitglieder zu.
Darüber hinaus fehle es an einer erforderlichen Abmahnung des Wohnungsbaugenossen. Grundsätzlich setze ein Ausschluss eine Abmahnung voraus. Dies ergebe sich aus dem zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den allgemeinen im Kündigungsrecht entwickelten Rechtsgedanken, welche auch hier Anwendung finden müssten. Das Schreiben vom 21.11.2011 könne nicht als Abmahnung gewertet werden, denn es enthalte lediglich die satzungsmäßig vorgesehene Äußerungsmöglichkeit zum beabsichtigten Ausschluss.
Urteilstext
Tatbestand:
Der Kläger ist seit 1996 Mitglied der Beklagten und seit dem 15.3.1996 gemeinsam mit seiner Ehefrau als Nichtmitglied der Beklagten Mieter der Wohnung G.-Str., Berlin. In der Satzung der Beklagten sind unter § 11 Absatz 1 a – d Ausschließungsgründe geregelt, wegen deren Einzelheiten und weiterer satzungsmäßiger Regelungen auf die beiden Parteien bekannte Satzung Bezug genommen wird.
Der Beklagten wurde im Jahre 2011 bekannt, dass der Kläger die Wohnung nicht mehr nutzt. Nach Einholung einer Melderegisterauskunft teilte die Beklagte mit Schreiben vom 22.11.2011 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von 3 Wochen gemäß § 11 Absatz 2 der Satzung dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, ihn aus der Genossenschaft auszuschließen, weil er die Genossenschaftswohnung nicht mehr selbst nutzt und Nichtmitgliedern ohne Zustimmung überlassen hat. Mit Schreiben vom 7.12. 2011 teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit, dass der Kläger ausgezogen sei, weil er sich von seiner Ehefrau getrennt habe, Ehefrau und Kinder jedoch noch in der Wohnung wohnen.
Einer Übertragung der Geschäftsanteile auf die Ehefrau des Klägers scheiterte in der Folgezeit.
Mit Schreiben vom 21.5.2011 teilte die Beklagte dem Kläger unter Hinweis auf einen beiliegenden Beschluss vom 21.5.2011 mit, dass sie gemäß § 11 Absatz 1 a und d der Satzung seinen Ausschluss beabsichtige. Ferner wurde auf die Möglichkeit der Äußerung zum beabsichtigten Ausschluss gemäß § 11 Absatz 2 hingewiesen. Dem Schreiben war ein Beschluss vom 21.5.2012 über den Ausschluss des Klägers aus der Genossenschaft gemäß § 11 Absatz 1 a und d beigefügt.
Der Kläger beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, ein Schreiben vom 26.7.2011, in dem der Kläger um Klärung des Mitgliedschaftsverhältnisses unter Terminbenennung gebeten wurde, sei dem Kläger ebenso zugegangen wie das Schreiben vom 15.8.2011, in dem der Kläger auf den Satzungsverstoß durch Überlassung der Wohnung an ein Nichtmitglied hingewiesen und die Prüfung des Ausschlusses angekündigt wurde. Die Beklagte meint, der Zugang der Schreiben sei belegt durch den fehlenden Rücklauf wegen Unzustellbarkeit. Sie behauptet ferner, in der Wohnung habe sich auch eine familienfremde erwachsene Person aufgehalten.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 256 ZPO zulässige Feststellungsklage ist begründet. Zwar stehen der Beklagten als Genossenschaft autonome Rechte auch in Bezug auf den Ausschluss ihrer Mitglieder zu. Ihre Autonomie ist aber nach h.M. dahingehend eingeschränkt, dass ihre Beschlüsse gerichtlich überprüft werden können auf Gesetzeswidrigkeit, Sittenwidrigkeit und Satzungswidrigkeit, auf offenbare Unbilligkeit und darauf, ob der vorgeworfene Sachverhalt zutreffend und richtig ermittelt worden ist (vergleiche LG Stuttgart, BeckRS 2005, 05878 m.w.N.). Danach ist der Ausschluss des Klägers nicht gerechtfertigt.
Zweifel an der Wirksamkeit des Beschlusses bestehen schon durch seine Beifügung an das Anschreiben der Beklagten vom gleichen Tage, wonach dem Kläger zunächst gem. § 11 Absatz 2 die Äußerungsmöglichkeit zum beabsichtigen Ausschluss eingeräumt wurde. Dadurch stellt sich aus dem objektiven Empfängerhorizont der Beschluss lediglich als Entwurf einer noch zu treffenden Entscheidung dar.
Davon unabhängig erweist sich der Ausschluss des Klägers unter Abwägung aller Umstände als rechtswidrig.
Es liegen keine Ausschlussgründe gemäß § 68 Absatz 1 GenG i.V.m. § 11 Absatz 1 a und d der Satzung der Beklagten vor.
Der Verlust der Mitgliedschaft gegen den Willen eines Mitglieds ist an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Nach Sinn und Zweck des § 68 Genossenschaftsgesetz steht außer Frage, dass nur ein genossenschaftswidriges Verhalten von erheblichem Gewicht eine Ausschließung rechtfertigt (vergleiche LG Köln, WuM 2007, 22 ff unter Hinweis auf BGH WuM 2003, 691).
Zwar mag die dauernde Überlassung der Wohnung an ein Nichtmitglied und damit die Verletzung der genossenschaftlichen Treuepflicht den Ausschlusstatbestand des § 11 Abs. 1 a der Satzung, wonach der Ausschluss zulässig ist, wenn das Mitglied durch ein genossenschaftswidriges Verhalten schuldhaft oder unzumutbar das Ansehen oder die wirtschaftlichen Belange der Genossenschaft oder ihrer Mitglieder schädigt oder zu schädigen versucht, erfüllen. Jedoch kann dies nicht gelten, wenn – wie vorliegend – das Nichtmitglied ebenfalls unstreitig mietvertraglich mit der Beklagten verbunden ist und damit ebenfalls ein Recht zum Besitz an der Wohnung hat. Die Satzung lässt in § 2 Absatz 4 ausdrücklich die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes auf Nichtmitglieder zu.
Dass die Wohnung durch den Kläger auch einer familienfremden erwachsenen Person überlassen wurde, hat die für den Ausschlussgrund darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht ausreichend dargetan und unter Beweis gestellt, nachdem der Kläger den Aufenthalt seines erwachsenen Sohnes in der Wohnung vorgetragen hat.
Darüber hinaus fehlt es an einer erforderlichen Abmahnung der Beklagten. Grundsätzlich setzt ein Ausschluss eine Abmahnung voraus. Dies ergibt sich zwar nicht aus § 11 Absatz 1 a der Satzung im Gegensatz zu dem unter Absatz 1 b normierten Absatz, wohl aber aus dem zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den allgemeinen im Kündigungsrecht entwickelten Rechtsgedanken, welche auch hier Anwendung finden müssen (vergleiche LG Köln a.a.O, ebenfalls unter Hinweis auf BGH WuM 2003, 691). Den Zugang einer Abmahnung hat die Beklagte nicht unter Beweis gestellt. Der pauschale Hinweis, das Schreiben vom 15.8.2011 sei nicht an die Beklagte zurückgelangt, reicht dafür nicht aus. Auch das Schreiben vom 21.11.2011 kann nicht als Abmahnung gewertet werden, denn es enthält lediglich die satzungsmäßig vorgesehene Äußerungsmöglichkeit zum beabsichtigten Ausschluss (§ 11 Absatz 2 der Satzung).
Auch der Ausschlussgrund des § 11 Absatz 1 d ist nicht erfüllt.
Der Kläger ist weder unbekannt verzogen noch war sein Aufenthalt länger als 1 Jahr unbekannt. Denn unbekannt ist ein Aufenthalt nur, wenn er nicht nur der Beklagten, sondern allgemein unbekannt ist.
Die Beklagte selbst trägt vor, dass sie durch eine einfache Melderegisterauskunft den Aufenthalt des Klägers ermittelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 91 Absatz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
26.01.2017