Leitsatz:
Zum Beginn der Kündigungssperrfrist nach § 577 a BGB, wenn nach erstmaliger Aufteilung diese später geändert und das Sondereigentum an der Mietwohnung mit einem veränderten Miteigentumsanteil erneut veräußert wird.
LG Berlin vom 26.10.2022 – 66 S 249/21 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Normalerweise beträgt die Kündigungssperrfrist nach Umwandlung einer Wohnung in Wohnungseigentum gemäß § 577 a BGB gegenüber dem Erwerber in Berlin nicht mehr als 10 Jahre. Auch ist es allgemeine Ansicht, dass bei einem erneuten Wohnungsverkauf die Frist nicht noch einmal von vorne zu laufen beginnt. Das Landgericht hat nun in einem besonderen Fall entschieden, dass die 10-jährige Frist doch manchmal „verlängert” werden kann.
Hier war eine Eigenbedarfskündigung im August 2020 erfolgt. Am 3.2.2009 war die xxx GmbH nach einer 2008 (von einer GbR als Eigentümerin) erklärten Teilung gemäß § 8 WEG als (neue) Eigentümerin der Wohnung im Grundbuch von Friedrichshain Blatt xxx eingetragen worden.
Auf den ersten Blick konnte demnach die 10-jährige Sperrfist die in 2020 erfolgte Eigenbedarfskündigung nicht unwirksam machen.
Jedoch sei zu beachten – so das Landgericht –, dass Veräußerungsvorgänge im Rahmen von § 577 a BGB nur für den Vermögensgegenstand rechtserheblich sind, auf den sie sich konkret auch bezogen haben.
Werde die Aufteilung nach dem WEG später geändert und das Sondereigentum an der Mietwohnung mit einem veränderten Miteigentumsanteil erneut veräußert, werde eine neue Kündigungssperrfrist in Gang gesetzt.
So war es auch vorliegend:
Der Eigentümer der Liegenschaft hatte nämlich in notarieller Urkunde vom 22. November 2011 die zuvor nach § 8 WEG erklärte Teilung des Grundstücks aufgehoben. Die danach wieder ungeteilte Immobilie von 8.621 m² wurde sodann neu geteilt, und zwar zunächst im Rahmen einer Realteilung, aus der unterschiedlich große eigenständige Immobilien hervorgingen. Eine der so neu geschaffenen Immobilien diente dann 2012 der Begründung derjenigen Wohnungseigentümergemeinschaft, zu der die Vermieter heute zählen. Eine rechtliche Kontinuität zwischen dem 2009 existierenden von der xxx GmbH erworbenen Vermögenswert und dem 2012 erstmals im Grundbuch erfassten Vermögensgegenstand, deren Eigentümer die Vermieter heute sind, gibt und gab es nicht. Das Wohneigentum der Vermieter ist nicht aus der ursprünglich von der GbR erklärten Teilung (eines mehr als 8600 m² großen Grundstücks) aus dem Jahr 2008 hervorgegangen, sondern aus derjenigen nach § 8 WEG, welche die xxx GmbH notariell am 27. April 2012 (für das 1082 m² große Grundstück) erklärt hat. Die heutigen Vermieter wurden dann im Jahre 2014 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Von diesem Zeitpunkt an begann die 10-jährige Kündigungssperrfrist (erneut) zu laufen.
Die Eigenbedarfskündigung der Vermieter aus dem Jahr 2020 konnte daher keinen Erfolg haben. Eine Kündigung konnte nach Maßgabe von § 577 a BGB zu dieser Zeit von den Vermietern nicht wirksam erklärt werden.
Urteilstext
Zum Beginn der Kündigungssperrfrist nach § 577 a BGB, wenn nach erstmaliger Aufteilung diese später geändert und das Sondereigentum an der Mietwohnung mit einem veränderten Miteigentumsanteil erneut veräußert wird.
LG Berlin vom 26.10.2022 – 66 S 249/21 –
Gründe
I.
Die Beklagten zu 1 und 2 sind Mieter einer im Eigentum der Kläger stehenden Wohnung; sie sind auf der Grundlage einer Eigenbedarfskündigung vom Amtsgericht (als Gesamtschuldner) zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt worden, und zwar durch Teilurteil vom 20.9.2021 (betreffend die Beklagte zu 1), sowie durch Schlussurteil vom 8.11.2021 (betreffend den Beklagten zu 2). Mit dem Schlussurteil sind den Beklagten auch gesamtschuldnerisch die Kosten auferlegt worden.
Gegen beide Urteile haben die Beklagten jeweils eigenständig Berufung eingelegt; das Verfahren über das Rechtsmittel des Beklagten zu 2 (zunächst anhängig zum Aktenzeichen …) ist durch Kammerbeschluss vom 28.12.2021 nach § 147 ZPO zu dem zuvor eingegangenen Verfahren über das Rechtsmittel der Beklagten zu 1 (welches seither führt) verbunden worden.
Anstelle des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in den vorgenannten Urteilen des Amtsgerichts Bezug genommen. Ergänzungen sind nach Maßgabe der §§ 313a Abs. 1 Satz1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO lediglich wie folgt veranlasst:
Die Kammer hat die folgenden Grundakten beigezogen und zum Gegenstand der Berufungsverhandlung gemacht:
44 Grundbuch von Friedrichshain Blatt …
44 Grundbuch von Friedrichshain Blatt …
42 Grundbuch von Friedrichshain Blatt …
Wegen der Inhalte der beigezogenen Grundbücher wird auf die Gerichtsakte verwiesen, insbesondere auf die an die Parteien gerichtete Verfügung vom 14.4.2022, auf die Inhalte der Protokolle über die Berufungsverhandlung sowie auf den Beschluss der Kammer vom 22.6.2022.
Die Beklagten halten die Eigenbedarfskündigung weiterhin für unwirksam und begehren unverändert die Abweisung der Klage.
Die Kläger verteidigen die angefochtenen Urteile des Amtsgerichts und beantragen die Zurückweisung der Berufung.
II.
Beide Berufungen der Beklagten sind jeweils gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. Beide Rechtsmittel haben auch in der Sache Erfolg.
Zu Unrecht ist das Amtsgericht zur Verurteilung der Beklagten auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gelangt. Die dafür von den Klägern angeführte Kündigung wegen Eigenbedarfs wurde mit Schreiben vom 28.7.2020 erklärt und am 4.8.2020 zugestellt; diese Kündigung ist bereits deshalb unwirksam, weil sie vor Ablauf einer zu Gunsten der Beklagten zu 1 und 2 aus § 577 a BGB resultierenden Wartefrist erklärt worden ist.
1.
Die Grundlagen des streitgegenständlichen Wohnraummietverhältnisses werden von den Parteien des Rechtsstreits nicht infrage gestellt. Die Beklagte zu 1 hat mit einer Rechtsvorgängerin der Kläger am 9.11.2005 einen schriftlichen Mietvertrag über die Wohnung geschlossen. Ein ursprünglicher Mitmieter ist aus dem Mietverhältnis ausgeschieden; stattdessen bewohnt der Beklagte zu 2 als Lebenspartner gemeinsam mit der Beklagten zu 1 die Wohnung. In das laufende Wohnraummietverhältnis sind die Kläger als neue Vermieter infolge des Erwerbs der Eigentumswohnung eingetreten. Dies alles ist zwischen den Parteien nicht streitig.
2.
Das Amtsgericht hat den von den Klägern geltend gemachten Eigenbedarf inhaltlich geprüft und als begründet erachtet; formelle Wirksamkeitshindernisse gegen die streitgegenständliche Kündigung (insbesondere den Verstoß gegen § 577 a BGB) hat das Amtsgericht dabei als Vorfrage zwar geprüft, aber zu Unrecht verneint.
Das Amtsgericht meint, dass die vorliegend unstreitig 10 Jahre dauernde Sperrfrist gegenüber den Beklagten bereits am 03.02.2019 (mithin vor der Eigenbedarfskündigung) abgelaufen sei. Die Sperrfrist habe nämlich am 03.02.2009 zu laufen begonnen, weil an diesem Tag die … I GmbH nach einer 2008 (von einer GbR als Eigentümerin) erklärten Teilung gemäß § 8 WEG als (neue) Eigentümerin der Wohnung im Grundbuch von Friedrichshain Blatt … eingetragen worden sei. Auf diesen ersten nach der Umwandlung in Wohnungseigentum erfolgenden Erwerb sei für den Fristbeginn nach § 577 a BGB abzustellen; auf einen später nachfolgenden (weiteren) Erwerbsvorgang für die Wohnung komme es nicht an.
Dabei übersieht das Amtsgericht (und mit ihm die Argumentation der Kläger in der Berufungsinstanz), dass Veräußerungsvorgänge im Rahmen von § 577 a BGB nur für den Vermögensgegenstand rechtserheblich sind, auf den sie sich konkret auch bezogen haben. Für die heute streitgegenständliche WEG-Einheit konnte der Veräußerungsvorgang, der zu einem Eigentumserwerb im Jahr 2009 führte, die Frist nicht in Gang setzen, weil jener Vorgang sich rechtlich auf einen gänzlich anderen Vermögenswert bezog. Das von der … xxI GmbH erworbene Objekt war rechtlich eine andere Immobilie, als sie später von den hiesigen Klägern erworben worden ist. Als die Kläger im Jahr 2020 die WEG-Einheit erwarben und als sie am 09.06.2020 als neue Eigentümer der WEG-Einheit im Grundbuch eingetragen wurden, betrafen beide Vorgänge eine zwischenzeitlich neu geschaffene und anders zusammengesetzte WEG-Einheit. Für diesen 2012 rechtlich überhaupt erst (neu) entstandenen Gegenstand der Veräußerung hat es Veräußerungsvorgänge aus der Zeit vor 2012 nicht gegeben. Für diese Immobilie kann daher die Frist von 10 Jahren nicht im Jahr 2009 zu laufen begonnen haben, weshalb die Frist ganz unabhängig von der Anzahl erfolgter Veräußerungen im Sinne des § 577 a BGB beim Ausspruch der Kündigung nicht verstrichen war.
a) Das letztlich von den Klägern erworbene Wohneigentum war im Jahr 2009 rechtlich nicht existent. Dieses Wohneigentum war und ist ausschließlich verzeichnet im Grundbuch von Friedrichshain Blatt … (Wohnungsgrundbuch), wo auch die Eintragung der Kläger als Eigentümer erfolgt ist. Dieses Grundbuchblatt existiert erst seit der ersten Eintragung vom 02.08.2012, mit welcher die Übertragung der einzelnen WEG-Einheit aus demjenigen Grundbuch umgesetzt wurde, in welchem das der Wohnungseigentümergemeinschaft zustehende Grundstück in der … Allee 9,11 verzeichnet ist, nämlich dem Blatt …. Auch dieses Grundstück im Rechtssinne wurde erstmals (als ungeteiltes Grundstück bestehend aus dem Flurstück … der Flur xxx) durch Eintragung vom 25.4.2012 im Grundbuch erfasst und eingerichtet.
b) Die von den Beklagten bewohnte „Wohnung“ ist Gegenstand sachenrechtlich begründeter Rechte und Pflichten ausschließlich in ihrer Gestalt des Sondereigentums, mit dem sie in der begründeten WEG-Einheit der mit Berechtigung am Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft zugeordnet ist. Als bloße „Wohnung“ ist sie insbesondere nicht Gegenstand einer Veräußerung im Sinne von § 577 a BGB. Eine solche Veräußerung kann sich auf nichts anderes beziehen, als auf die WEG-Einheit, zu der die rein tatsächlich vorhandenen Wohnräume gehören. Im Falle einer Eigentumswohnung besteht ein Veräußerungsgegenstand aber zwingend aus der Bündelung verschiedener rechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse, namentlich aus einem Miteigentumsanteil an dem der Wohnungseigentümergemeinschaft gehörenden Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an einer Einheit aus bestimmten Wohnräumen.
Im Fall der Kläger bezieht sich das Miteigentum auf das im Grundbuch Blatt … verzeichnete Grundstück, welches eine Größe von 1082 m² hat; den Klägern steht in der streitgegenständlichen WEG-Einheit daran einen Anteil von 259/10.000 zu.
Der früheste (und vor dem Eigentumserwerb der Kläger einzige) Erwerbsvorgang für diesen Vermögensgegenstand geht ausweislich des von den Klägern selbst vorgelegten Grundbuchauszug auf eine Auflassung vom 26.7.2013 zurück, die am 6.10.2014 zur Eintragung der Erwerberin … Immobilien GmbH führte. Ein Ablauf der 10 Jahre betragenden Sperrfrist nach § 577 a BGB vor dem Kalenderjahr 2024 ist vor diesem Hintergrund nicht schlüssig.
c) Entgegen der Auffassung der Kläger kann nicht auf den Erwerbsvorgang abgestellt werden, in dessen Ergebnis die … GmbH im Jahr 2009 als Eigentümerin eingetragen wurde, denn dieses Recht und die Grundbucheintragung bezog sich auf einen gänzlich anderen Vermögensgegenstand. Die im Jahr 2009 erworbene Immobilie war weder formal noch materiell mit dem Vermögenswert identisch, den die hiesigen Kläger später erworben haben.
Sie bezog sich stattdessen auf eine im Vorjahr (also 2008) geschaffene WEG-Einheit, die auf eine ganz andere (erheblich größere) Immobilie bezogen war, weshalb in jener WEG-Einheit das Sondereigentum an der Wohnung auch mit völlig anderen Anteilen des Miteigentums an dem rechtlich anderen von der Teilung betroffenen Grundstück verbunden war. Das 2008 nach § 8 WEG geteilte Objekt war ein Grundbesitz in einer Gesamtgröße von 8.621 m². Mit dem Sondereigentum an den von den Beklagten genutzten Räumen war ein Miteigentumsanteil von 325/100.000 an dem Grundstück verbunden.
In dieser Konstellation ist der 2009 von der … GmbH erworbene Vermögenswert rechtlich schlicht untergegangen. Der Eigentümer der Liegenschaft hat nämlich in notarieller Urkunde vom 22. November 2011 (UR-Nr H … des Notars xxx) die zuvor nach § 8 WEG erklärte Teilung des Grundstücks aufgehoben. Die danach wieder ungeteilte Immobilie von 8.621 m² wurde sodann neu geteilt, und zwar zunächst im Rahmen einer Realteilung, aus der unterschiedlich große eigenständige Immobilien hervorgingen. Eine der so neu geschaffenen Immobilien diente dann 2012 der Begründung derjenigen Wohnungseigentümergemeinschaft, zu der die Kläger heute zählen. Eine rechtliche Kontinuität zwischen dem 2009 existierenden von der … GmbH erworbenen Vermögenswert und dem 2012 erstmals im Grundbuch erfassten Vermögensgegenstand, deren Eigentümer die Kläger heute sind, gibt und gab es nicht. Das Wohneigentum der Kläger ist nicht aus der ursprünglich von der GbR erklärten Teilung (eines mehr als 8600 m² großen Grundstücks) aus dem Jahr 2008 hervorgegangen, sondern aus derjenigen nach § 8 WEG, welche die … GmbH notariell am 27. April 2012 (für das 1082 m² große Grundstück) erklärt hat.
Die Eigenbedarfskündigung der Kläger aus dem Jahr 2020 kann daher keinen Erfolg haben. Eine Kündigung konnte nach Maßgabe von § 577 a BGB zu dieser Zeit von den Klägern nicht wirksam erklärt werden. Die Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung ist demgemäß gegen beide Beklagten unbegründet.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Entscheidung liegt die Würdigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls zugrunde. Eine generelle Klärung besonders praxisrelevanter Fragen macht die Entscheidung ebenso wenig erforderlich, wie eine Abweichung von tragenden Rechtssätzen obergerichtlicher Entscheidungen.
03.06.2024