Leitsatz:
Im Einzelfall kann für eine wirksame Kündigung wegen unerlaubter Gebrauchsüberlassung zusätzlich das Zuwiderhandeln des Mieters gegen einen vom Vermieter vor Ausspruch der Kündigung zu erwirkenden Unterlassungstitel erforderlich sein.
LG Berlin vom 11.10.2022 – 67 S 111/22 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Im Mietvertrag aus dem Jahre 1990 hieß es unter § 20: „Der Mieter hat für die Dauer des Mietverhältnisses das Recht auf Untervermietung.“
Im Juni 1994 schloss die Mieterin einen Untermietvertrag mit der X., die sodann in die streitgegenständliche Wohnung einzog. Die Hauptmieterin wohnt seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in der Wohnung.
Im Jahr 2001 erhob der kurz zuvor im Grundbuch eingetragene Erwerber der Wohnung Klage auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung. Das Amtsgericht wies die Klage damals als unbegründet ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Hauptmieterin durch die Vereinbarung in § 20 des Mietvertrages auch die vollständige Gebrauchsüberlassung der streitgegenständlichen Wohnung gestattet sei. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Landgericht zurück. In 2019 kündigte der Vermieter erneut, diesmal ordentlich, wie auch fristlos.
Zur Begründung der ordentlichen Kündigung führte er an, die vollständige Gebrauchsüberlassung durch die Mieterin stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar. Mit der Regelung in § 20 des Mietvertrags sei lediglich eine Berechtigung zur teilweisen Gebrauchsüberlassung vereinbart worden. Die fristlose Kündigung begründete er mit der kurz zuvor erfolgten Aufnahme des Lebensgefährten der Untermieterin in die Wohnung ohne entsprechende Erlaubnis von ihm als Vermieter.
Das Amtsgericht wies die Klage ab. Das Landgericht folgte dem im Ergebnis und begründete wie folgt: Der Vermieter habe keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung. Weder die ordentliche Kündigung noch die außerordentliche Kündigung hätten das zwischen ihm und der Mieterin bestehende Mietverhältnis beendet. Dabei könne offen bleiben, ob die Mieterin überhaupt eine mietvertragliche Pflicht verletzt habe.
Selbst wenn die vollständige und zeitlich unbegrenzte Gebrauchsüberlassung an die Untermieterin eine mietvertragliche Pflichtverletzung darstellen sollte, wäre diese nicht hinreichend erheblich, um eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung gemäß §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 543 Abs. 1, Abs. 2 BGB zu rechtfertigen.
Einer etwaigen Pflichtverletzung der Mieterin würde das für eine Kündigung erforderliche Gewicht deshalb nicht zukommen, da ihr jedenfalls nur ein gering ausgeprägtes Verschulden zur Last zu legen wäre. Denn die Mieterin hätte ihr Recht zur umfassenden und zeitlich unbegrenzten Gebrauchsüberlassung allenfalls fahrlässig verkannt. Bei der kündigungsrechtlichen Beurteilung des Verschuldens eines Mieters wiege Fahrlässigkeit aber weit geringer als Vorsatz.
Für eine allenfalls fahrlässige Verkennung der mietvertraglichen Rechte und Pflichten durch die Mieterin spreche dabei nicht nur, dass sie nach der Vereinbarung in § 20 des Mietvertrags zur „Untervermietung“ der streitgegenständlichen Wohnung berechtigt war. Es komme hinzu, dass nach dem Wortlaut der getroffenen Regelung weder eine Beschränkung in zeitlicher Hinsicht noch dahingehend vorgenommen worden ist, dass sich die „Untervermietung“ nur auf einen Teil der Wohnung erstrecken dürfe oder ein berechtigtes Interesse der Mieterin für die Untervermietung vorliegen müsse. Es fehlte jedenfalls aus Sicht der Mieterin auch an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die ursprünglichen Vertragsparteien tatsächlich nur eine zeitlich oder räumlich beschränkte Erlaubnis zur Untervermietung hätten vereinbaren wollen. Denn die Regelung setze nach ihrem Wortlaut eine konkret und zeitlich genau zu bestimmende Absicht des Mieters, die streitgegenständliche Wohnung in Zukunft wieder selber nutzen zu wollen, gerade nicht voraus.
Davon ausgehend käme einer etwaigen Pflichtverletzung der Mieterin wegen der besonderen Umstände dieses Einzelfalls das für eine ordentliche Kündigung erforderliche Gewicht erst dann zu, wenn sie die vollständige Gebrauchsüberlassung trotz eines entgegenstehenden gerichtlichen Unterlassungstitels gleichwohl fortsetzen würde. An einem solchen Titel indes fehle es.
Mangels berechtigten Interesses im Sinne des § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB stünde dem Vermieter ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses erst recht nicht zur Seite.
Urteilstext
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe der im Berufungsantrag näher zeichneten Wohnung.
Die Beklagte zu 1) mietete die streitgegenständliche Wohnung mit Mietvertrag vom 25.10.1990 von der X an. In der Anlage zum Mietvertrag heißt es unter § 20: „Der Mieter hat für die Dauer des Mietverhältnisses das Recht auf Untervermietung.“
Im Juni 1994 schloss die Beklagte zu 1) einen Untermietvertrag mit der Beklagten zu 2), die sodann in die streitgegenständliche Wohnung einzog. Die Beklagte zu 1) wohnt seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in der Wohnung.
Der Kläger, der seit dem 12.07.2001 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, erhob im Jahr 2001 Klage auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gegen die Beklagten zu 1) und 2) vor dem Amtsgericht. Das Amtsgericht wies die Klage als unbegründet ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Beklagten zu 1) durch die Vereinbarung in § 20 der Anlage zum Mietvertrag auch die vollständige Gebrauchsüberlassung der streitgegenständlichen Wohnung gestattet sei. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Landgericht mit am 04.03.2002 verkündeten und rechtskräftigen Urteil zurück.
Am 27.05.2019 informierte die Beklagte zu 1) die Hausverwaltung über den geplanten Einzug des Beklagten zu 3). Die Hausverwaltung widersprach dem Einzug.
Unter dem 31.07.2019 kündigte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) das Mietverhältnis zum 30.04.2020, am 01.10.2019 sprach er eine fristlose Kündigung aus. Zur Begründung der ordentlichen Kündigung führte er an, die vollständige Gebrauchsüberlassung durch die Beklagte zu 1) stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar. Mit der Regelung in § 20 der Anlage zu dem Mietvertrag sei lediglich eine Berechtigung zur teilweisen Gebrauchsüberlassung vereinbart worden. Die fristlose Kündigung begründete der Kläger mit der Aufnahme des Beklagten zu 3), dem damaligen Lebensgefährten der Beklagten zu 2), in die Wohnung ohne entsprechende Erlaubnis des Klägers.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen im ersten Rechtszug sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das am 06.04.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen (Bl. I/181-188 d.A.).
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, gegenüber den Kündigungen, die Gegenstand des Klageverfahrens im Jahr 2001 waren, seien keine neuen Tatsachen vorgebracht worden, auf die eine Kündigung gestützt werden könne. Insofern könne auf die tragenden Erwägungen aus dem Berufungsurteil vom 04.03.2002 verwiesen werden, denen sich das Amtsgericht anschließe. Es bestehe auch kein Raum für eine vertragliche Anpassung des Mietvertrages aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben; es bestehe für die Beklagte zu 1) keine Verpflichtung, die von ihr angemietete Wohnung auch selber zu bewohnen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 07.04.2022 zugestellte Urteil am 05.05.2022 Berufung eingelegt, die er nach erfolgter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 07.07.2022 begründet hat.
Die Berufung rügt, das Amtsgericht habe unzulässiger Weise auf die Kündigungen aus dem Jahr 2000 sowie die Entscheidungen des Amtsgerichts Mitte vom 04.07.2001 und des Landgerichts Berlin vom 04.03.2002 Bezug genommen. Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass die Beklagte zu 1) bekundet habe, die streitgegenständliche Wohnung auch in Zukunft nicht mehr selbst nutzen zu wollen. Zudem bedeute schon der erhebliche Zeitablauf einen anderen Sachverhalt. Ferner sei die vollständige Gebrauchsüberlassung auch nicht ausnahmsweise anderweitig gerechtfertigt gewesen. Insbesondere habe die Beklagte zu 1) ihren dortigen Wohnsitz nicht mit dem Willen zur späteren Rückkehr aus beruflichen oder vergleichbar gewichtigen Gründen zeitweise aufgeben müssen. Eine dauerhafte und ohne berechtigtes Interesse vorgenommene vollständige Gebrauchsüberlassung von Wohnraum sei weder gesetzlich gestattet noch bei der Vereinbarung von § 20 der Anlage zum Mietvertrag gewollt gewesen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 06.04.2022 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Mitte, Az. 12 C 5122/19, die Beklagten zu verurteilen, die auf dem klägerischen Grundstück Y gelegene 3-Zimmer-Wohnung geräumt an den Kläger herauszugeben.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe der im Berufungsantrag näher zeichneten Wohnung.
Die Beklagte zu 1) mietete die streitgegenständliche Wohnung mit Mietvertrag vom 25.10.1990 von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte mbH an. In der Anlage zum Mietvertrag heißt es unter § 20: „Der Mieter hat für die Dauer des Mietverhältnisses das Recht auf Untervermietung.“
Im Juni 1994 schloss die Beklagte zu 1) einen Untermietvertrag mit der Beklagten zu 2), die sodann in die streitgegenständliche Wohnung einzog. Die Beklagte zu 1) wohnt seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in der Wohnung.
Der Kläger, der seit dem 12.07.2001 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, erhob im Jahr 2001 Klage auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gegen die Beklagten zu 1) und 2) vor dem Amtsgericht. Das Amtsgericht wies die Klage als unbegründet ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Beklagten zu 1) durch die Vereinbarung in § 20 der Anlage zum Mietvertrag auch die vollständige Gebrauchsüberlassung der streitgegenständlichen Wohnung gestattet sei. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Landgericht mit am 04.03.2002 verkündeten und rechtskräftigen Urteil zurück.
Am 27.05.2019 informierte die Beklagte zu 1) die Hausverwaltung über den geplanten Einzug des Beklagten zu 3). Die Hausverwaltung widersprach dem Einzug.
Unter dem 31.07.2019 kündigte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) das Mietverhältnis zum 30.04.2020, am 01.10.2019 sprach er eine fristlose Kündigung aus. Zur Begründung der ordentlichen Kündigung führte er an, die vollständige Gebrauchsüberlassung durch die Beklagte zu 1) stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar. Mit der Regelung in § 20 der Anlage zu dem Mietvertrag sei lediglich eine Berechtigung zur teilweisen Gebrauchsüberlassung vereinbart worden. Die fristlose Kündigung begründete der Kläger mit der Aufnahme des Beklagten zu 3), dem damaligen Lebensgefährten der Beklagten zu 2), in die Wohnung ohne entsprechende Erlaubnis des Klägers.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen im ersten Rechtszug sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das am 06.04.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen (Bl. I/181-188 d.A.).
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, gegenüber den Kündigungen, die Gegenstand des Klageverfahrens im Jahr 2001 waren, seien keine neuen Tatsachen vorgebracht worden, auf die eine Kündigung gestützt werden könne. Insofern könne auf die tragenden Erwägungen aus dem Berufungsurteil vom 04.03.2002 verwiesen werden, denen sich das Amtsgericht anschließe. Es bestehe auch kein Raum für eine vertragliche Anpassung des Mietvertrages aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben; es bestehe für die Beklagte zu 1) keine Verpflichtung, die von ihr angemietete Wohnung auch selber zu bewohnen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 07.04.2022 zugestellte Urteil am 05.05.2022 Berufung eingelegt, die er nach erfolgter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 07.07.2022 begründet hat.
Die Berufung rügt, das Amtsgericht habe unzulässiger Weise auf die Kündigungen aus dem Jahr 2000 sowie die Entscheidungen des Amtsgerichts Mitte vom 04.07.2001 und des Landgerichts Berlin vom 04.03.2002 Bezug genommen. Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass die Beklagte zu 1) bekundet habe, die streitgegenständliche Wohnung auch in Zukunft nicht mehr selbst nutzen zu wollen. Zudem bedeute schon der erhebliche Zeitablauf einen anderen Sachverhalt. Ferner sei die vollständige Gebrauchsüberlassung auch nicht ausnahmsweise anderweitig gerechtfertigt gewesen. Insbesondere habe die Beklagte zu 1) ihren dortigen Wohnsitz nicht mit dem Willen zur späteren Rückkehr aus beruflichen oder vergleichbar gewichtigen Gründen zeitweise aufgeben müssen. Eine dauerhafte und ohne berechtigtes Interesse vorgenommene vollständige Gebrauchsüberlassung von Wohnraum sei weder gesetzlich gestattet noch bei der Vereinbarung von § 20 der Anlage zum Mietvertrag gewollt gewesen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 06.04.2022 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Mitte, Az. 12 C 5122/19, die Beklagten zu verurteilen, die auf dem klägerischen Grundstück Alte Schönhauser Straße 14/15, Vorderhaus in 10119 Berlin, gelegene 3-Zimmer-Wohnung nebst Keller-/Bodenabstellraum geräumt an den Kläger herauszugeben.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
1. Soweit der Kläger die Berufung in der Berufungsverhandlung teilweise zurückgenommen hat, war er gemäß § 516 Abs. 3 ZPO des eingelegten Rechtsmittels für verlustig zu erklären.
2. Im Umfang ihrer Aufrechterhaltung ist die Berufung unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gegen die Beklagten zu 1) und 2) gemäß §§ 546 Abs. 1, 985, 566 Abs. 1 BGB. Weder die ordentliche Kündigung vom 31.07.2019 noch die außerordentliche Kündigung vom 01.10.2019 haben das zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) bestehende Mietverhältnis beendet. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte zu 1) überhaupt eine mietvertragliche Pflicht verletzt hat.
Selbst wenn die vollständige und zeitlich unbegrenzte Gebrauchsüberlassung an die Beklagte zu 2) eine mietvertragliche Pflichtverletzung darstellen sollte, wäre diese nicht hinreichend erheblich, um eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung gemäß §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 543 Abs. 1, Abs. 2 BGB zu rechtfertigen.
Nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis nur dann ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Ein solches berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.
Für die Beurteilung der Erheblichkeit einer Pflichtverletzung sind im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (st. Rspr., vgl. nur Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, NZM 2017, 361, juris Tz. 18; Urt. v. 13. Februar 2020 – 67 S 369/18, WuM 2020, 278 Tz. 29; Bieber, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 573 Rz. 63 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist bei verhaltensbedingten Pflichtverletzungen des Mieters stets die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr, der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens, die besonderen persönlichen Umstände des Mieters und ein mögliches pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016, a.a.O., m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen käme einer Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) im Falle ihres Vorliegens nicht das für die Beendigung des Mietverhältnisses erforderliche Gewicht zu.
Insofern ist zunächst zu Gunsten der Beklagten zu 1) berücksichtigen, dass dem Kläger das von ihr gelebte Nutzungsmodell seit geraumer Zeit bekannt ist. In dem am 4. Juli 2001 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Mitte – 110 C 5/01 – heißt es im unstreitigen Teil des Tatbestands insoweit: „Die streitgegenständliche Wohnung wird derzeit allein von der Beklagten zu 2. genutzt.“ Es kommt hinzu, dass der zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) geschlossene Untermietvertrag sogar bereits aus dem Jahr 1994 stammt. Damit liegen zwischen der – spätesten – Kenntniserlangung des Klägers im Jahre 2001 und der ersten hier streitgegenständlichen Kündigung vom 31. Juli 2019 mehr als 18 Jahre, in denen der Kläger die vollständige Gebrauchsüberlassung an die Beklagte zu 2) widerspruchslos hingenommen hat. Bereits das steht der hinreichenden Erheblichkeit der geltend gemachten Pflichtverletzung – und noch dazu ohne vorherige Abmahnung – entgegen.
Einer etwaigen Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) würde das für eine Kündigung erforderliche Gewicht aber auch deshalb nicht zukommen, da ihr jedenfalls nur ein gering ausgeprägtes Verschulden zur Last zu legen wäre. Denn die Beklagte zu 1) hätte ihr Recht zur umfassenden und zeitlich unbegrenzten Gebrauchsüberlassung allenfalls fahrlässig verkannt. Bei der kündigungsrechtlichen Beurteilung des Verschuldens eines Mieters wiegt Fahrlässigkeit aber weit geringer als Vorsatz (vgl. Kammer, Urt. v. 3. Juli 2018 – 67 S 20/18, DWW 2018, 302, juris Tz. 19 m.w.N):
Für eine allenfalls fahrlässige Verkennung der mietvertraglichen Rechte und Pflichten durch die Beklagte zu 1) spricht dabei nicht nur, dass sie nach der Vereinbarung in § 20 der Anlage zum Mietvertrag vom 25.10.1990 zur „Untervermietung“ der streitgegenständlichen Wohnung berechtigt war. Eine solche Regelung war gemäß § 549 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. (§ 553 Abs. 3 BGB n.F.) zulässig, da sie nur zu Lasten des Vermieters, nicht aber zu Lasten des Mieters von den gesetzlichen Regelungen abweicht. Es kommt hinzu, dass nach dem Wortlaut der getroffenen Regelung weder eine Beschränkung in zeitlicher Hinsicht noch dahingehend vorgenommen worden ist, dass sich die „Untervermietung“ nur auf einen Teil der Wohnung erstrecken dürfe oder ein berechtigtes Interesse der Beklagten zu 1) für die Untervermietung vorliegen müsse. Es fehlte jedenfalls aus Sicht der Beklagten zu 1) auch an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die ursprünglichen Vertragsparteien tatsächlich nur eine zeitlich oder räumlich beschränkte Erlaubnis zur Untervermietung hätten vereinbaren wollen. Denn die Regelung setzt nach ihrem Wortlaut eine konkret und zeitlich genau zu bestimmende Absicht des Mieters, die streitgegenständliche Wohnung in Zukunft wieder selber nutzen zu wollen, gerade nicht voraus. Dieses weite Regelungsverständnis wird durch § 9 Ziffer 2 des Mietvertrages bestätigt, ausweislich dessen eine Untervermietung oder sonstige Gebrauchsüberlassung nur mit schriftlicher Einwilligung des Vermieters zulässig ist. Das legt eine Auslegung des § 20 der Anlage zum Mietvertrag dahingehend nahe, dass dort eine über den Regelungsgehalt von § 9 Ziffer 2 hinausgehende Berechtigung zur räumlich und zeitlich unbefristeten Gebrauchsüberlassung geregelt werden sollte. Auch das legte den allenfalls fahrlässigen, wenn nicht sogar zutreffenden Schluss der Beklagten zu 1) nahe, auch weiterhin zur vollständigen Gebrauchsüberlassung an die Beklagte zu 2) berechtigt zu sein.
Soweit der Kläger die Kündigung auf die von ihm behauptete Gebrauchsüberlassung an den Beklagten zu 3) gestützt hat, ist er der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast auf das erhebliche Bestreiten der Beklagten nicht gerecht geworden. Er hat seine Berufung gegen den Beklagten zu 3) – insoweit folgerichtig – auch zurückgenommen.
Davon ausgehend käme einer etwaigen Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) wegen der besonderen Umstände dieses Einzelfalls das für eine ordentliche Kündigung erforderliche Gewicht erst dann zu, wenn sie die vollständige Gebrauchsüberlassung trotz eines entgegenstehenden gerichtlichen Unterlassungstitels gleichwohl fortsetzen würde. An einem solchen Titel indes fehlt es.
Mangels berechtigten Interesses i.S.d. § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB stand dem Kläger ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses erst recht nicht zur Seite.
Davon ausgehend bedurfte es keiner abschließenden Entscheidung der Kammer, ob den streitgegenständlichen Kündigungen nicht ohnehin wegen des Verbots sog. „Wiederholungskündigungen“ der Erfolg versagt war (vgl. dazu BAG, Urt. v. 22. Mai 2003 – 2 AZR 485/02, NJOZ 2004, 1043, 1045 m.w.N.). Es konnte ebenfalls dahinstehen, ob, gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen, eine vom Vermieter ohne ausdrücklichen Widerrufsvorbehalt und unbeschränkt erteilte Erlaubnis zur vollständigen Gebrauchsüberlassung im Verlaufe des Mietverhältnisses einseitig widerrufen werden kann (vgl. dazu Emmerich, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. Oktober 2022, § 540 Rz. 50 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 711 ZPO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe zur Zulassung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorlagen.
28.06.2023