Bei einer Mietpreisbremsenklage ist für die Ermittlung der zulässigen Miete auch eine evident vorliegende umfassende Modernisierung außer Acht zu lassen, wenn der Vermieter keine hinreichenden Angaben zum Vorzustand der Wohnung macht, da ohne Kenntnis des Vorzustands der Instandsetzungsanteil der vorgenommenen Arbeiten nicht bemessen und werden kann. Eine reine Schätzung durch das Gericht kommt nicht in Betracht.
LG Berlin II vom 28.6.2024 – 65 S 198/23 -, mitgeteilt von RA Max Werner Althoff
Hier ging es darum, ob der Vermieter sich für das Verlangen der hohen Miete auf die Ausnahmeregelung des § 556 f Satz 2 BGB („umfassende Modernisierung“) stützen konnte.
Das Landgericht hat die Unanwendbarkeit des § 556 f Satz 2 BGB angenommen, weil es vorliegend an der Darlegung einer umfassenden Modernisierung fehle.
Eine Modernisierung von Wohnraum sei umfassend im Sinne des § 556 f Satz 2 BGB, wenn sie einen Umfang aufweise, der eine Gleichstellung mit einem Neubau gerechtfertigt erscheinen lasse.
Dies sei dann der Fall, wenn die Modernisierung einerseits im Hinblick auf die hierfür angefallenen Kosten einen wesentlichen Bauaufwand erfordere und andererseits wegen der mit ihrem tatsächlichen Umfang einhergehenden qualitativen Auswirkungen zu einem Zustand der Wohnung führe, der demjenigen eines Neubaus in wesentlichen Teilen entspreche.
Beide Prüfungskriterien seien dabei von grundsätzlich gleichem Gewicht. Ein im Rahmen des § 556 f Satz 2 BGB zu prüfender wesentlicher Bauaufwand liege vor, wenn er (mindestens) ein Drittel des für eine vergleichbare Neubauwohnung erforderlichen finanziellen Aufwands – ohne Grundstücksanteil – erreiche.
In die Berechnung des wesentlichen Bauaufwands dürften lediglich Kosten einfließen, die aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 555 b BGB angefallen seien. Kosten für (reine) Erhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 555 a Abs. 1 BGB zählten hierzu nicht.
Vorliegend habe der Vermieter Modernisierungskosten in Höhe von insgesamt 45.607,65 Euro (= 686,04 Euro/m2) behauptet und sich auf die eingereichten Lichtbilder und Rechnungen berufen. Gleichwohl sei das Vorliegen eines wesentlichen Bauaufwands durch Überschreitung der Grenze von ein Drittel des Neubauaufwands nicht festzustellen, weil es sich nicht um einen Neubau handele und ein Abzug für lnstandsetzungskosten im Rahmen des § 556 f Satz 2 BGB zu prüfen sei. Vorliegend könne dieser Abzug jedoch nicht berechnet werden, weil der Vermieter keine Angaben zum Ausgangszustand der Wohnung vor den Maßnahmen gemacht habe.
Die Einreichung von Lichtbildern oder Rechnungen für die vorgenommenen Baumaßnahmen könne nicht den Sachvortrag der Partei ersetzen. Aus Lichtbildern könne weder die Art noch das Baualter oder der Abnutzungsgrad der betroffenen Bauteile und Einrichtungen festgestellt werden.
Zwar könne der jetzige Zustand als auch die Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen als wahr unterstellt werden. Hieraus ergäben sich aber ohne weiteren Vortrag des Vermieters keine Anhaltspunkte für den Zustand der Wohnung vor der Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte eine unzulässige Ausforschung dargestellt.
Ohne Kenntnis des davor bestehenden Zustandes könne der lnstandsetzungsanteil nicht bemessen werden, auch eine Schätzung komme nicht in Betracht, weil sie völlig in der Luft schweben würde.
Urteilstext
Gründe:
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf das angefochtene Urteil mit nachfolgenden Ergänzungen Bezug genommen:
Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 10.420,48 € an die Kläger (Mieten Oktober 2020 bis Januar 2023) sowie zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt sowie festgestellt, dass die Kläger nicht verpflichtet sind, für die streitgegenständliche Wohnung eine höhere Nettokaltmiete als 425,60 € zu zahlen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27.07.2023 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 11.08.2023, bei Gericht am 14.08.2023 eingegangen, Berufung eingelegt und diese am 05.09.2023 begründet.
Sie meint, das Amtsgericht habe sich mit ihrem Vortrag nicht hinreichend auseinandergesetzt, insbesondere mit den eingereichten Lichtbildern der Fassade der Liegenschaft – vor und nach der Modernisierung. Dieser Vortrag beinhalte jedenfalls den notwendigen Tatsachenkern, sodass eine Beweiserhebung möglich gewesen wäre. Darüber hinaus habe die Beklagte auch zum Zustand der Wohnung selbst vorgetragen, Lichtbilder vorgelegt und Rechnungen hinsichtlich der durchgeführten Arbeiten vorgelegt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige könne unter Berücksichtigung des jetzt bestehenden Zustandes der Wohnung und des Inhalts der einzelnen erbrachten Leistungen den Sachvortrag der Beklagten bestätigen. Der Zustand der Wohnung und die getätigten Investitionen seien hinreichend dargelegt, um eine umfassende Modernisierung der Wohnung anzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Wedding vom 18.07.2023 abzuweisen
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Das Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die der zweitinstanzlichen Entscheidung nach Maßgabe von § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Beklagte zur Rückzahlung überzahlter Mieten für den Zeitraum Oktober 2020 bis einschließlich Januar 2023 in Höhe von 10.420,48 € verurteilt sowie festgestellt, dass eine Verpflichtung der Kläger zur Zahlung einer monatlichen Nettokaltmiete von mehr als 425,60 € nicht besteht. Denn die zwischen den Parteien vereinbarte Nettokaltmiete übersteigt die höchstzulässige Miete. Die Voraussetzungen der §§ 556 d Abs. 1, 556 g Abs. 1, 2 BGB (aF), 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Verbindung mit der Mietenbegrenzungsverordnung des Landes Berlin 2015 liegen vor.
a) Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht die Unanwendbarkeit des § 556 f Satz 2 BGB angenommen. Denn es fehlt vorliegend an der Darlegung einer umfassenden Modernisierung.
Eine Modernisierung von Wohnraum ist umfassend im Sinne des § 556 f Satz 2 BGB, wenn sie einen Umfang aufweist, der eine Gleichstellung mit einem Neubau gerechtfertigt erscheinen lässt.
Dies ist dann der Fall, wenn die Modernisierung einerseits im Hinblick auf die hierfür angefallenen Kosten einen wesentlichen Bauaufwand erfordert und andererseits wegen der mit ihrem tatsächlichen Umfang einhergehenden qualitativen Auswirkungen zu einem Zustand der Wohnung führt, der demjenigen eines Neubaus in wesentlichen Teilen entspricht.
Beide Prüfungskriterien sind dabei von grundsätzlich gleichem Gewicht.
Ein im Rahmen des § 556 f Satz 2 BGB zu prüfender wesentlicher Bauaufwand liegt vor, wenn er (mindestens) ein Drittel des für eine vergleichbare Neubauwohnung erforderlichen finanziellen Aufwands – ohne Grundstücksanteil – erreicht.
In die Berechnung des wesentlichen Bauaufwands dürfen lediglich Kosten einfließen, die aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 55 5b BGB angefallen sind. Kosten für (reine) Erhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 555 a Abs. 1 BGB zählen hierzu nicht.
Werden im Zuge der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 555 b BGB Erhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 555 a Abs. 1 BGB miterledigt, ist bei der im Rahmen des § 556 f Satz 2 BGB erforderlichen Bestimmung des wesentlichen Bauaufwands ein (zeitanteiliger) Abzug der angefallenen Kosten insoweit vorzunehmen, als Bauteile oder Einrichtungen der Wohnung, die zwar noch nicht mangelhaft, aber bereits über einen erheblichen Anteil ihrer Lebensdauer (ab)genutzt sind, durch solche von besserer Qualität ersetzt werden (sog. modernisierende Instandsetzung; im Anschluss an BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juni 2020 – VIII ZR 81/19, NZM 2020, 795 Rn. 36 ff.).
Bei der Prüfung der qualitativen Auswirkungen der Modernisierungsmaßnahmen ist von maßgebender Bedeutung, ob die Wohnung durch die Arbeiten in mehreren – nicht notwendig allen – wesentlichen Bereichen (insbesondere Heizung, Sanitär, Fenster, Fußböden, Elektroinstallationen beziehungsweise energetische Eigenschaften) so verbessert wurde, dass die Gleichstellung mit einem Neubau gerechtfertigt ist (grundsätzlich zum Vorstehenden: BGH, Urteil vom 11. Novem ber 2020 – VIII ZR 369/18 -, juris).
Nichts anderes ergibt sich aus der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des BGH vom 09.11.2022 (BGH, Versäumnisurteil vom 9. November 2022 – VIII ZR 335/21 -, juris), weil der BGH die von der Beklagten in der Berufungsbegründung zitierte Passage dem mit dem zitierten Versäumnisurteil aufgehobenen Berufungsurteil entnommen hat.
Ein wesentlicher Bauaufwand im vorstehenden Sinne wird angenommen, wenn dieser ca. 1/3 des für eine Neubauwohnung erforderlichen Aufwandes erreicht.
Ein solcher ist von dem Beklagten im Ergebnis nicht hinreichend dargelegt worden.
Die Beklagte hat in erstinstanzlich Modernisierungskosten in Höhe von insgesamt 45.607,65 € (= 686,04 €/Quadratmeter) behauptet und sich auf die eingereichten Lichtbilder und Rechnungen berufen. Gleichwohl ist das Vorliegen eines wesentlichen Bauaufwands durch Überschreitung der Grenze von 1/3 des Neubauaufwands nicht festzustellen, weil es sich nicht um einen Neubau handelt und ein Abzug für lnstandsetzungskosten im Rahmen des § 556 f Satz 2 BGB zu prüfen ist, vgl. BGH a.a.O, Rn. 29. Vorliegend kann dieser Abzug jedoch nicht berechnet werden, weil die Beklagte – trotz Hinweise des Amtsgerichts und entsprechender Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung auf S. 5 letzter Absatz – keine Angaben zum Ausgangszustand der Wohnung vor den Maßnahmen gemacht hat.
Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Einreichung von Lichtbildern oder Rechnungen für die vorgenommenen Baumaßnahmen nicht den Sachvortrag der Partei ersetzt. Aus Lichtbildern kann weder die Art noch das Baualter oder Abnutzungsgrad der betroffenen Bauteile und Einrichtungen festgestellt werden.
Ferner kann der jetzige Zustand als auch die Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen als wahr unterstellt werden. Hieraus ergeben sich aber ohne weiteren Vortrag der Beklagten keine Anhaltspunkte für den Zustand der Wohnung vor der Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte eine unzulässige Ausforschung dargestellt.
Ohne Kenntnis des davor bestehenden Zustandes kann der lnstandsetzungsanteil nicht bemessen werden, auch eine Schätzung kommt nicht in Betracht, weil sie völlig in der Luft schweben würde (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 8.5.2012 – VI ZR 37/11, NJW 2012, 2267, 2268, st. Rspr. seit BGH, Urteil vom 16.12.1963-111ZR 47/63, NJW 1964, 589).
b) Die höchstzulässige Nettokaltmiete beträgt nach den unangefochtenen Feststellungen des Amtsgerichts gemäß § 556 d Abs. 1 BGB 425,60 €.
Der so errechneten höchstzulässigen Nettokaltmiete war kein Zuschlag nach § 556 e Abs. 2 BGB hinzuzurechnen, weil die Beklagte insoweit dieselben Anforderungen an die Darlegung treffen, wie für den Tatbestand des§ 556 f Satz 2 BGB, denen sie nicht nachgekommen ist.
2. Zutreffend hat das Amtsgericht den Klägern auch einen Anspruch auf Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.261,40 € (nebst Zinsen) gemäß § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB zuerkannt.
Mit dem Verlangen und der Vereinbarung einer Miete, die die nach § 556 d Abs. 1 in Verbindung mit § 556 d Abs. 2 und der Mietenbegrenzungsverordnung Berlin höchst zulässige Miete übersteigt, hat die Beklagte vorvertragliche Pflichten gegenüber den Mietern verletzt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil v. 27. Mai 2020-VIII ZR 45/19, nach juris Rn. 116).
Da die Pflichtverletzung feststeht, wäre seine Ersatzpflicht nur ausgeschlossen, wenn sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hätte, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die als Schuldnerin darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat zu ihrer Entlastung nichts vorgetragen (vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2016 – VIII ZR 39/15, WuM 2016, 365, juris Rz. 17).
Die Beklagte hat ihre aus § 556 d Abs. 1 BGB folgende Pflicht, von ihren Mietern nur die höchstzulässige Miete zu verlangen, pflichtwidrig und schuldhaft verletzt und die Kläger dazu veranlasst, Ansprüche nach§ 556 g Abs. 1 Satz 3, § 556 g Abs. 3 BGB geltend zu machen (BGH, Urteil v. 27. Mai 2020 – VIII ZR 45/19, nach juris Rn. 116).
Dem Anspruch eines Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten ist im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH, Urteil v. 27. Mai 2020 – VIII ZR 45/19, nach juris Rn. 116; vom 18. Januar 2005 -VI ZR 73/04, NJW 2005, 1112 unter 112 mwN; vom 7. November 2007 – VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 Rn. 13; vom 18. Juli 2017 – VI ZR 465/16, NJW 2017, 3588 Rn. 7). Diesen hat das Amtsgericht zutreffend – von der Beklagten nicht beanstandet – bestimmt.
Da eine weitere Verhandlung zur Sache nicht nötig ist, ist der Rechtsstreit auch nicht auf den hilfsweisen Antrag an das Amtsgericht zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 ZPO.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf§ 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
26.09.2024